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Von der Zuschauerin zur Festspielpräsidentin: Kristina Hammer im Interview

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Aktualisiert
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16 min
Kristina Hammer folgte 2022 auf Helga Rabl-Stadler, die 26 Jahre lang Präsidentin der Festspiele war. Hammers Ziel: eine moderne Unternehmenskultur einzuführen sowie die wirtschaftliche Grundlage zu sichern.©Christoph Liebentritt
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Die renommierten Salzburger Festspiele hat sie bereits als Kind besucht, vor drei Jahren hat Kristina Hammer die Leitung übernommen. Beim WOMAN ELEVATE Circle skizzierte sie ihre Learnings und Visionen.

"Kunst ist nicht da, um uns abzulenken oder den Abend zu versüßen", positioniert Kristina Hammer die Festspiele als Antithese zum gegenwärtigen Zeitalter der Ablenkung. "Kunst ist da, um aufzurütteln, zu bewegen, zu Tränen zu rühren, zu erschüttern. Momente, die wir bei Aufführungen verbringen, sollen uns die Möglichkeit geben, um zu reflektieren." Seit 2022 ist Hammer Präsidentin der Salzburger Festspiele. Die promovierte Wirtschaftsjuristin hatte bereits davor eine beachtliche Karriere im Top-Management vorzuweisen – inklusive Wien-Erfahrung. Hier hat sie nach ihrem Jus-Studium in Europäischem Wirtschaftsrecht – summa cum laude! – promoviert. Danach war sie unter anderem Geschäftsführerin des Kaufhauses Steffl auf der Kärntner Straße und hat in Großbritannien für renommierte Marken wie Jaguar, Aston Martin und Land Rover gearbeitet, bevor sie nach Stuttgart zu Mercedes-Benz wechselte, wo sie das globale Marketing Communications Team leitete. Später gründete die gebürtige Deutsche ihre eigene Beratungsfirma, war Mitglied in mehreren Verwaltungsräten und Beiräten und lehrte als Gastdozentin an der Universität St. Gallen. Wir wollten von Kristina Hammer im Rahmen des WOMAN ELEVATE Circle wissen, wie es ihr gelingt, dem traditionellen Festival ihre Handschrift aufzusetzen, und wie Kunst unsere Gesellschaft zusammenbringen kann …

Man wird dafür bezahlt, dass man etwas ausstrahlt, was am allerwichtigsten ist:
Zuversicht.

Kristina HammerPräsidentin der Salzburger Festspiele
WOMAN

Sie haben heuer Ihre dritte Festspielsaison abgeschlossen. Wie haben Sie sich in Salzburg eingelebt?

Kristina Hammer

Ich bin zum ersten Mal als kleines Mädchen mit fünf Jahren in Salzburg gewesen. Damals noch im Marionettentheater. Und danach immer wieder mit meiner Familie – aber das waren natürlich Sommerferien mit Kunstgenuss. Am 2. Jänner 2022 bin ich mit drei Koffern am Salzburger Hauptbahnhof angekommen, und das Überraschendste für mich waren die Menschen, die ich an meiner neuen Arbeitsstätte kennenlernen durfte. Heute nenne ich sie die Festspielfamilie. Wir sind über das ganze Jahr 240 Mitarbeiter:innen und im Sommer 4.500 – insgesamt haben wir über 80 verschiedene Berufsgruppen.

WOMAN

Als Neue wird man ja besonders genau beobachtet. Wie haben Sie es geschafft, all diese Menschen für sich zu gewinnen?

Kristina Hammer

Ich habe einen Grundsatz: Man muss am Anfang mehr zuhören als sprechen. Man muss interessiert sein, darf sich nicht vom ersten Eindruck zu falschen Annahmen verleiten lassen, sondern soll Menschen entdecken, neugierig und aufgeschlossen sein. Nicht mit vorgefassten Meinungen hineingehen und glauben, dass man umso klüger ist, je schneller man etwas sagt.

WOMAN

Die Funktion der Festspielpräsidentin ist in Österreich ein prestigeträchtiges Amt. Was hat Sie daran gereizt?

Kristina Hammer

Als ich zum ersten Mal von einem großen Personalberatungsunternehmen kontaktiert und gefragt wurde, ob ich mich bewerben möchte, habe ich gefragt, ob sie mich auf den Arm nehmen wollen. (lacht) Ich wusste: Das Amt wurde seit 104 Jahren von Österreichern, Salzburgern und Politikern ausgeübt – und auch nur ein Mal von einer Frau. In weiteren Gesprächen wurde mir dann aber gesagt, dass man die Aufgabe der Präsidentin in Zukunft neu definieren möchte und dass es weniger darum geht, politisch einzuwirken, sondern mehr darum, die wirtschaftliche Grundlage sicherzustellen, eine zeitgemäße Unternehmenskultur einzuführen und die Strukturen zu modernisieren, innen und außen. Das hat mich inspiriert, an der Ausschreibung teilzunehmen, und das sehe ich auch tatsächlich als meine Hauptaufgabe. Die Salzburger Festspiele zählen zu den schönsten Kulturbetrieben und angesehensten Marken der Welt, das gilt es zu schützen und auszubauen. Dazu gehört auch unser großes Projekt "Festspielbezirk 2030". Wir bauen neben der öffentlich finanzierten Sanierung und Erweiterung dabei ein komplett privat finanziertes Festspielzentrum, wo man die Festspiele in Zukunft ganzjährig erleben kann.

WOMAN

Mit der Ernennung zur Präsidentin sind Sie plötzlich in der Öffentlichkeit gestanden. Wie gehen Sie mit Druck und Kritik in einer so exponierten Position um?

Kristina Hammer

Die öffentliche Rolle hat sehr schöne, aber eben auch sehr herausfordernde Aspekte. Ich würde gerne mit den positiven beginnen. Wenn ich durch Salzburg gehe, merke ich, dass die Menschen das Gespräch mit mir suchen, und das ist genau das, was wir erreichen wollten, denn mir ist es wichtig, dass wir offene Festspiele für alle haben. Die Schattenseite ist natürlich, dass man immer unter öffentlicher Beobachtung steht. Damit muss man zurechtkommen.

WOMAN

Gerade hagelte es in einigen Medien Kritik rund um die Salzburger Festspiele, vor allem Intendant Markus Hinterhäuser und sein Führungsstil sorgten für Schlagzeilen. Wie haben Sie auf die kontroversen Medienberichte reagiert?

Kristina Hammer

Ich habe bis zu einem gewissen Grad Verständnis dafür, dass dort, wo Menschen kreativ und zeitweise unter enormem Druck stehen, auch Emotionen im Spiel sein können. Die Grenze liegt aber dort, wo der Respekt verloren geht oder Menschen in ihrer Würde verletzt werden. Diese rote Linie ist unverrückbar – und dies habe ich gerade erst mit dem Intendanten in einem gemeinsamen Interview öffentlich klargestellt.

WOMAN

Themenwechsel: Ein großes Anliegen von WOMAN ELEVATE ist die Sichtbarkeit von Frauen und deren Know-how. Wie gelingt es Ihrer Erfahrung nach, die eigenen Leistungen sichtbarer zu machen?

Kristina Hammer

Ich habe in meinem Leben Hunderte Vorstellungsgespräche geführt und festgestellt, dass Frauen – im Gegensatz zu Männern – sehr schnell im Gespräch anmerken, was sie nicht können und für eine bestimmte Position vielleicht erst erlernen müssen. Das ist meistens sehr ehrlich, es „verkauft“ sich aber oft unter Wert. Deshalb habe ich in meinem Berufsleben immer versucht, Kolleginnen anzuregen, selbstbewusst zu sein. Ich habe nie Menschen eingestellt, weil sie perfekt für den Job waren, sondern weil sie für die Position „gebrannt“ haben und das Potenzial hatten, diese Funktion optimal zu erfüllen. Machen wir uns nichts vor: Es gibt für Frauen bis heute die gläserne Decke, aber es liegt an uns allen, diese Hindernisse zu überwinden. Männer sind ausdrücklich mitgemeint. Eine Frau möchte ich in diesem Zusammenhang erwähnen: Cecilia Bartoli ist nicht nur eine wunderbare Künstlerin und die Intendantin unserer Pfingstfestspiele, sie ist auch eine bemerkenswerte Persönlichkeit – eine jener Frauen, die andere Menschen in ihrer Umgebung emporheben, damit alle im Licht stehen und ihr Bestes geben können.

WOMAN

Sie haben schon öfter betont, dass Kunst eine politische Kraft hat. Bei der Eröffnung der diesjährigen Festspiele haben Sie sich auch politisch geäußert und gesagt: „Friede, Freiheit und Demokratie“ seien nicht selbstverständlich. Wie sehen Sie die kulturelle Rolle in einer zunehmend polarisierten Welt?

Kristina Hammer

Mein Eindruck ist: Je komplexer die Krisen werden, umso mehr neigen die Menschen dazu, Politiker:innen in Verantwortung zu setzen, die scheinbar simple Antworten haben. Kunst tut genau das Gegenteil. Wir thematisieren seit Jahrhunderten die großen Themen der Menschheit: Macht, Gier, Liebe, Intrigen, Eifersucht, Tod … Diese Momente auf der Bühne bieten dem Publikum die Möglichkeit, zu reflektieren, aber auch Gedankenräume zu öffnen. Wenn ich im Sommer erlebe, wie 255.000 Gäste aus 77 Ländern in Salzburg zusammenkommen, zeigt das: Kunst verbindet. Und es geht dabei nicht darum, dass alle die gleiche Meinung haben. Im Gegenteil, im Anschluss wird heftig diskutiert. Aber die Gemeinsamkeit, die während des Erlebens entsteht, bildet eine Brücke, die Menschen zusammenbringt – egal welcher Nation, Religion oder politischer Gesinnung.

WOMAN

Neben all der Kunst sind die Salzburger Festspiele auch ein Unternehmen. Wie meistern Sie den Spagat zwischen wirtschaftlichem Erfolg und künstlerischer Integrität?

Kristina Hammer

Zunächst ist es sehr wichtig, beides strikt zu trennen. Die Kunst ist absolut unabhängig. Aber es stimmt, die meisten wissen gar nicht, wie wirtschaftlich bedeutend die Salzburger Festspiele sind. Wir haben gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Salzburg gerade wieder eine Untersuchung gemacht und festgestellt, dass wir für Österreich 250 Millionen Euro Wertschöpfung generieren. Wir sichern rund 3.000 Arbeitsplätze, und die öffentliche Hand erhält durch uns jedes Jahr Steuern und Abgaben in Höhe von 95 Millionen Euro. All das stärkt die ganze Region – welche Stadt in dieser Größenordnung hat solche Hotels, Restaurants und wunderbaren Betriebe, deren Anspruch Menschen aus aller Welt genügt?

WOMAN

Es gibt aktuell keinen Bereich, der sich der Digitalisierung entziehen kann. Sehen Sie in neuen Technologien eher Chancen oder Herausforderungen für die Kunstwelt?

Kristina Hammer

Es ist für uns ein großes Thema, sowohl auf den Bühnen wie auch dahinter und davor. Fangen wir bei den Besucher:innen an: Früher war es so, dass unsere Gäste vielfach im Vorfeld das Libretto gelesen haben. Dafür haben heute nur mehr die wenigsten Zeit, deshalb haben wir uns damit beschäftigt, wie wir Informationen besuchergerecht bereitstellen können, und haben angefangen, diese digital anzubieten – als Podcasts, Videos, Texte. Am Tag der Vorstellung schicken wir zusätzlich eine digitale Nachricht aus, in der man sich in komprimierter Form informieren kann. Und wenn der „Jedermann“ wetterbedingt vom Domplatz ins Große Festspielhaus verlegt werden muss, erreichen wir das Publikum mittlerweile direkt am Smartphone. Auch hinter der Bühne wird die Digitalisierung viele Arbeitsprozesse vereinfachen, und auf der Bühne ist es ein herrliches Spielfeld mit dem, was technisch alles möglich ist. Egal in welchem Bereich – es ist entscheidend, was man daraus macht: Unser Kartenbüro sieht sich zum Beispiel mittlerweile als Beratungsbüro. Dadurch, dass wir alle Tickets aufs Handy schicken können, haben unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder mehr Zeit, tatsächlich zu beraten und dem Publikum Tipps zu geben. Das ist eine der schönsten Möglichkeiten, mit der Digitalisierung umzugehen: Es heißt für uns nämlich nicht, Leute einzusparen und durch Chatbots zu ersetzen – nein, wir entlasten damit unser Team von Arbeiten, die auch ein Computer erledigen kann, und lassen sie das tun, was sie am besten können, nämlich mit den Zuseherinnen und Zusehern aus dem gesamten Angebot ein ganz persönliches Programm herauszuarbeiten.

WOMAN

Letzte Frage: Was ist der wertvollste Ratschlag, den Sie während Ihrer Karriere bekommen haben – und auch weitergeben?

Kristina Hammer

Eine Eigenschaft, die als Führungskraft ganz wichtig ist, ist Empathie. Und die zweite ist Bescheidenheit. Mir hat einmal ein sehr kluger Mann gesagt, dass man nicht deswegen in einer Führungsposition ist, weil man so viel klüger ist als die anderen, sondern weil man die Verantwortung trägt. Man wird dafür bezahlt, dass man Kritik einsteckt, vor seiner Mannschaft steht und auch dafür, dass man etwas ausstrahlt, was am allerwichtigsten ist: Zuversicht. Und das Gefühl, dass jemand da ist, wenn man ihn braucht. Wer das nicht kann, sollte nicht in einer Führungsposition sein.

Das war der WOMAN ELEVATE Circle mit Kristina Hammer

Über die Autor:innen

Bild von Melanie Zingl

Melanie Zingl

Chefredakteurin für Gesellschaft, Karriere & Kultur

Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."

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