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Ist die KI der bessere Mensch?

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Frau am Strand mit Handy

©Stocksy

Schneller, klüger – und jetzt auch empathischer? Unsere Redaktion diskutiert: In welchen Bereichen hat uns die Maschine überholt? Und wo noch lange nicht?

Angelika Strobl: JA!

„Wie schnell fliegt die schnellste Rakete?“ „Wie groß ist der größte Monstertruck?“ „Mama, kannst du mir das bitte jetzt endlich sagen?“ Ähm, jetzt sofort?! Spätestens nach der zehnten Frage muss ChatGPT den Erklärbären für meinen Sechsjährigen spielen. „Jaaa, Schetschipidiii!“, freut er sich. Na gut. Audiomodus an, und los geht die Reise. Die geduldige Frauenstimme versteht alles und generiert kinderfreundliche Antworten, bis der Akku aus ist. Sie wird nicht grantig, sie plant unseren Urlaub und haut nach Feierabend gar nicht mal so schlechte Memes raus. Ja, dazu gibt es sogar eine Studie, die besagt, dass im Durchschnitt KI-generierte Memes lustiger und „more shareable“ sind, weiß KI-Experte Patrick Swanson. Er sagt auch, dass künstliche Intelligenz nicht nur unterhaltsam ist, sondern auch in der medizinischen Diagnostik präziser arbeitet als Ärzt:innen. Also überall, wo es darum geht, in spezifischen, klar definierten Aufgaben Antworten zu liefern, können Bots brillieren. Aber nicht nur. Immer mehr vertrauen KI-Tools psychische Probleme an und setzen auf Chatbots, die – im Gegensatz zu professionellen Therapieangeboten – 24/7 erreichbar sind. Und on top nicht mal so unempathisch, wie man auf den ersten Blick glauben möchte. Forscher:innen der Ohio State University haben untersucht, wie Menschen auf Antworten von ChatGPT im Vergleich zum menschlichen Therapeuten reagieren. Tja, die künstliche Intelligenz schneidet wieder einmal besser ab. Die computergenerierten Antworten wurden von den 800 Studienteilnehmer:innen sogar als einfühlsamer und hilfreicher bewertet. Für Personen, die sonst Hemmungen hätten, sich in Profi-Hände zu begeben, kann so ein anonymer Erstkontakt entlastend sein, ein emotionaler Zufluchtsort, der auch um drei Uhr in der Früh kurzfristig für Erleichterung sorgt. Echte Konfrontationen – wie im Setting mit Therapeut:innen – darf man sich halt nicht erwarten. Chatbots sind darauf ausgerichtet, uns zu supporten, und tendieren dazu, unsere Wahrnehmungen zu bestätigen: Das „Jasager-Syndrom“ kann durchaus problematisch sein, aber solange sie unser Antwortenautomat für unnützes Wissen bleiben, finden wir sie „supercooool!“

Elisabeth Mittendorfer: NEIN!

„Ich möchte, dass sich KI um meine Wäsche und Geschirr kümmert, damit ich Gedichte und Kunst schaffen kann, und nicht, dass KI Gedichte und Kunstwerke erschafft, während ich mich um meine Wäsche und Geschirr kümmern muss.“ – Vor einigen Monaten verbreitete sich dieser Satz der Autorin Joanna Maciejewska viral im Netz. Zweieinhalb Jahre nach der Einführung von ChatGPT ist klar: KI-Technologien kommen längst nicht mehr nur zum Einsatz, um Prozesse zu automatisieren oder gigantische Datenmengen zu verarbeiten. Die Maschinen übernehmen Aufgaben, die uns Freude bereiten – und jene, die uns als Menschen auszeichnen. Darum ging es auch Maciejewska: nicht um den Wunsch nach einem Haushaltsroboter, sondern um die entscheidende Frage, worauf wir als Gesellschaft den Fokus bei der Anwendung von KI legen wollen. Nicht aus Kulturpessimismus, sondern weil unser Selbstverständnis als Spezies auf dem Prüfstand steht. ChatGPT mag geduldig sein und zuhören, ohne zu urteilen. Am Ende – und dieses Bewusstsein ist essenziell – kann die Maschine nur simulieren, was Trost ist. Sie weiß nicht, wie es sich anfühlt, Verlust zu erleben. Was es heißt, eine Entscheidung zu treffen, für die es keine richtige Option gibt. Sie erkennt Muster, aber keine Nuancen, die zwischen zwei Blicken, zwei Sätzen entstehen. Wenn wir unsere zwischenmenschlichen Qualitäten ausschließlich an Technologie auslagern, verlernen wir, mit dem Unbequemen zu leben. Mit Widerspruch, Enttäuschung, echten Dialogen. Denn die KI wird nicht müde, sie fragt nie, ob sie auch mal von sich erzählen darf. Sie macht, was wir wollen. Und genau das ist das Problem. Denn echte Nähe, echte Auseinandersetzung und echtes Verstehen sind anstrengend. Sie fordern uns und lassen sich nicht delegieren. Wer glaubt, KI könne den Menschen ersetzen oder eine bessere Version auf allen Ebenen sein, unterschätzt nicht nur, was ein Mensch ist. Er riskiert eine Welt, in der wir alles haben – und einander verlieren.

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