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Single oder Beziehung: Welcher Lebensweg ist besser?

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Single oder Beziehung: Welcher Lebensweg ist besser?

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Was macht Partnerschaften heute aus? Psychotherapeutin Bea Pall meint, wir können uns selbst nur durch Beziehungen weiterentwickeln. Autor Felix Lill feiert das Alleinsein. Wer hat Recht?

Zu lieben und mit jemandem durchs Leben zu gehen – das ist ein Grundbedürfnis. Und durch den Austausch innerhalb einer Beziehung entwickeln wir uns persönlich weiter. Paartherapeutin Bea Pall ist sich sicher: "Der Mensch ist ein soziales Wesen. Es liegt in unserer Natur, für andere da sein zu wollen, einander zu begegnen und sich auszutauschen. Diese Dimension der Liebe, die man erfährt, wenn man mit jemandem Gutes sowie Schlechtes teilt, das gibt es in Freundschaften nicht." Die partnerschaftliche Liaison ist und bleibt, ihrer Meinung nach, etwas Besonderes: "Ich halte Freundschaften für sehr wichtig, aber die romantische Liebe hat eine andere Qualität. Ich will nicht jeden Morgen neben meiner besten Freundin aufwachen. Bei Konflikten mit Freunden geht man sich außerdem mal aus dem Weg, aber in einer festen Verbindung muss man sich miteinander auseinandersetzen. Man wächst dadurch."

Klar, die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung mit längeren Ausbildungszeiten lässt die Familienplanung nach hinten rücken. Überhaupt gibt es mittlerweile viele Optionen für die private Lebensgestaltung. Das stresst auch: "Die Entscheidung darüber, wie man leben will, wird oft bewusst hinausgeschoben. Dadurch bleiben die Menschen länger alleine, als das vielleicht früher der Fall war. Alleine leben heißt aber nicht, dass man automatisch Single sein muss." Dafür wurde etwa das Modell "LAT – Living Apart Together" gefunden: Man ist liiert, lebt allerdings in getrennten Wohnungen oder an verschiedenen Orten. Die klassischen Familienstrukturen gibt es nicht mehr, jeder kann seinen Alltag nach seinen Bedürfnissen gestalten. Trotzdem sieht die Familientherapeutin bei den Menschen das Bedürfnis, ihr Leben mit jemand anderem zu teilen. Und das auch öffentlich zu machen: "Die Ehe ist nach wie vor ein Zeichen der Zugehörigkeit. Auch wenn vor allem dann geheiratet wird, wenn es gemeinsame Kinder gibt. Weil es dann auch einen rechtlichen Unterschied macht. Gleichzeitig denke ich aber, dass die Partner heutzutage genau wissen, worauf sie sich einlassen. Eheverträge nehmen zu, damit man später – im Fall einer Scheidung – nicht mühsam über die wirtschaftliche Aufteilung streiten muss."

Abenteuer statt Abhängigkeit – Ehe neu

Das Heiratsalter steigt, die Eheschließungen aber auch. Zwar sind Frauen (von 24,3 auf 30,3 Jahre) und Männer (von 26,5 auf 32,6 Jahre) heute statistisch gesehen älter als noch in den 90ern, wenn sie zum ersten Mal Ja sagen, in Österreich werden jährlich – nach einem Tief in den 2000er-Jahren – aber weiterhin im Durchschnitt rund 45.000 Ehen geschlossen. Wie das Zusammenleben dann gestaltet wird, ist jedoch anders als früher: "Die Ehe hat sich verändert. Mittlerweile haben gleichgeschlechtliche Paare die Möglichkeit, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Auch in heterosexuellen Beziehungen wird die Ehe partnerschaftlicher. Zwei gleichberechtigte Personen entscheiden sich bewusst füreinander als Ausdruck der Liebe, Verbundenheit und Zugehörigkeit", so die Expertin. Die Gründe dafür: "Weil es eine freie Entscheidung sei. Losgelöst von Aufträgen aus Herkunftsfamilien, der Gesellschaft, Politik oder Religion." Das heißt auch, dass bewusst überlegt wird, wie die Partnerschaft gestaltet werden kann. Eine Verbindung zwischen zwei Verliebten findet auf Augenhöhe statt. Jeder ist für sich verantwortlich, aber genauso für das gemeinsame Leben. Die Frau ist ebenso unabhängig wie der Mann: "Die Entscheidungen werden zusammen getroffen. Noch vor 20 Jahren war der Mann oft der aktive Part, die Frau eher passiv. Jetzt findet alles viel gleichberechtigter statt. Die Führung wird geteilt, und man muss zusammen einen Konsens finden."

Die oft erwähnte Selbstverwirklichung schließt Kompromisse nicht aus –im Gegenteil: "Unabhängigkeit bedeutet nicht Widerwillen gegen Bindung. Wenn ich gut auf mich schaue, tut das auch der Liebe gut. Ich brauche die Freiheit, meine Bedürfnisse zu leben, dann bin ich auch in der Beziehung glücklicher und kann das teilen." Der britische Soziologe Anthony Giddens hat den Begriff der "confluent love", der zusammenfließenden, partnerschaftlichen Liebe, geprägt: "Nicht das Schicksal führt zwei Menschen zueinander, sondern die Anerkennung des Zufalls. Es geht um die ständige Beziehungsarbeit, das permanente Abgleichen von Wünschen und Vorstellungen."

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Bea Pall, 53, Paarcoach: Seit über 20 Jahren ist Bea Pall als Therapeutin (beapall.com) tätig. Die Wienerin macht Paar-, Familien-und Elterncoachings. Intensiv hat sich die Expertin in ihrer Arbeit auch mit dem Thema Gefühlsmanagement beschäftigt. Sie ist überzeugt: "Liebe ist ein Grundbedürfnis!"

© Peter Strobl/Privat

Durch diese Form der Partnerschaftlichkeit entwickelt sich ein neues Bewusstsein: Was verbindet uns? Was trennt uns? Das Wissen darüber, wo man einander ergänzt und in welchen Dingen die Einstellungen auseinandergehen, ist ein Gewinn. Vorausgesetzt, man weiß das für sich zu nutzen. Coach Pall erklärt: "Es braucht Toleranz, wenn man zu zweit leben möchte. Ich kann mich entscheiden: Will ich das Trennende ständig hereinholen und darüber diskutieren? Oder akzeptiere ich es einfach und konzentriere mich stattdessen auf Gemeinsamkeiten? Den Traumpartner gibt es nicht – nobody is perfect. Aber wenn ich den Fokus auf das Positive lege, stärkt das die Liebe." Der Begriff des Lebensabschnittsgefährten ist uns schon lange geläufig. Und zeigt auch eine wichtige Entwicklung. "Immer mehr Menschen lösen ihre Ehe auf und versuchen, mit neuen Partnern ihren Lebensvorstellungen näherzukommen. In einer Bindung leben bedeutet heute oft ein tägliches Entscheiden dafür oder dagegen. Was früher Patchwork-Familien waren – also ein erneuter Versuch mit einem neuen Partner, bei dem es im besten Fall auch bleibt – sind heute die Phasenfamilien", so Pall. Die Auswirkungen auf die Kinder sieht sie kritisch: "Das ist nicht zu unterschätzen, da sie immer wieder Brüche erleben und Trennungen zu wichtigen Bezugspersonen bewältigen müssen."

Wie führe ich mein Leben? Jeder kann sich selbst entscheiden: Will ich Liebe und eine Partnerschaft? Oder Sex und neue Begegnungen? Vor allem die Entwicklung des Online-Datings hat das forciert. Und eines schwieriger gemacht: Durchhalten in schwierigen Zeiten. "Man muss anerkennen, dass es trotz großer Gefühle auch schlechte Momente gibt. Die können manchmal lange andauern, und man fragt sich: Macht das überhaupt noch Sinn?", meint die Wienerin, die selbst seit über zehn Jahren in einer "lebendigen Partnerschaft" lebt. "Aber wenn man solche Phasen durchsteht, sieht man, dass es sich auszahlt: Man rückt näher zusammen, das ist unglaublich schön. Man erlebt wieder Phasen der Verliebtheit, hat tollen Sex und merkt: Ja, uns geht es miteinander besser als allein. Wir schöpfen daraus Kraft für tägliche Herausforderungen." Wer lieben will, muss aber auch mutig sein und sich öffnen: "Partner können sich entlieben. Man kann Gefühle nicht planen, und die Dauer ist ungewiss. Bindungen können zu Ende gehen und viel Schmerz verursachen." Dennoch: Familie, da ist sich die Therapeutin sicher, wird es in vielen Formen geben. Aber keinesfalls wird die Liebe abgeschafft werden: "Ich erlebe es in meiner Arbeit, dass die Qualität von Beziehungen wieder wichtig wird. Weg von Zweckgemeinschaften, hin zu intensiven Gefühlen.

Emotionen kann man nicht planen

Romantische Liebe? Die hat ausgedient! Das findet der Autor Felix Lill. Seine klare Ansage: Die Zukunft gehört den Singles! In Japan sei das bereits normal, weiß der Journalist, der seit 2012 zwischen Tokio und Berlin pendelt. Eigentlich zog es den 32-Jährigen damals zusammen mit seiner Freundin in die asiatische Metropole. Doch dann kam das Beziehungs-Aus – nach fünf gemeinsamen Jahren und sechs Monaten in Tokio. Und Lill fiel auf: In Japan trennt man sich auch zunehmend von der Idee der Liebe. Zumindest so, wie man sie bisher kennt. Plötzlich war er Teil jener gesellschaftlichen Revolution: "Ich gehörte also zu diesen einsamen Hunden, wie sie hier manchmal genannt werden. Vielleicht ähnelte ich jenen Leuten in diesem Land, für die Beziehungen anscheinend zu umständlich waren. Wir hatten uns nicht auseinandergelebt, im Gegenteil, aber unsere Vorstellungen vom Leben waren so lange immer wieder aufeinandergeprallt, bis wir durch große Dellen entstellt waren. Das typische Problem, das ich aus meinem Freundeskreis schon kannte und von dem ich schon in soziologischen Studien gelesen hatte. Im Wesentlichen ist es ein Koordinationsproblem, das sich früher oder später in fast allen sozialen Milieus ausbreiten dürfte, ob bodenständig oder kosmopolitisch, wohlhabend oder arm."

Die Selbstverwirklichung steht ganz oben in der eigenen Prioritätenliste. Klar definierte Rollenbilder gibt es nicht mehr: Frauen sowie Männer führen gleichberechtigte Leben, unabhängig voneinander. Auch hierzulande soll das Leben allein immer mehr zum bewussten Lebensmodell werden: "Westliche Länder können Japan als Szenario für die Zukunft begreifen. Dort ist der Anteil der Singles über Jahrzehnte angestiegen. In Europa fehlen dazu noch die entsprechenden Untersuchungen, aber einiges deutet darauf hin, dass ein ähnlicher Trend stattfindet. Zum Beispiel der Boom von Dating-Apps. Auch die demografischen Trends, die das Singlesein begünstigen, sind ähnlich: Durch die Urbanisierung wird die Auswahl der potenziellen Partner größer. Dazu kommen die hohe Mobilität und die Unsicherheit in der Karriereplanung." Traditionelle Bindungen werden dabei zum Auslaufmodell.

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Felix Lill, 32, Autor: Der Deutsche hat in Wien VWL studiert. 2012 zog er nach Tokio – seitdem pendelt Felix Lill zwischen Japan und Berlin. Er schreibt für "Die Zeit" oder "Der Spiegel". Für sein Buch "Einsame Klasse"(edition a, € 21,90) hat er hinterfragt, ob man wirklich nur zu zweit glücklich werden kann.

© WOMAN/Enno Schramm

Will man sich nur momentan nicht binden? Oder nie im Leben? Der Anteil jener, die sich für Letzteres entscheiden, nimmt zu. Sagt zumindest die Trendforschung. 71 Prozent der Alleinstehenden geben als Grund dafür ihre eigene Freiheit an, andere wollen nicht die Verantwortung übernehmen, die mit einer Beziehung einhergeht. Lill: "Wer solo ist, muss sich auch nicht mit Streit, Missverständnissen und Enttäuschungen beschäftigen." Das japanische Frauenmagazin "Joshi SPA!" befragte 2013 dazu über 37.000 Personen – vom Teenageralter bis zu 40-Jährigen: Über ein Drittel davon konnte sich bereits damals nicht vorstellen, zu heiraten. "In Japan zeigt die Fertilitätsstudie des staatlich finanzierten Bevölkerungsforschungsinstituts, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Singles zwischen 18 und 34 gar keinen Partner haben wollen. Das Singlesein ist also nicht nur nicht mehr unnormal, sondern auch nicht traurig", so der Autor. 2035 werden geschätzt 50 Prozent der Japaner alleine leben – und das zunehmend freiwillig!

Weil die Liebe keinen vorrangigen Stellenwert in ihrem Leben einnimmt. "Die Jungen suchen oft gar nicht nach dem großen Glück. Viele trauen dieser Idee von Erlösung und ewiger Liebe nicht. Das ist in meinen Augen auch der wichtigste Unterschied zu den typischen westlichen Singles: Das Konzept der romantischen Liebe ist in Japan eher ein Kulturimport und wird vor allem durch Hollywood und Ähnliches konsumiert. Es ist aber nicht historisch verwurzelt", erklärt der 32-Jährige. Insofern bedeute das Alleinsein dort weniger Leid: "Ideologisch ist es wohl erträglicher und wird weniger als Makel gesehen als in westlichen Ländern." Im Zeitalter der Individualisierung, die sich durch alle Lebensbereiche zieht, liegt da die Annahme nahe, dass unsere Gesellschaft auch immer egoistischer wird. "Falsch!", meint der Experte und bezieht sich dabei auch auf eine US-Studie. Es wurde untersucht, wer sozial isolierter lebt – Menschen mit oder ohne Beziehung? Das Ergebnis: "Sowohl weibliche als auch männliche Singles helfen häufiger ihren Nachbarn und pflegen ihre Kontakte besser als Verheiratete. Wer einen Partner hat, lässt die schnell mal schleifen." Nächstenliebe anstelle der romantischen Zuneigung -ein möglicher Ausblick. "Die Geborgenheit aus Partnerschaften kann auch durch enge Freunde teilweise kompensiert werden. Alles ist sicher nicht komplett ersetzbar, man kann nicht alles haben."

Solo-Romantik als Business-Idee

Für Romantik, keine Sorge, für die bleibt trotzdem Platz. Auch das zeigt sich in Japan. Nur eben anders, als wir sie erleben. Was dort betrieben wird, ist ein Romantik-Konsum. Es gibt eine richtige romantische Unterhaltungswelt, berichtet der Experte. Mit gemieteten Liebhabern zum Flirten oder Videospielen, die Liebe simulieren: "Die kann man genießen wie eine Fiktion, nur erwartet man nicht, dass sie mit der wahren Welt viel zu tun hat." Felix Lill erinnert sich an ein Erlebnis in einem japanischen Flugzeug: "Zärtlich streichelte der Anzugträger neben mir ein virtuelles Gesicht auf seiner Handkonsole. Er? Managertyp, groß gewachsen, Nadelstreif, teure Armbanduhr, dezente Krawatte, mit der Körpersprache eines Alphatiers. Das, was ich da zu meiner Rechten beobachtete, war zweifellos eine Liebesszene. Allerdings eine, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Weil da nur ein virtuelles Gegenüber war. Er hatte bemerkt, dass ich ihn beobachtete, deutete auf sein Gerät und sagte in akzentfreiem Englisch: ,This is the future of love.'" Erotik lässt sich also digitalisieren.

"Die Antwort darauf kennen wir noch nicht. Vereinzelt zeigt sich aber, dass sich Singles mit Freunden zusammentun, um ein Kind zu bekommen und dieses großzuziehen", analysiert Lill. "Die Soziologin Sabine Walper nennt das Co-Parenting und hält es für ein mögliches Szenario." Ein Drittel des Nachwuchses kommt in Österreich unehelich zur Welt. Trotzdem sind die Geburtenraten überall niedrig. In Österreich, Deutschland und Japan liegen sie zwischen 1,3 und 1,5 Kindern pro Frau. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren nur aufgrund von Immigration gewachsen. Weniger Babys bedeuten natürlich auch weniger Konsumenten. Die Wirtschaft wird irgendwann nicht weiter wachsen, das beschäftigt auch die Politiker Und wie soll es privat bei Lill weitergehen? Eine Beziehung und Ehe werden nicht völlig abgelehnt, aber "Ich persönlich hab mir kein Dogma gesetzt", sagt Lill. "Wenn mir eine Person gefällt, wenn ich mit ihr lachen und mich interessant mit ihr unterhalten kann, dann wäre es zu schade, nicht mehr von dieser Person zu erfahren. Alles Weitere entwickelt sich dann, oder auch nicht." Auch wenn es um das Thema Hochzeit geht, sieht es der 32-Jährige recht pragmatisch: "Heiraten schließe ich gedanklich nicht aus, aber auch nicht ein. Aus romantischen Gründen interessiert es mich nicht mehr zu sehr, rechtlich gesehen könnte es mal Sinn ergeben."

Über die Autor:innen

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Melanie Zingl

Chefredakteurin für Gesellschaft, Karriere & Kultur

Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."

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