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Nichts wissen müssen

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Unser erstes Yoga-Retreat

Clauzetto ist der entschleunigtste Ort der Welt. Eher selten verirren sich Nicht-Einheimische hierher. Manchmal sind sie von der Langsamkeit in dieser kleinen, norditalienischen Gemeinde so beeindruckt, dass sie beschließen, für immer dort zu bleiben – aber das ist eine andere Geschichte.

Meine beginnt damit, dass ich diesen Ort für mein erstes Yoga-Retreat aufsuche. Es fühlt sich zunächst nicht so gut an: Die Teenager-Tochter ist vier Tage lang allein daheim. Und der Beste fährt mit, sicherheitshalber ausgestattet mit seinem Rennrad, sodass er jederzeit die Flucht ergreifen kann.

"Haben sie dich dem Yoga-Gott geopfert?"

Doch überraschenderweise erweist er sich als eifriger Schüler. Trotz eines verletzten Knies lässt er keine Yoga-Einheit aus, schaufelt basische Ayurveda-Kost in sich hinein und nimmt sogar an den Satsangs teil. Was das ist, weiß niemand so genau, aber es bedeutet so viel wie „Treffen in der Wahrheit“ und man sitzt dabei in einer Gruppe und wartet ab, was passiert. Meist nicht viel. Man schweigt, lächelt und wenn eine Frage hochkommt, darf sie gestellt werden.

 Der Beste ist ungewöhnlich ausgeglichen. Vielleicht auch deshalb, weil ihm genügend Zeit für ausgedehnte Bike-Touren bleibt. Sogar die Tochter daheim wundert sich, weil er auf ihre Nachrichten – dem Funkloch geschuldet – lange nicht antwortet und witzelt: „Haben sie dich schon zu Porridge verbraten? Oder dem Yoga-Gott geopfert?“

Wir lachen und lernen viel. Ich vor allem, die Besserwisserin in mir mal zum Schweigen zu bringen. Wer will mir schon was über gesunde Ernährung erzählen? Oder darüber, dass es nur unsere Gedanken sind, die uns stressen? Darüber schreibe ich doch seit mindestens 20 Jahren! Nichts wissen müssen – das sei überhaupt das Schönste und Befreiendste, erfahre ich und das muss erst langsam sickern in meinen Kopf, der sich immerzu weiterbilden und neue Informationen sofort analysieren, vergleichen und einordnen möchte.

Legendär: Binos Minimarkt und Bar

Die kleine Gruppe wächst jeden Tag mehr zusammen, aber auf ungezwungene und nicht vereinnahmende Weise. Überhaupt bilden hier Hedonismus und Achtsamkeit eine gute Koalition – wir sind schließlich in einer der genussvollsten Regionen Italiens. Also besuchen wir den legendären Bino – er wird auch „das Google von Clauzetto“ genannt, weil er alles hat und alles weiß. Sein kleiner Supermarkt mit einer delikaten Wurst- und Käsetheke versprüht Retro-Charm und verwandelt sich abends in eine Bar für trinkfreudige Einheimische. Schließlich stibitzen sich der Beste und ich sogar einen ganzen Tag nur für uns beide – und machen einen Ausflug nach Udine.


Als wir abends nach Clauzetto zurückwollen, ist die Straße durch das Tal gesperrt. Was nun? Das GPS versagt komplett; es gibt offensichtlich keine Möglichkeit, den Fluss Tagliamento zu überqueren. Es regnet, es ist finster und wir haben kein Netz – wie in der Anfangs-Szene der Rocky Horror Picture Show, nur dass uns kein „guiding star“ den Weg weist.

Da kommt uns eine ältere Frau auf ihrem Rad entgegen.  Sie versucht, uns zu helfen, aber wir verstehen wir nur „ponte“ und „destro“. Sie klingelt bei einem Hauseingang: der Besitzer spreche Deutsch. Ein junger Bursch öffnet, kann uns mit seinem gebrochenen Englisch aber auch nicht weiterhelfen. Schließlich taucht sein Vater auf, der tatsächlich ein bisschen Deutsch kann und uns bittet, ihm einfach nachzufahren. Nach etwa zwanzig Minuten wissen wir, wie wir unser Quartier erreichen. Dankbar wollen wir dem Italiener einen Euro-Schein zustecken, doch nein, das komme überhaupt nicht in Frage.

Vielleicht stimmt es ja wirklich: Man muss nichts wissen. Irgendwie geht es immer weiter.

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