
Abgeschieden. Eine der spannendsten Wiederentdeckungen und Revitalisierungen Skandinaviens in diesem Jahr: das norwegische Eilandhotel Lilløy – untergebracht im größeren der beiden einzigen Häuser des Inselchens.
©Jack JohnsEin kleines, felsiges Fleckchen Erde mitten im Meer: In Norwegen wurde das Eiland Midtøy mit den beiden Häusern wiederentdeckt – und behutsam von zwei Designerinnen renoviert. Der Traum von der Auszeit auf der einsamen Insel? Im Hotel „Lilløy“ wird er nun wahr.
Die Luft ist klar, leicht salzig, Nebelschleier liegen über dem Fjord. Erste Sonnenstrahlen brechen durch die Wolken und lassen das Wasser silbern glitzern. Der Duft: eine Mischung aus Seetang, feuchtem Holz und Salz. Irgendwo klatscht ein Paddel ins Wasser. Möwen kreischen in der Ferne. Mit etwas Glück zeigen sich Seeadler oder Wale. Sonst herrscht Stille, eine Ruhe, die im Eilandhotel Lilløy Lindenberg fast alltäglich ist.


Auch draußen lässt sich vieles erleben – etwa beim Kajakfahren. Am imposantesten ist es am frühen Morgen.
© Courtesy of Lilloy Lindenberg, Jack JohnsDer Reiz der einsamen Insel
Hier auf der Privatinsel Midtøy, eine kurze Bootsfahrt von der Insel Herdla entfernt, ticken die Uhren langsamer. Nur zwei Häuser stehen auf dem rund 8,5 Hektar großen Eiland: ein 162 Quadratmeter großes Cottage und ein 54 Quadratmeter großes Bootshaus. Drumherum nichts als Natur. Ein Ort, so abgeschieden wie besonders – und einer, der den Traum vom Inselurlaub Wirklichkeit werden lässt: Seit Anfang des Jahres empfängt das verwunschene, geschichtsträchtige Eiland – einst Heimat mehrerer Familien und während des Zweiten Weltkrieges Zufluchtsort für russische Gefangene, die von den Insulaner:innen liebevoll versorgt wurden – wieder Gäste im Hotel Lilløy („kleine Insel“, Anm.).
Dafür musste das alte, typische Westküstenhaus wieder mit neuem Leben gefüllt werden: Heute begegnet man hier Räumen, die ihre ursprüngliche Schlichtheit, Klarheit bewahrt haben, zugleich aber behutsam ins Heute übersetzt wurden – dank warmer Hölzer, weicher Stoffe und handgefertigter Details, die die Natur ins Innere holen. „Es ist ein bewusst unvollkommener Ort, der sich wie ein Zuhause anfühlt, nicht wie ein Hotel“, erzählt das mit der Umgestaltung beauftragte Designduo „Vera & Kyte“ (Vera Kleppe & Åshild Kyte, Anm.) mit Sitz in Bergen über das Getaway.


Die kreativen Köpfe hinter der Umgestaltung: das Designduo Vera Kleppe (l.) und Åshild Kyte (r.), bekannt als „Vera & Kyte“.
© Robert Rieger

Nach der zehnminütigen Überfahrt von der Nachbarinsel Herdla legt man am hölzernen Bootshaus von Midtøy an und gelangt von dort zum Hotel.
© Jack JohnsFreiheit & Vision
Bereits 2020 von der deutschen Hospitality-Gruppe Lindenberg für das außergewöhnliche Projekt engagiert, wagten sich die beiden erfolgreichen Innenarchitektinnen und Designerinnen, die bereits für Möbelmarken wie Heymat, Bolia oder Northern Homeware entworfen haben, auf ein gestalterisch neues Terrain: „So ortsspezifisch zu arbeiten, mit so viel Freiheit und Vision, das kommt selten vor“, so Kleppe. „Schon beim ersten Besuch, als man wortwörtlich durch das Dach sehen konnte, war klar, dass dieses Projekt Sensibilität brauchte. Das Haus trägt viele Schichten von Geschichten in sich. Unser Ziel war nie, sie zu überdecken, sondern sie subtil zu verstärken. Die Innenräume mussten Wärme und Haptik bieten, um der rauen, windgepeitschten Landschaft draußen etwas entgegenzusetzen. Jede Entscheidung folgte den Elementen und der Nähe zur Natur“, ergänzt Kyte. So sollen jetzt Hölzer im Haus, dessen Zimmer einzeln buchbar sind oder als Ganzes für zehn Personen, an Treibgut erinnern, raue Oberflächen an Küstenfelsen, sanfte Töne an Himmel und Meer. Eine Gestaltung, die stets die Kraft der Insel spürbar macht.


Das Interior ist schlicht und nordisch, mit natürlichen Materialien, die die Natur ins Innere tragen.
© Robert Rieger

Durch die großen Fenster öffnet sich der Blick hinaus auf Meer, Felsen und Himmel.
© Robert RiegerDas Wetter wurde zum Mitgestalter. „Manchmal mussten Fahrten wegen Sturm verschoben werden“, erinnert sich Kyte. Jede Ankunft auf der Insel bedeutete, sich neu einzulassen auf Böen, Regen, Sonne, Nebel. Für die Designerinnen war es, als würden sie bei jedem Besuch eine andere Welt betreten. Ein Perspektivwechsel, der ihnen half, die Räume konsequent auch aus Sicht der Gäste zu denken. „Auf einer Insel zu gestalten, macht einem bewusst, dass man nicht alles kontrollieren kann. Man empfindet eine Demut, die sehr wohltuend ist“, so Kleppe.
Slow Down
Kein Straßenlärm, keine Ablenkung, nur Wind, Wasser und weite Stille. Schon die zehnminütige Bootsfahrt von Herdla (die Autofahrt von dort zum International Airport Bergen dauert 40 Minuten, Anm.) taucht Besucher:innen in eine andere Welt. „Das Hotel lädt ein, das Tempo zu drosseln. Es gibt eine bewusst inszenierte Ruhe – vom Bootstransfer bis zur Stille, die man im Haus spürt. Es ist nicht nur ein Aufenthalt, es ist ein Reset der Sinne“, erzählt Kleppe.
Diese ganzheitliche Haltung prägt auch die Küche: So serviert Resident Chef Antje de Vries pflanzenbasierte Gerichte, inspiriert von den Jahreszeiten und der Umgebung. Auf der eigenen Unterwasser-Seegrasfarm wachsen Algen, im kleinen Insel-Shop gibt es lokal bezogene Zutaten. Alles, was die Insel hervorbringt, soll die Wahrnehmung schärfen.


In die Sauna bei Sonnenuntergang gehen und Zeit am Esstisch verbringen, das sind laut Designerin Åshild Kyte Must-dos. Der Esstisch ist das Herzstück des Hauses.
© Jack JohnsInselzauber
Wie sehr das gelingt, wurde den beiden kreativen Norwegerinnen erst nach Fertigstellung bewusst. „Unser erster Besuch nach Abschluss des Projekts fühlte sich fast magisch an. Beim gemeinsamen Abendessen mit neuen und alten Bekannten sahen wir plötzlich den Ort durch ihre Augen. Sie nahmen Stimmungen, Details, Atmosphären wahr, die wir uns erhofft hatten. Einmal ohne Maßband dort zu sein, nur als Besucherin, war ein seltenes Stück Freiheit“, erinnert sich Kyte.
Die kostbare Auszeit lässt sich im Lilløy beim Kajakfahren im Morgengrauen, bei Abenden am Lagerfeuer unter dem Sternenzelt oder in der heißen Sauna mit Blick aufs Meer intensiv erleben. Momente, die den Ort unmittelbar spürbar machen. Gäste tauchen in den Rhythmus des Insellebens ein und entschleunigen vollends. Kytes persönlicher Tipp: der Weg hinauf zur Sauna kurz vor Sonnenuntergang. „Der Blick von oben ist außergewöhnlich, der Kontrast von Hitze und Meeresbrise unvergesslich.“ Ebenso wichtig ist es, Zeit am großen Esstisch zu verbringen, ob mit Freund:innen oder Fremden. Ein Platz, den die Designerinnen bewusst als Herzstück des Hauses gestaltet haben. Für Begegnungen und zum Teilen von Geschichten.


Die Schlafzimmer im Lilløy sind einzeln buchbar (ab € 590,–/Nacht) – oder man mietet einfach die gesamte Insel für bis zu zehn Gäste (ab € 1.600,–/Nacht). Mehr unter thelindenberg.com
© Robert Rieger