
Der Hype um Selbstliebe ist gekippt: Statt Vielfalt dominiert in den sozialen Medien wieder der Zwang zum Dünnsein. Warum Schönheitsideale nicht nur Privatsache sind, sondern uns alle betreffen.
Vor einigen Jahren kündigte sich im Netz eine kleine Revolution an: Body Positivity. Endlich sollten alle Körper repräsentiert und gefeiert werden, nicht bloß die schmalen, straffen und scheinbar perfekten. Plus-Size-Models zierten Plakatwände, Influencerinnen predigten Selbstliebe, und auch in der Modebranche begann sich etwas zu bewegen. Die Botschaft: Nicht unsere Körper sind das Problem, sondern die unrealistischen Maßstäbe, an denen wir sie messen.
Gefährlicher Diätwahn
Jüngst hat diese Ära aber ihren Zenit überschritten. In den sozialen Medien, allen voran Instagram und TikTok, macht sich neuerdings ein offen zur Schau gestellter Schlankheitswahn breit. Skinnytok heißt die digitale Parallelwelt, in der sich vorwiegend junge Frauen darüber austauschen, wie wenig sie essen. Erst im Juni verbannte TikTok den dazugehörigen Hashtag #Skinnytok mit der Begründung, dieser sei „verbunden mit ungesunden Inhalten zur Gewichtsabnahme“. Eine Art Anführerin dieser Bewegung ist die 23-jährige Influencerin Liv Schmidt. Ihr Rezept: Drei Bissen, dann ist Schluss. Sie betont, nicht zu Essstörungen aufzurufen, aber einfach ehrlich zu sein. Gegenüber dem Evie Magazine, einer rechtsgerichteten Publikation, die traditionelle Weiblichkeit propagiert, sagte sie: „Wenn ein Mädchen, das kräftiger ist als ich, posten würde, was ich an einem Tag esse, würde es niemanden interessieren. Aber wenn ich es tue, wird es kontrovers diskutiert. Warum? Weil ich blond, dünn, jung und kompromisslos bin.“
Post-Body-Positivity
Letztlich ist die Body-Positivity-Bewegung an ihrem Versprechen, Frauen vom Schönheitsdruck zu befreien, gescheitert. Das stellt auch die FAZ-Journalistin Johanna Dürrholz in ihrem Text „Wollt ihr wirklich alle so aussehen?“ fest. Zwar habe sie erreicht, dass Rücksicht auf unterschiedliche Körpergrößen genommen wird, am Ende bleibt aber hauptsächlich eines übrig: Frauen im Bikini. Die aktuelle Gegenreaktion zu Body Positivity beschleunigt hat sicherlich auch ein Medikament: Ozempic, eigentlich zur Behandlung von Diabetes gedacht. Heute steht es für schnellen Gewichtsverlust – vor allem für jene, die es sich leisten können. Viele der lautesten Stimmen der Bewegung für mehr Körperakzeptanz sind auffällig still geworden. Oder auffällig schlank. Darf man das so artikulieren? Immerhin haben sich viele Feministinnen gerade das zur Prämisse gemacht: sich nicht über andere Frauen zu erheben, zu urteilen oder zu bewerten. Jede soll tun, was sie will, auch wenn das bedeutet, sich liften zu lassen oder ein Medikament zweckzuentfremden. Müssten wir aber nicht doch über Verantwortung sprechen, auch gegenüber einer Generation, die immer jünger mit diesem Druck konfrontiert wird?
Falsches Schweigen
Fakt ist: Wer dem gängigen Schönheitsideal entspricht, wird sichtbarer, begehrter und oft auch beruflich bevorzugt. Das ist kein persönliches Versagen, sondern ein strukturelles Problem. Und Schönheit ist politisch – war sie immer. Simone de Beauvoir nannte sie eine „Waffe gegen die Emanzipation“. Der Feminismus der Millennial-Generation hat es sicher gut gemeint, aber womöglich schlecht gemacht. In der Angst, andere Frauen zu verurteilen, ist der kritische Diskurs verstummt. Dabei müssten wir ihn gerade jetzt wieder aufnehmen. Nicht, um andere zu werten, sondern um zu schützen: uns selbst und die Mädchen, die nach uns kommen.

