
Sie ist eine der profiliertesten Schauspielerinnen im deutschsprachigen Raum – und nutzt ihre Sichtbarkeit längst über die Leinwand hinaus. Was Verena Altenberger antreibt und warum Glück manchmal einfach eine Entscheidung ist.
"Unpolitisch zu sein, ist eine politische Entscheidung.“ – Verena Altenberger sagt solche Sätze mit Vehemenz. Und sie erklärt weiter: „Was ich mir anschaue, ist politisch. Was ich konsumiere, ist politisch. Wie ich mich verhalte, ist politisch. Wir leben in Zeiten, in denen es wichtiger ist denn je, sich klar zu positionieren.“ Die vielseitige Schauspielerin nutzt ihre Bühne auch abseits der Kamera für klare Haltungen, Diskurs, weibliche Selbstbestimmung. Und bleibt dabei erstaunlich nahbar. Beim WOMAN ELEVATE Circle sprach sie über gesellschaftliche Rollenbilder, weiblichen Zorn – und darüber, was es bedeutet, in einem Beruf anzukommen, der mehr und gleichzeitig weniger ist, als man sich je erträumt hat. Wie gelingt es, Meinung, Karriere und Selbstzweifel unter einen Hut zu bringen? Verena Altenberger hat Antworten – und sie formuliert sie deutlich, politisch und mutig.
Verena, Sie haben gerade in Lettland für eine neue Serie gedreht, waren in Cannes, jetzt sind Sie kurz wieder in Wien: Ist der reale Lifestyle als Schauspielerin so, wie Sie sich das vorgestellt haben?
Es ist auf der einen Seite genau das, wovon ich immer geträumt habe. Dann ist es gleichzeitig aber viel mehr und immer auch ein bisschen weniger als das, was ich mir gedacht habe. Als Teenager hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ich mal am Burgtheater spiele, bei den Salzburger Festspielen auf der Bühne stehe oder Präsidentin der Akademie des Österreichischen Films bin. Und manchmal ist dann aber irgendwie auch eine Mikroform von Enttäuschung in den Erlebnissen. Man fragt sich: War’s das jetzt? Vielleicht liegt das auch an der Welt, in der wir leben, weil man doch irgendwie vom ewigen Wachstum träumt und Angst vor Stagnation hat.
Es gibt einen tollen Text von Virginie Despentes, darin schreibt sie, ihr größtes Problem sei, dass Leidenschaft keine Theke mehr ist, an der sie sich nach Lust und Laune bedienen kann, und dass sie lieber wieder unfassbar unglücklich verliebt sein würde, als sich zu langweilen. Das kann ich gut nachvollziehen. Ich war im Februar mit meiner acht Jahre jüngeren Schwester auf der Berlinale – für sie war es das erste Mal, für mich das dritte Mal. Und da hab ich gemerkt: Es verliert seinen Glanz, und trotzdem hofft man aber auch immer wieder, dass der nächst größere Schritt diesen wiederherstellt. Man wird süchtig danach. Aber in meiner tatsächlichen Arbeit – also auf der Bühne oder vor der Kamera – bin ich noch genauso aufgeregt wie am Anfang. Ich mag diese positive Form von Lampenfieber, die hohe Konzentration, die angeregte Anspannung. Und muss sagen: Ich bin noch nie ungern zur Arbeit gegangen.
In einem unserer ersten Interviews vor acht Jahren haben Sie gemeint, dass Sie der „Landei-Komplex“ begleitet und Sie sich bei großen Veranstaltungen oft denken, dass alle anderen dort mehr hingehören. Haben Sie dieses Gefühl inzwischen abgelegt?
Mittlerweile glaube ich, es war gar kein Landei-, sondern ein Klassenkomplex. Und der hat sich durch besseren Verdienst und ein höheres Selbstwertgefühl erledigt. Das klingt total banal, aber viele Codes – wie man sich kleidet, spricht oder benimmt – habe ich mir erarbeiten müssen. Heute erzähle ich total gern, dass ich aus einem kleinen Ort in den Bergen komme, und habe verstanden, dass es ein wichtiger Teil meiner Identität ist.
Man fragt sich: War’s das jetzt? Vielleicht liegt das auch an der Welt, in der wir leben, weil man vom ewigen Wachstum träumt.
Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie jetzt für viele andere ein Role Model sind?
Das ist eines jener Themen, wo mein Verständnis von mir selbst noch hinterherhinkt. Mir fällt dazu ein Gespräch mit meiner Schwester ein. Sie ist Teil einer Generation, der viele Sachen wurschter sind als meiner. Die Figur gehört da zum Beispiel dazu. Mir ist mein Körpergewicht nicht wurscht. Es ist etwas, was mich eigentlich jeden Tag beschäftigt. Das ist deppert, aber es ist so. Mir gelingt es nicht, das abzulegen. Und sie hat mit mir geschimpft: „Du bist ein Role Model und hast dafür zu sorgen, dass es dir wurscht ist, damit es anderen wurscht sein kann.“ Und ich finde es ehrlicher, zuzugeben: „Ich schaffe das nicht.“
Es sind genau solche Themen rund um weibliche Selbstbestimmung, wo die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Person verschmelzen. Wie gelingt es Ihnen, eine Balance zu finden zwischen dem, was Sie öffentlich preisgeben und was nicht?
Meine Strategie ist: Alles auf den Tisch. Es würde mich viel zu sehr stressen, wenn ich etwas verstecken müsste. Es gibt aber auch eine Form von Öffentlichkeit, mit der ich mich nicht wohlfühle, und deshalb habe ich für mich eine Art Nest definiert: Mein Zuhause und mein romantisches Beziehungsleben teile ich nicht.
Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, sind Sie gerade von einer Weisheitszahn-OP gekommen. Und auch heute noch gelten Sie in der Branche als immer freundlich und sehr unprätentiös. Wie haben Sie sich das erhalten?
Das hat mit Demut zu tun. Wer wäre ich denn, mich unfreundlich zu benehmen bei Gelegenheiten, wo andere vielleicht gerne wären?
Haben Sie das Gefühl, dass Kolleg:innen, die als kapriziöser gelten, mehr Respekt bekommen?
Ja, ich denke manchmal: Vielleicht sollte ich komplizierter sein, um ernster genommen zu werden. Ich hab da diese zwei Seelen in mir: Möglicherweise würde ich noch anspruchsvollere Rollen bekommen, wenn der Umgang mit mir anstrengender wäre. Aber ich will mich auch nicht verstellen.


Aufmerksam, leidenschaftlich, pointiert: Verena Altenberger über ihre Rolle als Künstlerin und wie man auch im Privatleben die eigenen Emotionen bewusst und besser beeinflussen kann.
© Nicole ViktorikGibt es einen Moment, an dem Sie gedacht haben: Jetzt hab ich’s geschafft?
Mein Papa hat immer gesagt, ich muss von meinem Beruf die Rechnungen zahlen können. Da war ich 24, also vor 13 Jahren. Und der Österreichische Filmpreis für „Die Beste aller Welten“ war auch so ein Moment: Ich habe damals gegen den Regisseur Adrian Goiginger gewettet, dass ich ihn nicht gewinne. Und hab ihm danach ein Kebab bezahlt.
Welche Rolle spielt das Honorar, wenn Sie sich für oder gegen ein Projekt entscheiden?
Ich habe noch nie etwas wegen des Geldes gemacht. Wenn ich etwas nicht fühle, helfen auch gute Rahmenbedingungen nichts. Lieber habe ich nebenbei noch woanders gejobbt, um meine künstlerische Freiheit zu behalten und nicht korrumpierbar zu sein.
Sie waren gerade in „Kein Tier. So wild“ im Kino zu sehen – einer Neuinterpretation von „Richard III.“, die im Berliner Clanmilieu spielt. Aus dem rachsüchtigen Richard wird Rashida. Wie verändert sich unser Blick auf die Figuren, wenn Macht aus einer weiblichen Perspektive erzählt wird?
Das Schöne an dem Projekt ist, dass nicht einfach nur die Geschlechter getauscht wurden, sondern die weibliche Ebene zieht sich durch den ganzen Film. Richard ist ja der Dritte in der Erbfolge, der sicher nie König wird, wenn er nicht alle anderen umbringt, und die Idee war: Was ist die Übersetzung des benachteiligten Mannes von damals? Die Frau. Und ich habe dazu erst letztens ein sehr spannendes Gespräch mit der Philosophin Lisz Hirn geführt. Sie hat’s gut aufgedröselt: Es gibt Empörung, Wut und Zorn. Empörung ist eine Wut für jemand anderen: Ich beobachte Unrecht und empöre mich zielgerichtet darüber. Wut ist etwas sehr Persönliches, Destruktives, was in einem wabert: Ich bin wütend über einen Zustand, mache aber wenig mit diesem Gefühl. Zorn ist zielgerichtete Wut mit einem Adressaten: Ich bin wütend und möchte die Umstände, die mich ärgern, verändern.
Das habe ich insgesamt sehr interessant gefunden, weil, und da kommen wir jetzt wieder zum Kinofilm zurück, ich mich schon immer gefragt habe, was jetzt das Weibliche an dieser Wut ist. Und was ist wirklich der Unterschied, wenn Frauen diese mächtigen, wütenden Figuren spielen? Ich glaube, dass weibliche Wut sowieso insgesamt etwas Neues ist, aber dass wir als Gesellschaft den Schritt noch nicht geschafft haben, aus weiblicher Wut weiblichen Zorn zu machen, der zusammengeschlossen und zielgerichtet da ist, um Umstände nachhaltig zu ändern.
Ich bin davon überzeugt, dass man sich dazu entscheiden kann, Schönheit in der Welt zu sehen.
Was kann Kunst hier beitragen, was Politik vielleicht nicht kann?
Wir sind viel freier als die Politik und können dadurch einen wertvollen Beitrag leisten. Kunst ist auf der einen Seite ein Abbild von Lebensrealitäten, eine Empathie-Maschine, um anderen zu ermöglichen, in fremde Welten einzutauchen. Und es ist ein Versuchslabor für Demokratie und die Gesellschaft im Allgemeinen. Und: Kunst darf frei sein. Wir Künstler:innen dürfen sagen, was andere nicht dürfen. Wir können durchspielen und durchexerzieren, was passiert, wenn der Mond auf die Erde fällt oder wenn die Frauen die Weltherrschaft übernehmen. Ich habe dazu so einen schönen Satz gelesen: „Kunst ist immer sinnlos, wenn sie entsteht, aber immer das Wichtigste, was übrig bleibt.“
Ein großes Thema in Ihrer Branche ist auch die Sichtbarkeit von Frauen im Film. Die ist in den vergangenen Jahren zum Glück gestiegen, es gibt aber noch viel Luft nach oben, vor allem, wenn es um den Kontext geht, in dem sie gezeigt werden…
Für Schauspielerinnen ab 40 wird’s nach wie vor schwierig. George Clooney wird älter, seine Love Interests bleiben jung. In Österreich ist das nicht anders.
Verspüren Sie diesbezüglich Druck?
Per se nicht. Ich bin eher verwirrt: Was heißt es überhaupt, 37 zu sein? Es gibt allerdings ein Thema, da nehme ich mittlerweile einen wahnsinnigen Druck wahr – nämlich wenn es um Kinder geht. Diese biologische Uhr, von der ich noch vor fünf Jahren behauptet hätte, sie ist ein gesellschaftliches Konstrukt: I can feel it now.
Sie arbeiten beruflich intensiv mit Emotionen. Können Sie das im echten Leben auch bewusst steuern und zum Beispiel sagen: „Ich will jetzt glücklich sein“?
Nein. (lacht) Es ist wirklich die Magie des Schauspiels, dass man auf der einen Seite zwar zu 100 Prozent man selbst ist, weil jede Emotion und jede Quelle, die man anzapft, in einem liegt – und gleichzeitig hat es überhaupt nichts mit einem zu tun. Deswegen funktioniert der Trick einfach im Privaten nicht. Aber ich glaube schon, dass das Glücklichsein eine Entscheidung ist. Damit meine ich nicht, dass ich mir jeden Tag und in jeder Situation denken muss: Ich bin dem jetzt zwar ausgeliefert, es ist vielleicht etwas Schlimmes passiert, aber: Juhu, das ist jetzt sicher gut vom Schicksal, super. Ich glaube nicht an „If you can dream it, you can make it“, sondern ich sehe das als Lifespan-Entscheidung. Abstand nehmen von zu viel Sudern, das Positive wahrnehmen. Ich bin davon überzeugt, dass man sich im Großen und Ganzen dazu entscheiden kann, Schönheit in der Welt zu sehen und sich daran zu erfreuen.
JOYN präsentiert Streaming-exklusiv den WOMAN ELEVATE Circle
Über die Autor:innen

Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."