
Gerade noch war es gut, richtig gut sogar. Und dann, Sekunden nach dem Orgasmus, schleicht sich dieses Gefühl ein: Scham. Ekel. Schuld. Du bist nicht allein damit – und du hast nichts falsch gemacht. Woher diese Gefühle kommen und wie du sie loswirst, erfährst du hier.
- Das Phänomen hat einen Namen
- Woher kommt die Scham nach dem Orgasmus?
- Religiöse und kulturelle Prägung
- Die Botschaften unserer Kindheit
- Scham über die eigenen Fantasien
- Der biologische Faktor
- Wann Schuldgefühle ein Warnsignal sind
- So befreist du dich von der Scham
- Ein neues Narrativ: Selbstbefriedigung als Selbstfürsorge
Das Phänomen hat einen Namen
Was du erlebst, ist keine Seltenheit. In der Psychologie spricht man von "Post-Coital Dysphoria" oder "Post-Orgasm Blues" – einem Zustand von Traurigkeit, Leere oder Scham, der nach sexueller Aktivität einsetzt. Das kann nach dem Sex mit einer anderen Person passieren, aber eben auch nach dem Masturbieren.
Studien zeigen, dass etwa 40 Prozent aller Menschen dieses Gefühl zumindest gelegentlich kennen. Bei Frauen ist es besonders häufig – was wenig überrascht, wenn man bedenkt, wie weibliche Sexualität historisch behandelt wurde.
Das Tückische: Die Scham kommt oft genau dann, wenn der Körper noch im Nachglühen des Orgasmus ist. Ein Moment, der eigentlich schön sein sollte, wird von negativen Gefühlen überschattet. Manche Frauen beschreiben es als plötzlichen Stimmungsabsturz. Andere fühlen sich "schmutzig" oder schämen sich für das, was sie gerade getan oder woran sie gedacht haben.
Wenn dir das bekannt vorkommt: Es liegt nicht an dir. Es liegt an dem, was dir über Sexualität beigebracht wurde.
Woher kommt die Scham nach dem Orgasmus?
Die Gründe für Post-Orgasm-Scham sind vielfältig und oft tief verwurzelt. Meistens ist es eine Mischung aus mehreren Faktoren:
Gesellschaftliche Doppelmoral
Männer, die masturbieren, gelten als normal. Frauen, die masturbieren, werden immer noch mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet – selbst wenn niemand davon weiß. Diese Doppelmoral haben wir alle verinnerlicht, ob wir wollen oder nicht.
Von klein auf bekommen Mädchen die Botschaft: Sexualität ist etwas, das dir passiert, nicht etwas, das du aktiv gestaltest. Masturbation passt nicht in dieses Bild der passiven weiblichen Sexualität. Kein Wunder, dass sich viele Frauen schuldig fühlen, wenn sie die Kontrolle über ihre eigene Lust übernehmen.
Der Mythos der "richtigen" Sexualität
Irgendwo in unserem Kopf steckt oft die Vorstellung, dass "echter" Sex mit einem Partner stattfindet. Selbstbefriedigung gilt dann als Notlösung, als Ersatz, als etwas, das man nur tut, wenn man niemanden hat.
Dieser Mythos ist natürlich Unsinn. Selbstbefriedigung ist eine eigenständige Form der Sexualität, nicht eine minderwertige Kopie von Partnersex. Aber solange wir das nicht wirklich verinnerlicht haben, kann sich Solo-Sex wie ein Eingeständnis anfühlen – als würden wir zugeben, dass etwas fehlt.
Religiöse und kulturelle Prägung
Die großen Weltreligionen haben Jahrhunderte damit verbracht, Masturbation als Sünde zu brandmarken. "Selbstbefleckung", "Unzucht mit sich selbst", "widernatürliche Handlung" – die Begriffe allein zeigen, wie stark die Verurteilung war.
Selbst wenn du nicht religiös aufgewachsen bist oder dich längst von der Kirche distanziert hast: Diese Botschaften sind in unserer Kultur verankert. Sie wurden von Generation zu Generation weitergegeben, auch in nicht-religiösen Familien. Du musst nie eine Kirche von innen gesehen haben, um trotzdem das Gefühl zu haben, dass Selbstbefriedigung irgendwie "falsch" ist.
Dazu kommt: In vielen Kulturen wird weibliche Lust generell als problematisch angesehen. Eine Frau, die ihre Sexualität aktiv auslebt – ob allein oder mit anderen – wird schnell als "zu viel", "unladylike" oder schlimmeres abgestempelt. Diese Botschaften sitzen tief.
Die Botschaften unserer Kindheit
Erinnerst du dich, wie in deiner Familie über Sexualität gesprochen wurde? Wahrscheinlich gar nicht – und genau das ist das Problem.
Wenn Sexualität ein Tabuthema war, wenn Fragen ignoriert oder mit Unbehagen beantwortet wurden, lernt ein Kind: Das ist etwas Peinliches. Etwas, worüber man nicht spricht. Etwas, für das man sich schämen sollte.
Noch schlimmer, wenn du als Kind beim Erkunden deines Körpers "erwischt" und zurechtgewiesen wurdest. Ein einziger Satz wie "Das macht man nicht!" kann sich tief einbrennen und Jahrzehnte später noch Schuldgefühle auslösen.
Diese frühen Erfahrungen prägen unser Verhältnis zur Sexualität stärker, als uns bewusst ist. Der erwachsene Verstand weiß vielleicht, dass Masturbation gesund und normal ist. Aber das innere Kind, das damals beschämt wurde, meldet sich trotzdem.
Scham über die eigenen Fantasien
Manchmal ist es nicht die Selbstbefriedigung an sich, die Scham auslöst – sondern das, woran wir dabei denken.
Sexuelle Fantasien können wild sein. Sie können Dinge beinhalten, die wir im echten Leben nie tun würden. Sie können Menschen involvieren, die "verboten" sind – der Ex, der Chef, eine Freundin, ein Promi. Sie können Szenarien beinhalten, die unseren Werten scheinbar widersprechen – Dominanz, Unterwerfung, anonymer Sex.
Und dann kommt der Orgasmus, die Erregung fällt ab, und plötzlich schämst du dich für deine eigenen Gedanken.
Hier ist die Wahrheit: Fantasien sind genau das – Fantasien. Sie sagen nichts über deinen Charakter aus. Sie bedeuten nicht, dass du diese Dinge wirklich willst. Das Gehirn nutzt sexuelle Erregung, um mit Tabus zu spielen, Grenzen auszutesten, Spannung zu erzeugen. Das ist völlig normal und passiert bei fast allen Menschen.
Eine Fantasie zu haben bedeutet nicht, dass du sie umsetzen willst. Und sich etwas vorzustellen, ist keine Handlung, für die du dich schuldig fühlen musst.
Der biologische Faktor
Nicht alles ist psychologisch bedingt. Auch die Biologie spielt eine Rolle.
Nach dem Orgasmus verändert sich die Hormonlage schlagartig. Der Dopamin- und Oxytocin-Spiegel, der während der Erregung angestiegen ist, fällt ab. Gleichzeitig steigt Prolaktin – ein Hormon, das mit Sättigung, aber auch mit gedämpfter Stimmung verbunden wird.
Bei manchen Menschen löst dieser hormonelle Shift ein Gefühl von Leere oder Traurigkeit aus. Das hat nichts mit Schuld zu tun, fühlt sich aber ähnlich an und kann bestehende Schamgefühle verstärken.
Wenn du merkst, dass die negativen Gefühle wirklich nur in den ersten Minuten nach dem Orgasmus auftreten und dann verschwinden, könnte das ein Hinweis sein, dass hier auch Biologie mitspielt.
Wann Schuldgefühle ein Warnsignal sind
Gelegentliche Scham nach dem Masturbieren ist weit verbreitet und meistens kein Grund zur Sorge. Aber in manchen Fällen können diese Gefühle auf tiefer liegende Probleme hinweisen:
Wenn die Scham dein Leben einschränkt
Vermeidest du Selbstbefriedigung komplett, obwohl du eigentlich Lust hättest? Fühlst du dich so schlecht danach, dass es deinen restlichen Tag beeinflusst? Dann ist die Scham zu einem echten Problem geworden.
Wenn es mit vergangenen Erfahrungen zusammenhängt
Manchmal sind Schuldgefühle rund um Sexualität mit traumatischen Erlebnissen verknüpft – sexuellem Missbrauch, Übergriffen, aber auch emotional verletzenden Erfahrungen. Wenn du den Verdacht hast, dass hier ein Zusammenhang besteht, kann professionelle Unterstützung hilfreich sein.
Wenn du zwanghaft masturbierst
Masturbierst du, obwohl du eigentlich keine Lust hast? Nutzt du Selbstbefriedigung, um andere Gefühle zu betäuben? Fühlst du dich außer Kontrolle? In diesen Fällen ist die Scham vielleicht ein Signal, dass etwas nicht stimmt – aber nicht die Masturbation selbst ist das Problem, sondern das, was dahinter liegt.
So befreist du dich von der Scham
Die gute Nachricht: Schamgefühle sind erlernt – und können verlernt werden. Das braucht Zeit und Geduld, aber es ist möglich.
Erkenne den Ursprung
Der erste Schritt ist, zu verstehen, woher deine Scham kommt. Welche Botschaften hast du über Sexualität gelernt? Wer hat sie dir vermittelt? Waren es Eltern, Kirche, Schule, Medien? Wenn du den Ursprung kennst, kannst du diese Überzeugungen bewusst hinterfragen.
Fordere die alten Glaubenssätze heraus
"Masturbation ist schmutzig" – ist das wirklich wahr? Oder ist es eine Meinung, die dir jemand anders eingepflanzt hat? "Eine Frau sollte nicht so viel Lust haben" – wer sagt das? Und warum solltest du dieser Person glauben?
Schreibe deine negativen Überzeugungen auf und formuliere bewusst Gegenargumente. Das mag sich anfangs seltsam anfühlen, aber es hilft, neue neuronale Pfade zu schaffen.
Normalisiere das Thema
Je mehr wir über etwas schweigen, desto mehr Macht geben wir der Scham. Wenn du Menschen in deinem Leben hast, mit denen du offen reden kannst – Freundinnen, Partner:in, Therapeut:in – nutze diese Gespräche.
Auch das Lesen von Artikeln wie diesem kann helfen. Zu wissen, dass andere Frauen dieselben Gefühle haben, macht die eigene Scham weniger einsam.
Erlaube dir die Lust – bewusst
Statt Selbstbefriedigung als schnelles "Druckablassen" zu sehen, versuche sie als bewussten Akt der Selbstfürsorge zu gestalten. Nimm dir Zeit. Schaffe eine Atmosphäre, in der du dich wohlfühlst. Erlaube dir, den Moment zu genießen, statt dich durchzuhetzen und danach schnell zur Tagesordnung überzugehen.
Sei geduldig mit dir selbst
Du wirst die Scham nicht über Nacht loswerden. Es wird Rückschläge geben. Manchmal wirst du dich trotz allem schuldig fühlen. Das ist okay. Behandle dich so, wie du eine gute Freundin behandeln würdest: mit Verständnis, nicht mit Vorwürfen.
Ein neues Narrativ: Selbstbefriedigung als Selbstfürsorge
Was wäre, wenn du Masturbation nicht als etwas siehst, für das du dich entschuldigen musst – sondern als Geschenk an dich selbst?
Selbstbefriedigung ist Selbstfürsorge. Sie reduziert Stress, verbessert den Schlaf, lindert Schmerzen, stärkt das Immunsystem und erhöht das Wohlbefinden. Sie hilft dir, deinen Körper kennenzulernen und herauszufinden, was dir gefällt. Sie gehört dir allein – niemand anders hat ein Mitspracherecht.
Du verdienst Lust. Du verdienst Orgasmen. Du verdienst es, dich in deinem Körper wohlzufühlen.
Die Scham, die du empfindest, wurde dir von einer Gesellschaft eingeredet, die Angst vor weiblicher Sexualität hat. Du musst diese Scham nicht behalten. Du kannst sie ablegen wie ein Kleidungsstück, das dir nicht mehr passt.
Es wird dauern. Es wird Arbeit erfordern. Aber eines Tages wirst du nach dem Orgasmus liegen bleiben, nachglühen, zufrieden seufzen – und kein einziges schlechtes Gefühl wird dazwischenfunken. Das ist möglich. Das hast du verdient.
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