
Nicht mehr nur Menschen gestalten, schreiben und entscheiden: Wie sich der Arbeitsalltag verändert, wenn Maschinen Teil des Teams werden.
Sie schreiben Protokolle, prüfen Bewerbungsunterlagen und entwerfen Präsentationen: Menschen arbeiten schon lange nicht mehr nur mit Kolleg:innen, sondern auch mit intelligenten Software Agents. In der Arbeitswelt von heute ist künstliche Intelligenz längst mehr als ein Werkzeug – sie übernimmt eigenständig Aufgaben, bereitet Entscheidungen vor und wird zum aktiven Mitglied im Team. Wir erleben damit den Übergang von der generativen KI, die Texte und Bilder erstellt, hin zur agierenden, die handelt und gestaltet. Für Martin Giesswein, KI-Experte und Program Director des Progamms KI Transforming Business an der WU Executive Academy, ist das eine „sehr interessante und sehr potente Weiterentwicklung der Automatisierung, die es in der Industrie und in der Wirtschaft schon immer gegeben hat“. Durch die agierende KI können nun – im Unterschied zur generativen – auch komplexere Aufgabenteile, die bisher von Menschen übernommen wurden, ausgelagert werden.
Aus der Praxis
Giesswein nennt ein konkretes Anwendungsbeispiel: Eine seiner Studentinnen hat ein Start-up gegründet, das sich auf KI Agents spezialisiert, die Arbeitsprozesse und Erfahrungswissen von Mitarbeitenden sichern. „Durch die hohen Pensionierungswellen ist das eine große Frage, die sich viele Organisationen stellen“, sagt Giesswein. Die Systeme erhalten etwa temporäre Zugriffsrechte auf Bildschirme, beobachten Abläufe und dokumentieren sie. Dadurch entsteht ein digitales Gedächtnis, das auch Nachfolger:innen nutzen können. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis stammt aus dem Recruiting: Nicht selten kommen auf eine Position heute 1.000 Bewerbungen. „Da ist es als Mensch fast unmöglich, eine Selektion vorzunehmen“, sagt Giesswein. Ein Interview-Agent könne dabei helfen, basierend auf der Stellenbeschreibung, aber auch auf Lebensläufen, die hochgeladen werden, Widersprüche zu erkennen und erste Bewerbungsgespräche zu führen. Anhand dieser Vorauswahl wird dann entschieden, welche Kandidat:innen zu einer menschlichen zweiten Runde eingeladen werden.
Unersetzliche Skills
Welche Aufgaben werden weiterhin klar beim Menschen bleiben? Giesswein: „Die Kunst, die richtige Frage zu stellen, um einer KI überhaupt zu ermöglichen, dass sie zu einem Lösungsvorschlag kommt.“ Was es dafür braucht, ist die Fähigkeit, Kontext herzustellen und eine Situation einschätzen zu können – im Betrieb, in einer Wirtschaftslage oder wenn es um das Konfliktpotenzial zwischen Mitarbeiter:innen geht.
Unersetzbar werden Menschen auch dort bleiben, wo auf Kundenseite oder von einem Gegenüber der humane Kontakt erwünscht ist. „Das wiederum ist kulturell sehr unterschiedlich. In Japan ist es so, dass ältere Personen sich lieber von einem Roboter pflegen lassen, bei uns hingegen ist eher eine menschliche Betreuung gefragt.“ Auch die Auseinandersetzung mit der ethischen Konfiguration von KI-Systemen wird dem Menschen vorbehalten bleiben. Essenziell sei, diese so zu gestalten, dass sie überprüfbar bleiben. Doch die große Verschiebung liegt nicht allein in der Technik, sondern in der Rollenverteilung zwischen Mensch und Maschine: „Der Mensch wird eher zum Beauftragenden, also Delegierenden, und am Schluss auch wieder zum Kontrollierenden.“
Human Oversight wird immer nötig sein – aus rechtlichen und qualitativen Gründen.

Generation im Übergang
Tech Leadership Coach Sibylle Tretera, die in internationalen Techkonzernen Führungspositionen innehatte, beobachtet denselben Wandel: „Vielfach haben Menschen Ängste, was die KI betrifft, weil sie befürchten, dass sie von dieser ersetzt werden. Aber im Grunde ist es ein Produktivitätstool, so wie Excel. Nur dass wir diesmal lernen müssen, sein volles Potenzial auch zu nutzen.“
Tretera sieht die größte Chance der Nutzung darin, Routinearbeiten abzugeben, um den Fokus zum Beispiel auf strategische und kreative Tätigkeiten zu legen. „Wenn Maschinen wiederkehrende Aufgaben übernehmen, können sich Menschen auf das konzentrieren, was sie wirklich gut können.“ Doch sie warnt davor, die Systeme sich selbst zu überlassen: „Human Oversight wird immer nötig sein. Aus rechtlichen Gründen, aber auch zur Qualitätssicherung.“ Im Moment mangle es in vielen Unternehmen noch an Strukturen, um KI-Tools intensiv ausprobieren zu können. „Wir sind eine Übergangsgeneration. Aber das ist ein Prozess. Am liebsten wäre es mir, wenn jede und jeder Österreicher:in ein Pflichttraining bekommen würde, um die Basics zu lernen, damit alle auf ein Level gebracht werden.“
Die größte Gefahr ist Technophobie. KI ist kein Jobkiller, sondern die Chance, unseren Wohlstand zu sichern.

Hybride Teams
Für Führungskräfte bringt diese Entwicklung neue Herausforderungen. Sie müssen verstehen, wie KI funktioniert, um Ergebnisse richtig einordnen zu können. Giesswein sieht darin eine neue Schlüsselkompetenz: das Zusammenspiel von Technologieverständnis, Kommunikation und Ethik. Die Zukunft, davon ist er überzeugt, liegt in hybriden Teams, in denen Menschen gemeinsam mit ihren Agents Prozesse gestalten. „Die KI wird zum Mitarbeitenden, den man anleitet.“
Viele Ängste, so Tretera, entstehen aus Unwissenheit. Sie ist überzeugt: „Wenn Führungskräfte zeigen, wie KI praktisch hilft, wie sie Zeit spart und Routineaufgaben erleichtert, dann wird aus Skepsis schnell Neugier.“ Was ist für Giesswein die größte Gefahr? „Technophobie. Dass wir aus Angst zu lange abwarten. KI ist kein Jobkiller, sondern eine Chance, unseren Wohlstand zu sichern.“ Ob PowerPoint, Tabellenkalkulation oder Textverarbeitungsprogramme: Auf kurz oder lang werde KI ohnehin in jeder Bürosoftware landen. Der KI-Experte warnt dennoch davor, einer der Letzten zu sein, die KI aktiv gestaltend verwenden. „Dann hat man einen massiven Wettbewerbsnachteil gegenüber einer Konkurrenzfirma, die die interne oder externe Produktivität bereits mit KI gesteigert hat.“
