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Wer bin ich ohne Job?

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4 min
Frau mit Tüte am Kopf

©Stocksy

Unsere berufliche Identität formt unser Selbstbild – manchmal stärker, als uns lieb ist. Doch wer sind wir, wenn wir nicht arbeiten? Vier Frauen reflektieren ihre Lebenswelt abseits von „9 to 5“.

Es ist das beliebteste Small-Talk-Thema überhaupt: Und, was machst du so? „Wir werden auf Partys nicht nach unseren Hobbys gefragt oder danach, was uns glücklich macht, sondern nach unserem Beruf“, weiß Autorin Mareice Kaiser, die sich in ihren Projekten auf die oft zitierte Work-Life-Vereinbarkeit fokussiert. Unsere Identität wird von unseren Jobs stark geprägt – und umgekehrt. Als „Workism“ beschrieb der amerikanische Journalist Derek Thompson dieses Phänomen bereits 2020 im Atlantic. Arbeit als Heilsbringer für Sinn, Erfüllung und Lebensglück? Nun ja, nicht immer. „Unsere kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsform stellt die Produktivität eines Menschen für das System ganz nach oben. Wer viel leistet, ist nach dieser Logik viel wert“, ordnet Kaiser ein. Das bestätigt auch Arbeitsforscherin Julia Backmann, die an der Uni Münster den Lehrstuhl für Transformation der Arbeitswelt leitet. Effizienz ist in unserer westlichen Welt kulturell tief verankert. Allerdings ist der Wissenschaftlerin aus jüngeren Untersuchungen auch ein markanter Gegentrend aufgefallen: weg von höher, schneller, weiter, hin zu: weniger leisten. „Das Interesse an Downshifting wächst“, bemerkt sie.

Sinnfrage

Eine bedenkliche Entwicklung geht damit einher, viele fragen sich: Wofür überhaupt noch Überstunden schieben, wenn Wohlstand aufzubauen für unter 45-Jährige nahezu unmöglich ist? Wenn Besitz in erster Linie davon abhängt, wie viel von den Eltern an die nächste Generation vererbt wird? Die deutsche Autorin Julia Friedrichs hat sich in ihrem Buch „Working Class. Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können“ (Berlin Verlag) ausführlich mit der wachsenden Ungleichheit beschäftigt und sagt: „Wir entwickeln uns von einer Leistungsgesellschaft weg zu einer feudalistischen Erbengesellschaft.“ Mareice Kaiser beobachtet dieses Phänomen ähnlich: „Die Familie, in die wir hineingeboren werden, bestimmt unseren Lebensweg. Ein sogenannter Aufstieg von einer Klasse in eine höhere war nur eine kurze Generation lang für unsere Eltern erreichbar. Heute zeigen alle Statistiken, dass es kaum noch möglich ist.“





Raum für Neues

Wenig überraschend, dass sich unter solchen Voraussetzungen bei vielen der Fokus verschiebt, weg von Status, Karriere, hin zu mehr Lebensqualität, erklärt Arbeitsexpertin Backmann. Das war auch bei der Wiener Managerin Katharina Häckel-Schinkinger (l.) so. Nach vielen Jahren im Hamsterrad und 24/7-Dauereinsatz reichte es der vierfachen Mutter. „Ich war müde und merkte, dass ich nur noch funktionierte. Quantität war wichtiger als Qualität. So wollte ich nicht weitermachen.“ Sie legte eine mehrwöchige Pause ein und reiste mit ihrer Tochter durch Europa. Heute weiß sie: „Ist jeder Tag getaktet, bleibt kein Raum für neue Gedanken. Zwischen fünf Meetings am Tag entsteht keine Idee. Wer Zukunft gestalten will, braucht eine Gegenwart, die nicht permanent besetzt ist. Wer ständig in Bewegung ist, hat keine Zeit für eine Richtung. Wer dauernd liefert, vergisst irgendwann die Frage nach dem Wofür.“ Dass ihre Pause ein großes Privileg war, ist der 46-Jährigen bewusst: „Die Möglichkeit zu haben, die Unterstützung zu kriegen, es sich schlicht und einfach auch leisten zu können, hat nicht jede:r.“ Häckel-Schinkinger fordert eine neue Zeitkultur in unserer Arbeitswelt. „Zeitwohlstand ist die Voraussetzung für Verantwortung. Dazu gehören Gleichstellung, faire Bedingungen für die oft unsichtbare Care-Arbeit, sichtbare Pausen in Organisationen, weniger Output-Fixierung und mehr Fokus auf Wirkung“, wünscht sie sich. Einfach mehr Zeit zum Leben.

Was würde passieren, wenn der Wert eines Menschen nicht mehr an seiner Karriere gemessen wird? „Das wäre eine gesellschaftliche Revolution“, findet Mareice Kaiser. „Der Blick auf die Gesellschaft wäre ein komplett anderer. Er wäre menschlicher.“ •

Bernadette Arnoldner, Executive Director Talentor Austria

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Bernadette Arnoldner, Executive Director Talentor Austria

„Ich bin eine Frau, mit der man Pferde stehlen kann, humorvoll, energiegeladen und unkompliziert. Beruflich bin ich oft in der Rolle der Entscheiderin und Macherin, aber privat bin ich genauso gern einfach ,ich‘: jemand, der das Leben genießt, sich bewegt, lacht, inspiriert und inspiriert wird. Ob beim Laufen in der Natur, beim Ausflug mit meinen beiden Kids in den Bergen oder beim Abtanzen auf Festivals und Konzerten, ich liebe es, aktiv zu sein und das Leben und die Menschen zu feiern. Freie Zeit ist für mich ein Raum, in dem ich auftanke, mit Kunst, Kulinarik, Musik, Bewegung – all dem, was die Sinne öffnet und das Leben zelebriert. Ohne meinen Job bin ich nicht weniger ich, nur mit anderen Facetten, vielleicht sogar mit noch mehr Leichtigkeit. Ich habe zum Glück (schon) gelernt, die Arbeit in mein Leben einzupassen – nicht umgekehrt. Das war ein Prozess. Früher war ich oft im Modus des Funktionierens, des ,Immer weiter‘ oder ,Es muss noch mehr gehen‘. Heute weiß ich: Ich bin nicht meine Arbeit. Ich gestalte bewusst Übergänge, achte auf Rhythmen, setze Grenzen. Mein Job ist ein wirklich wichtiger Teil meines Lebens, der mir sehr viel Freude macht, aber er definiert nicht mein ganzes Sein. Ich bin Bernadette – mit und ohne Titel. Und genau diese Haltung macht mich in meiner Arbeit wirksam.“

 © Deloitte Garima Smesnik

Birgit Moser-Kadlac, Geschäftsleitung HR Joyn Österreich

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Birgit Moser-Kadlac, Geschäftsleitung HR Joyn Österreich

„Ich liebe meine Arbeit. Was ich tue, ist für mich wie eine richtig gute Serie: spannend, relevant, manchmal überraschend, aber immer mit Herz. Seit 20 Jahren bin ich Teil unserer Sendergruppe. Gleich lange läuft by the way ,Grey’s Anatomy‘ – doch bei mir gibt’s weniger Drama! Was Privatleben und Job angeht, lebe ich definitiv immer ein Duett und kein Duell. Mein Beruf war nie nur Mittel zum Zweck, sondern ein zentraler Teil meines Lebens, weil ich darin das verbinden kann, was mich auch persönlich bewegt. Mein Job und mein Selbstwert führen dadurch auch eine ziemlich enge Beziehung. Ich merke das fast täglich, aber oft nicht bewusst. Aber klar, wenn man zum Beispiel ein gutes Gespräch geführt hat, das Wirkung zeigt, ist das auch ein Booster für das Ego. Trotzdem würde ich sagen: Mein Beruf bestimmt nicht meinen Alltag, er bereichert ihn. Ein Leben ohne Job? Undenkbar! Ich würde mir ziemlich schnell andere Projekte suchen, weil ich einfach besser mit Sinn und Struktur funktioniere. Genauso brauche ich in meinem Privatleben einen Plan – ich bin da ein bisschen Monk, sonst fühle ich mich schnell unproduktiv. Klar, in der Freizeit läuft alles eine Spur langsamer, und vielleicht bin ich dabei ein bisschen umsichtiger mit mir selbst. Vor allem nutze ich diese Zeit, um neue Eindrücke zu sammeln – und ja, die laufen 1:1 wieder in den Job. Ich bin wohl ein Workjunkie. Erwischt!“

 © Bernhard Eder

Katharina Häckel-Schinkinger, Kommunikationsmanagerin

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Katharina Häckel-Schinkinger, Kommunikationsmanagerin

„Arbeit ist mir wichtig. Und Erfolg ist mir wichtig. Aber es ist nicht mehr das Wichtigste im Leben. Mein Beruf ist für mich ein Werkzeug, um die Gesellschaft mitzugestalten, und damit definitiv auch ein Teil meiner Identität. Er definiert mich nicht vollständig, aber er prägt mich. Ich arbeite wirklich gern. Lange Zeit war mein Leben stark leistungsorientiert und zu wenig regenerativ. Wir haben verlernt, innezuhalten, weil wir einen Fetisch für Dauerdringlichkeit und Reportings entwickelt haben. Wir schauen weniger auf die eigentliche Wirkung. Und die hohe Taktung dazu höhlt auch ein wenig unsere Urteilskraft aus. Pausen sind essenziell, weil Erkenntnis und gute Entscheidungen besser in Ruhe entstehen und nicht im Sprint. Wer dauernd rennt, verliert irgendwann die Richtung. Heute plane ich Pausen oder Zeit für mich allein genauso konsequent wie berufliche Termine. Meine letzte Auszeit war ein großes Privileg. Es ging gerade nicht um Pläne oder To-do-Listen, sondern darum, einfach zu sein und mich treiben zu lassen. Da war nicht gleich Entspannung oder Ruhe. Die größte Herausforderung war für mich, die Leere auszuhalten. Ganz gelang das nicht, denn wer reist, vor allem mit Kind, muss trotzdem planen. Unterwegs kam dann endlich ein wenig der Zen-Zustand. Der hat sich aber sehr schnell verflüchtigt, als wir nach sechs Wochen wieder zu Hause waren.“

 © Pamela Rußmann

Johanna Hiemer, Spitzensportlerin Skibergsteigen

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Johanna Hiemer, Spitzensportlerin Skibergsteigen

„Arbeit – in meinem Fall der Sport – ist für mich mehr als eine Tätigkeit. Es ist Leidenschaft, Berufung, Lebensinhalt. Gleichzeitig weiß ich: Ich bin nicht nur die Sportlerin, sondern auch Mutter, Partnerin und ein Mensch mit Interessen jenseits der Berge. Freizeit ist in meinem Leben rar. Wenn sie da ist, verbringe ich sie am liebsten mit meiner Familie. Dieses Gefühl ist anders als beim Sport: Arbeit gibt mir Adrenalin, Struktur und das Streben nach Spitzenleistung. Der Druck ist immens, oft habe ich das Gefühl, nie ganz abschalten zu können. Freizeit schenkt mir Nähe, Geborgenheit und Ruhe. Oft fehlt mir die Anerkennung in meiner Sportart. Viele sehen Leistungssport nicht als Beruf, sondern als ,ausgeübtes Hobby‘. Das kann schmerzen, weil ich Tag für Tag körperlich und psychisch alles investiere. Mein Selbstwert darf daher nicht allein am Applaus hängen – er nährt sich auch durch meine Familie, meine Kinder, die stolz sind auf mich, und durch das Wissen, dass ich jeden Tag alles gebe, um meine Ziele zu erreichen. Jetzt heißt es, konzentriert und bewusst bis zu den Olympischen Spielen 2026 weiterzuarbeiten, um auf die dortige Premiere des Skibergsteigens bestmöglich vorbereitet zu sein.“

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