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Die Legende: Wer war die "Wilde Wanda"?

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"Wilde Wanda" Kuchwalek

"Wilde Wanda" Kuchwalek

©Pammer Film / Kurier

Sie galt als Ikone der Wiener Unterwelt: "Wilde Wanda" Kuchwalek ist eine der tragischsten und schillerndsten Figuren der österreichischen Kriminalgeschichte. Ein neues Buch gibt Einblick in ihr Leben.

Sie wurde gefürchtet, geächtet und zugleich bewundert: Ab Mitte der 1960er-Jahre wagte es Wanda Getrude Kuchwalek, besser bekannt unter ihrem Spitznamen „Wilde Wanda“, das Revier der Strizzis in Wien zu betreten – und zu erobern. Bis heute gilt sie als die einzige namhafte Zuhälterin der Stadt. Der Musikwissenschafter, Autor und Journalist Clemens Marschall hat ihre Lebensgeschichte nun in dem Buch „Wilde Wanda“, das am 1. Oktober erschien, nachgezeichnet. Dieses Vorhaben entwickelte sich über viele Jahre hinweg. „Ich hab mich in den letzten 20 Jahren viel mit der Wiener Halbwelt beschäftigt, verschiedene Strizzis und Prostituierte kennengelernt, mir vom Milieu erzählen lassen“, sagt Marschall. 2016 erschien sein Buch „Golden Days Before They End“ (Edition Patrick Frey, € 52,–), das er mit dem Fotografen Klaus Pichler veröffentlichte, um die verschwindenden Wiener Tschocherln und Espressos zu dokumentieren. „In diesen Lokalen trifft man immer wieder gewisse Charaktere und hört Geschichten. Auch über Wanda.“ Nicht immer klangen diese Anekdoten glaubwürdig. „Die Unwissenheit machte mich neugierig, was denn dran ist an Wiens einzig weiblicher und obendrein lesbischer Zuhälterin.“

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Cover der Biografie "Wilde Wanda"

"WILDE WANDA" Ein unglaubliches Leben voller Gewalt, Macht, Skandale und Mythen: das Porträt von Wiens einziger Zuhälterin. Brandstätter Verlag um € 26,–.

 © Brandstätter Verlag

Spirale der Gewalt

Geboren wurde Wanda 1947 als Tochter einer Schlangentänzerin und eines russischen Soldaten, den sie nie kennenlernte. Ihre Kindheit spielte sich zwischen Zirkuswagen, zerstörten Praterlandschaften und Armut ab. Schon als junge Teenagerin begann sie zu trinken, stehlen, sich zu prügeln. Es folgten Aufenthalte in Heimen, damals „Besserungsanstalten“ genannt, in denen Gewalt und Demütigung an der Tagesordnung standen. Dort wurde der Grundstein für ihre spätere Karriere in der Halbwelt gelegt: Wer überleben wollte, musste lernen, sich zu wehren. In dieser Umgebung entdeckte Wanda ihre Sexualität – offen lesbisch zu leben, galt in dieser Zeit mehr als Provokation denn als Bekenntnis.

Im Rotlichtmilieu sprach sich bald herum, dass diese Frau nicht nur Waffen trug, eine Stahlrute im Stiefelschaft etwa, sondern diese auch zu nutzen wusste. Ihre „Pferderln“, wie Prostituierte im Milieu genannt wurden, beschützte Wanda, bestrafte sie jedoch auch brutal. Mehr als ein Mal griff sie zur Rasierklinge, um ihnen das Gesicht zu zerschneiden. Ihr Weg war gesäumt von Haftstrafen und Einweisungen ins Arbeitshaus, von Eskapaden und Abstürzen. Um dieser widersprüchlichen Frau gerecht zu werden, begann Marschall eine jahrelange Spurensuche. Er durchforstete Archive, kontaktierte ihren lebenslangen Anwalt und suchte in Wiens verborgenen Winkeln nach Vertrauten Wandas. „Die meisten von ihnen waren Frauen und für mich irrsinnig wichtig, um ein glaubwürdiges Bild von Wanda zu erhalten – im Guten wie im Schlechten. Letztlich haben sich viele Stränge meiner jahrelangen Recherchen in der Figur der ‚Wilden Wanda‘ und in diesem Buch vereint.“ Herausgekommen ist dabei eine detailreiche Rekonstruktion, die nicht nur Wanda näherbringt, sondern auch ein Stück Stadtgeschichte eines Wiens konserviert, das es so längst nicht mehr gibt.

Wanda starb 2004, einsam und verarmt. Die Mythen um sie leben weiter: die Frau, die Männern das Fürchten lehrte; die Liebhaberin, die Justizbeamtinnen verführte und sich von ihnen Geschenke machen ließ; die Zuhälterin, die sich dem Patriarchat des Milieus widersetzte. Dennoch gelang es ihr nie, die Spirale von Gewalt und Missbrauch zu durchbrechen. In dieser Hinsicht ist Marschalls Buch auch ein Balanceakt: Er schreibt Wanda weder zur feministischen Ikone hoch, noch verurteilt er sie. Stattdessen zeigt er, wie dünn die Linie zwischen Überleben und Untergang sein kann.

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