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Warum der Urlaub am 3. freien Tag beginnt...

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Aktualisiert
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8 min
Frau am Meer mit Handtasche

©Stocksy

... und am 4. Arbeitstag endet: Wie das Abschalten in der freien Zeit besser gelingt und was das alles mit Säbelzahntigern und unserem Monkey Mind zu tun hat.

Meeresrauschen, Sand kitzelt unsere bleichen Zehen, ein eiskalter Sommerdrink mit Blick in die Ferne lässt unsere Endorphine tanzen – ein Traum! Es könnte einfach nur großartig sein: Nichts tun... Wenn da nicht ständig diese fiesen Gedanken wären, die unsere hart erarbeitete Urlaubsidylle vor allem in den ersten Tagen im Minutentakt sabotieren: Noch mal kurz die Arbeitsmails checken? Hilfe – habe ich eh nicht auf die Abwesenheitsnotiz vergessen? Was, wenn ich dringend gebraucht werde? Hätte ich nicht doch meinen Laptop mitnehmen sollen, so für den Notfall? Wird das Projekt auch ohne mich für ein paar Tage weiterlaufen? Und die Deadline? Die Chefin? Die Kund:innen! Ciao Bella, willkommen im Urlaub!

Achtung, Säbelzahntiger!

Verdammt noch mal, warum fällt so vielen von uns das Abschalten so schwer? „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das ständige Nachdenken und die Sorge – eine überproportionale Beschäftigung mit Inhalten aus der Arbeit ist Teil des Alltags. Viele sind hoch identifiziert mit Themen aus ihren Jobs. Wenn man sich außerhalb der täglichen Gewohnheiten bewegt, bedeutet das, die eigene Komfortzone zu verlassen. "Das ist mental aufwendig und kann Unbehagen verursachen“, weiß Sabina Haas. Die Psychologin arbeitet als Business-Coach und Karriereberaterin. Sie erklärt: „Nichtstun ist in unserer Kultur nicht sehr populär. Wir lernen nicht, dass es ,erlaubt‘ ist, einfach mal zu entspannen und unproduktiv zu sein.“

Dazu kommt noch, dass unsere Wochentage meist vollgepackt sind mit Multitasking und wir rund um die Uhr einer Reizüberflutung ausgesetzt sind – auch in unserer Freizeit. Dieser Overload an Eindrücken, mit denen wir zurechtkommen müssen, mache unser „Monkey Mind“ rastlos und süchtig nach weiteren Reizen. „Viele sind, wenn sie den Urlaub antreten, in einem Zustand der Übererregung des autonomen Nervensystems“, berichtet Coach und Psychotherapeutin Sonja Rieder aus ihrer Praxis. „Arbeitstage sind für die Nerven so, als würde ständig ein Säbelzahntiger neben uns stehen und uns Angst und Stress einflößen“, beschreibt die Expertin den ganz normalen Wahnsinn zwischen knappen Deadlines und zu vielen Terminen. Ganz klar, dass das Umswitchen in den Relaxmodus oft als unangenehm erlebt wird.

Übergaben checken

„Der Urlaub beginnt im Kopf und nicht nur im Kalender“, so Haas. Neurolog:innen wissen, dass es bis zu 48 Stunden dauern kann, bis wir mental auch wirklich in Flipflops und unserer Hängematte angekommen sind. „Es braucht Zeit, bis die Zellen verstehen, dass ,die Gefahr‘, also der Arbeitsstress, vorbei ist“, ordnet Rieder ein. Worauf kommt es also an? Gut geplante Übergaben vor dem Urlaubsantritt sind wichtig, sie ermöglichen jene innere Leichtigkeit, die es für den Urlaub braucht. „Weil sich die meisten verantwortlich für ihre Arbeit fühlen, geht es ihnen besser, wenn der Urlaub geordnet, etwa durch Abgabe von Verantwortung, beginnt“, bestätigt Sabina Haas. Ein Ankommensritual kann hilfreich sein, um besser loslassen zu können. Zum Beispiel raus aus den Arbeitsklamotten, fünf tiefe Atemzüge nehmen und sich selbst sagen: Erholung und Entspannung haben ab sofort oberste Priorität, empfiehlt Haas als Mantra. Dass Gedanken an die Arbeit kommen und gehen, sollten wir aber als normale Erscheinung verbuchen. „Vielleicht wird auch innerlich noch etwas verarbeitet, letzte Reste. Unser Gehirn braucht das zur Umstellung“, so Rieder.

Überhaupt erholen wir uns besser, wenn wir unsere gewohnte Umgebung verlassen, also wegfahren, und das für längere Zeit: „Bei den meisten Menschen stellt sich nach drei bis vier Tagen ein Erholungseffekt ein, der Cortisolspiegel sinkt, und die Stresshormone vertschüssen sich. Zehn bis 14 Tage wären eine ideale Urlaubsdauer. Studien belegen, dass der Erholungswert nach drei Wochen nicht mehr wesentlich zunimmt“, unterstreicht Haas. Sofern man nicht täglich Arbeitsmails checkt – eine Erreichbarkeit für Menschen aus dem beruflichen Umfeld sollte nämlich wirklich nur im Notfall möglich sein. Und wie genau so ein Szenario definiert ist, muss unbedingt schon vorher mit dem Team vereinbart werden, so die Jobexpertin.

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Müde Frau am Wasserspender

Urlaubsreif? Menschen, die im Alltag gut abschalten können, profitieren insgesamt stärker vom Urlaub.

 © Getty Images / Unsplash

Abschalten lernen

Einfach mal das Handy weglegen und nichts tun, genau dafür sind freie Tage geschaffen. Rieder: „Kreativität und Innovation entstehen immer nur dort, wo Leere und Nichts sind. Wir leben in einer ungesunden Überbetonung von Leistungsdenken und der Illusion, dass nur die Produktivität uns eine Existenzberechtigung bietet.“ Was wir dabei übersehen, ist, dass Höchstleistung mittel- bis langfristig nur mit regelmäßigen Entspannungsphasen funktioniert. Im Sport zum Beispiel ist es schon lange anerkannt, bewusste, geplante Trainingspausen einzulegen; ja der langfristige Erfolg hängt davon ganz wesentlich ab, ob man dazwischen ruht oder nicht, weiß Rieder und ergänzt: „Auch viele Arbeitgeber denken im Berufsleben viel zu kurzfristig. Wir wollen ja über mehrere Jahrzehnte fit bleiben. Genau deswegen sollten wir unsere Freizeit mindestens genauso wichtig nehmen.“

Sie sieht hier vor allem auch die Verantwortung bei Führungskräften, die ein gesundes Verhältnis von Arbeit und Freizeit vorleben sollten. „Urlaub über lange Zeit stehen zu lassen, sollte zum No-Go erklärt werden.“ Auch Sabina Haas betont, dass die psychologische Erholungskompetenz immer wichtiger wird. Vor allem die abseits der freien Tage. „Es zählt nämlich nicht nur die Dauer, sondern auch die Qualität der Erholung. Jemand, der auch im Alltag bewusst abschalten kann, zum Beispiel durch Achtsamkeitsübungen, Sport oder soziale Aktivitäten, profitiert stärker von Freizeit und Urlaub.“

Klarmachen zum Ankern

Um die entlastende Wirkung des Urlaubs so lange wie möglich auszunutzen, raten Expert:innen dazu, wenn möglich erst ab dem vierten Arbeitstag nach dem Wiedereinstieg Meetings abzuhalten. Das schiebt den Druck weiter hinaus und ermöglicht ein sanftes Ankommen im Joballtag. „Wer den Erholungswert im echten Leben verlängert, steigert damit auch langfristig die persönliche Leistungsfähigkeit“, findet Haas. „Mit mentalen Ankern wie Urlaubsfotos oder Accessoires von der vergangenen Reise kann man die besonderen und erholsamen Momente in den Alltag beamen. Diese kurzen, achtsamen Pausen und Rituale sind wertvolle Energietankstellen im Berufsleben“, hebt Psychologin Haas hervor. „Wir wissen heute, dass ein langfristig gesunder Lebensstil nur dann möglich ist, wenn eine ganzheitliche Balance von allen Lebensbereichen gegeben ist – beruflich, privat und persönlich.“ Abschließender Tipp der Karriereberaterin: „Wir sollten darauf achten, dass auch unsere Freizeit erfüllend und gleichberechtigt mit der Arbeitswelt erlebt wird. Denn erfolgreiche, glückliche und gesunde Menschen haben auch ein aktives Sozialleben und gute persönliche Beziehungen.“

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Sonja Rieder

Sonja Rieder. Die Juristin und Personalmanagerin begleitet als Psychotherapeutin und Jobexpertin Menschen dabei, ihre Ziele zu erreichen. sonja-rieder.at

 © Miriam Mehlman
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Sabina Haas

Sabina Haas. War über 20 Jahre Führungskraft und arbeitet jetzt als Karriereberaterin, Leadership Coach und Psychologin. sabinahaas.at

 © Lars Ternes

Über die Autor:innen

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