Sie startet ein neues Kapitel im Leben: Nach 35 Jahren im Kunsthistorischen Museum und 16 als dessen Direktorin verlässt Sabine Haag die Institution. Was sie dabei über Erfolg und Frauen an der Spitze gelernt hat – ihr Fazit.
Bis Ende des Jahres hat sie noch viel Arbeit vor sich. Wer das Büro von Sabine Haag, 62, betritt, sieht erst mal volle Bücherregale – die ganze Wand entlang. Davor steht eine Aluleiter: "Ich bin am Ausmisten. Wenn ich alles einfach so nach Hause transferiere, bekommt mein Mann einen Schock." Bis Ende des Jahres ist die Direktorin des Kunsthistorischen Museums noch im Amt, dann wird sie die Institution nach 35 Jahren verlassen. "Der tägliche Gang durchs Museum wird mir abgehen, das weiß ich jetzt schon. Und natürlich auch meine Mitarbeiter:innen", sagt die Kunsthistorikerin, als wir sie zum Interview treffen. "Umso wichtiger ist es jetzt für mich, aber auch für mein Team, dass wir diesen Abschied bewusst und gemeinsam erleben, um dann auch bereit für das Neue zu sein." Wie dieser nächste Lebensabschnitt für die dreifache Mutter – ihr ältester Sohn Martin ist 28, die Zwillinge Matthias und Max sind 26 – aussehen wird und wie sie die intensiven Jahre zwischen Job und Familie erlebt hat …
Ende des Jahres verlassen Sie das Kunsthistorische Museum. Was überwiegt: Freude oder Wehmut?
Es ist eine Mischung aus vielen Gefühlen. Ich habe mich ja selbst dazu entschlossen, deshalb spüre ich in erster Linie eine unglaubliche Freude darüber, was ich in dieser Zeit alles erleben und mit meinem Team entwickeln durfte. Es ist auch sehr viel Stolz dabei, wenn ich daran denke, wie viele meiner Visionen ich für das Haus, aber auch für das Publikum ja, und daher ist für mich auch sichergestellt, dass das Museum weiterhin blühen und gedeihen wird.
Ist auch Genugtuung dabei? Nachdem 2019 eigentlich bereits Eike Schmidt im Gespräch als neuer Direktor war und einen Monat vor seinem Antritt abgesagt hat …
Dieses Gefühl kenne ich nicht. Die Zeit, in der dieser Wechsel im Raum stand, der sich dann nicht konkretisiert hat, war natürlich schwierig, aber ich habe ehrlich gestanden immer nur das Wohl des Museums im Auge gehabt, und deshalb ist es schön, dass ich die vergangenen fünf Jahre doch noch in dieser Funktion sein konnte. Leider war ein Großteil der Zeit durch die Pandemie geprägt, das hat unsere Aufwärtsentwicklung zunächst einmal zum Erliegen gebracht. Wir mussten unsere Strategie anpassen, um an die früheren Erfolge anzuschließen. Besonders stolz macht mich jetzt die Ausstellungseröffnung "Rembrandt – Hoogstraten" – ich habe mir diese Schau gewünscht, insofern ist es ein Abschiedsgeschenk für mich, aber vor allem auch für unser Publikum.
35 Jahre – davon 16 als Direktorin – sind eine lange Zeit. Wie haben Sie sich persönlich entwickelt?
Als ich ans Haus gekommen bin, war ich Werkvertragsnehmerin. Es war nicht absehbar, wie sich meine Karriere entwickeln und wie das später mit Familie vereinbar sein würde. Heute weiß ich, dass beides möglich ist, wenn die Rahmenbedingungen dafür gegeben sind. Und dass man als Frau und als Mutter für Unternehmen wertvoll ist. Deshalb war es für mich ganz selbstverständlich, für Mitarbeiterinnen dahingehend Möglichkeiten zu finden und sie zu ermutigen, die Partner in die Kinderbetreuung miteinzubinden. Ich habe auch gelernt, große Projekte aufzusetzen und dafür zu sorgen, dass sie zu einem Abschluss kommen. Und ich hoffe, es ist mir gelungen, eine gute Unternehmenskultur zu leben, Kommunikation, Transparenz, Offenheit und Wertschätzung jedem Einzelnen entgegenzubringen. In einer Führungsposition muss man Verantwortung übernehmen. Dazu gehören viele positive Ereignisse, aber eben auch schwierige Entscheidungen – hier ruhig durchzugehen und Flagge zu zeigen, war mir immer wichtig.
Ihr Job war für Sie sicher mehr als ein Beruf, eine große Berufung. Wie viel Bestätigung haben Sie daraus gezogen?
Ich möchte es noch positiver formulieren: Ich habe immer viel Energie aus meiner Tätigkeit ziehen können. Natürlich war auch Bestätigung dabei, wenn etwas gelungen ist. Ich bin durch meine Funktion eine öffentliche Person geworden – die bin ich auch, wenn ich privat in der Josefstadt einkaufen gehe oder in der Straßenbahn unterwegs bin. Es hat mich immer gefreut, wenn mich jemand angesprochen hat, der mich im Fernsehen gesehen hat oder in einer unserer Ausstellungen war.
Beim WOMAN ELEVATE Circle haben Sie vor einigen Monaten dafür plädiert, dass wir noch mehr Frauen in den Führungsetagen brauchen. Sehen Sie sich hier auch als Mentorin?
Erstens glaube ich stark an gemischte Teams, diese Diversität muss sich auch in verantwortungsvollen Positionen zeigen. Ich weiß und sehe das auch immer, dass Frauen sehr gewissenhaft sind und die Verantwortung, die sie übernommen haben, auch tatsächlich leben wollen. Und ich habe erlebt, dass Frauen, insbesondere dann, wenn sie auch Familie haben, die besten Multitaskerinnen sind, die man sich vorstellen kann, weil sie es gewohnt sind, zu organisieren, Flexibilität zu leben und an mehreren Stellen das Beste zu leisten. Als Generaldirektorin habe ich mich immer bemüht, im Rahmen meiner Möglichkeiten Frauen zu unterstützen. Es braucht aber auch von ihnen selbst Mut, sich etwas zuzutrauen, und nicht zurückzuziehen, wenn man etwas angeboten bekommt.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen in den vergangenen 16 Jahren?
Da gab es viele, und ich möchte ganz offen sagen: Ich habe mich vor den falschen Dingen gefürchtet. Immer wenn ich dachte, dass dieses oder jenes kompliziert werden könnte, waren das nicht die großen Schwierigkeiten, die haben sich ganz woanders aufgetan. Ein großes Learning war, dass man an der Spitze schon sehr einsam ist. Die Entscheidungen, die man trifft, trifft man letzten Endes allein. Man diskutiert, wägt das Für und Wider ab, das habe ich auch immer sehr genau gemacht, schlussendlich muss man dann aber allein durch. Und auch mit den Konsequenzen leben.
Sie sind in einer Zeit Museumsdirektorin geworden, die viele als Rushhour des Lebens bezeichnen – Kinder, Karriere, Ehe … Wie ist sich das alles ausgegangen?
Rückblickend wundere ich mich selbst, aber es hat sehr gut geklappt. Die größte Herausforderung war sicher die Zeit, in der ich zur Generaldirektorin bestellt wurde. Unsere drei Söhne sind altersmäßig sehr eng zusammen, die Zwillinge waren damals gerade am Sprung ins Gymnasium und schon noch in einem Alter, in dem sie beide Eltern sehr gebraucht haben, sowohl für die Betreuung als auch emotional. Dazu kam, dass mein Mann, dem ich bis dahin den Rücken freigehalten habe für seine Karriere, und ich sozusagen Rollen getauscht haben. Es hat ein bisschen gebraucht, bis wir da alle eingespielt waren, aber wir haben es geschafft – vor ein paar Wochen haben wir unseren 34. Hochzeitstag gefeiert.
Wie ist Ihnen das so gut gelungen?
Mein Rat wäre, Herausforderungen bewusst zu sehen. Familie und Beziehung vor lauter beruflicher Anstrengung nicht aus den Augen zu verlieren. Und sich selbst im richtigen Ausmaß wichtig zu nehmen.
Ist dabei auch etwas zu kurz gekommen?
Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass alles geht. Meine Prioritäten waren klar, und an letzter Stelle kam ich mit meinen Bedürfnissen. Das empfinde ich auch rückblickend als richtig.
Als ich Sie und Ihre Söhne 2009 zum Interview getroffen habe, haben Sie zum berühmten schlechten Gewissen gemeint: "Meine Kinder wissen, dass ich gerne arbeite, sie wissen aber auch, dass ich zu Hause dann ganz für sie da bin." Hat sich das auch auf das Berufsverständnis der nächsten Generation übertragen?
Ja, die Kinder haben immer gespürt, was es ausmacht, wenn man einen Beruf hat, der Freude macht. Und, was ich besonders schön finde, es hat sich auf ihr gesamtes Leben übertragen. Sie sind mittlerweile alle ausgezogen, haben Freundinnen und führen gleichberechtigte Beziehungen. Bis zum heutigen Tag sind meine Kinder die Einzigen, für die ich immer erreichbar bin – egal in welcher Situation. Das habe ich ihnen versprochen: Wenn sie mich brauchen, wissen sie, wo sie mich finden.
Wie werden Sie in Ihre nächste Lebensphase starten?
Gedankliche Vorbereitung hilft natürlich, aber es ist dann doch etwas anderes, wenn es wirklich so weit ist. Ich werde mich ein Stück weit neu erfinden müssen, das wird spannend. Was mir helfen wird, ist das Bewusstsein, dass jeder seines Glückes Schmied ist. Man ist immer selbst dafür verantwortlich, wie man mit bestimmten Situationen umgeht.
Angenommen, wir treffen uns in einem Jahr wieder: Was erzählen Sie mir, wie sich Ihr Leben anfühlt?
Leichter, freier und ohne Belastungen. Aber hoffentlich genauso glücklich.
Über die Autor:innen
Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."