"Zuerst verliebte ich mich in seine Augen", erinnert sich Katharina Ledermair, 32, an die erste Begegnung mit Alexander: "Sie sind das Tor zur Seele." Nur das Kennenlern-Umfeld mit ihrem Traummann, die Uniklinik in Innsbruck, war weniger romantisch.
Alexander wurde nach einem schweren Snowboardunfall am 14. Februar 2010 in das Spital eingeliefert. Die niederschmetternde Diagnose: kompletter Querschnitt ab dem achten Halswirbel. Katharina, die als Physiotherapeutin und Osteopathin im Krankenhaus arbeitete, sollte bei der Mobilisierung des jungen Patienten helfen. "Er lag gar nicht auf meiner Station, Kolleginnen haben mich gebeten, sie zu unterstützen, da er ständig kollabiert ist. Irgendwie habe ich von Anfang an eine Verbundenheit gespürt", erinnert sich Katharina: "So kitschig es klingt, aber als sich am zweiten Tag unsere Blicke trafen, spürte ich plötzlich eine Art Blitz. Ich habe ihn nur gefragt: ,Was war das jetzt?' Und Alexander hat geantwortet: ,Ich weiß nicht. Sag du es mir.'"
Es blieb bei einem Flirt. Denn kurz danach wurde der junge Busunternehmer in eine Reha-Klinik verlegt. Vier Wochen lang sahen und hörten die beiden nichts mehr voneinander. "Meine Gedanken waren trotzdem oft bei ihm, und ich fragte mich, wie es ihm wohl geht", denkt Katharina an die erste Zeit zurück. Erstaunlich schnell lernte der 30-Jährige mit seiner Situation zurechtzukommen: "Natürlich gab es anfangs Momente der Wut. Aber ich war schon immer optimistisch. Man hat ja grundsätzlich nur zwei Optionen: Entweder man wächst an dieser Erfahrung oder man gibt auf. Ich habe mich für Ersteres entschieden. Seitdem weiß ich, dass man immer die Wahl hat, wie man auf Herausforderungen reagieren kann. Und ja, Katharina ging mir auch nicht mehr aus dem Kopf. Das hat mich abgelenkt und positiv motiviert."
Und dann wollte es der Tiroler genau wissen und schickte seinem "Klinik-Flirt" eine Freundschaftsanfrage via Facebook. Bingo. Das "Angenommen" kam prompt, die immer länger werdenden Chats endeten schließlich in einer Verabredung für das erste Date. "Mit Zweifeln und Ängsten habe ich mich nicht lange aufgehalten. Ich wollte auch nach meinem Unfall eine Beziehung führen. Ich bin ja total normal und vollwertig", schätzt Alexander seine Lage ganz eindeutig ein. "Bei unserem ersten Treffen sind wir zwar etwas distanziert aufeinander zugegangen. Aber das haben wir rasch überwunden. Für uns war einfach schnell klar, dass wir miteinander alles schaffen werden. Wir haben in vielen intensiven und tiefsinnigen Gesprächen erkannt, dass wir über alles reden können und der andere vom besten Freund bis zum Geliebten alles ist."
Für Katharina war Alexanders Querschnitt nie ein Problem. Hadern ist für beide ein Fremdwort: "Barrieren gibt es doch nur im Kopf. Wir stehen vor denselben Herausforderungen wie andere, haben unsere Höhen und Tiefen. Ein Rollstuhl verändert da doch nichts." Der Rollstuhl war für das Paar auch kein Hindernis, als es 2011 für ein halbes Jahr quer durch Amerika gereist ist: "Wir waren dabei tagtäglich 24 Stunden zusammen. Spätestens danach wussten wir, dass unsere Liebe wohl auf einem ganz besonderen Fundament aufgebaut ist."
Nach ihrer Rückkehr zogen die beiden zusammen in eine Wohnung bei Schwaz im Tiroler Mittelgebirge. Katharina kündigte ihren Job im Spital und begann in Alexanders Familienbetrieb, einem Busunternehmen, halbtags zu arbeiten. Während der zweiten Tageshälfte behandelte sie Patientinnen und Patienten in ihrer Praxis für Physiotherapie. Die Frage, wie sie ihren Alltag bewältigen, versteht Katharina nicht: "Wie andere auch, da gibt es doch nichts Besonderes." Alexander, der häufig allein per Flugzeug, Zug oder mit dem Auto auf Geschäftsreisen ist und für sein berufsbegleitendes Studium immer wieder in die Schweiz muss, relativiert etwas: "Ja, ich weiß, es ist in den Köpfen der Leute so drinnen, dass ein Rollstuhlfahrer ein stark beeinträchtigtes Leben führt. Gleich zu Beginn lernt man ja in der Reha-Klinik, seinen Alltag neu zu strukturieren. Nur wenn wir verreisen, müssen wir vielleicht etwas mehr planen. Wir müssen checken, wie barrierefrei es vor Ort ist."
Als der leidenschaftliche Sportler, der nach wie vor Basketball spielt, schwimmt oder mit dem Handbike unterwegs ist, 2012 seiner Katharina einen Heiratsantrag machte, war ihre Antwort klar: "Ja, ja und nochmals ja. Wir waren auf einer romantischen Kutschenfahrt im tiefverschneiten Wald unterwegs und sind plötzlich stehen geblieben. Ich dachte noch: Oje, hoffentlich ist nichts kaputt. Denn: Wie kommen wir mit dem Rollstuhl durch den vielen Schnee? Dann holte Alexander den Ring heraus. Uns verbindet eine so tiefe innere Ebene. Wir fördern uns gegenseitig in unserer Entwicklung und lassen uns dennoch unsere Freiräume. Mehr geht nicht."
Die Hochzeitsfeier 2013 wurde zum großen Fest mit ihren Familien und Freunden, zu denen sie ein enges Verhältnis haben. "Nach meinem Unfall habe ich mein Umfeld radikal verändert und Freundschaften ausgesiebt. Das war auch gut so", sagt Alexander. Was denkt er eigentlich über Menschen, die über jede Kleinigkeit raunzen? "Ich finde das absolut okay. Es liegt an der Betrachtungsweise. Für den einen ist Migräne absolut schlimm, für den anderen Tinnitus oder eben eine Querschnittlähmung. Es hängt von einem selbst ab, worauf man sich fokussiert."
Eines war dem Paar von Anfang an klar: Dass es gemeinsame Kinder will. 2015 war kam Töchterchen Amalia. "Sie ist ein Geschenk. Für sie ist es völlig normal, dass ich im Rollstuhl sitze", freut sich Alexander. Und Katharina fügt hinzu: "Sie weiß mit ihren zweieinhalb Jahren schon: Wo kommt der Papa alleine hin und wo nicht. Einmal ist sie mit mir in einem Café gesessen. Wir haben auf Alexander gewartet. Amalia war ganz aufgelöst, als sie gemerkt hat, dass ihr Papa über die Stufen nicht reinkommen kann." Die 32-Jährige erzählt weiter: "Jetzt fragt Amalia ihn ab und zu, ob er seine Beine nicht doch bewegen kann und kitzelt ihn bei den Füßen. Zu mir hat sie mal gemeint: ,Weißt du, dass Papa nicht gehen kann?' Dann habe ich gesagt: ,Ja, aber wie kommst du darauf?' Ihre Antwort: ,Er braucht einen Rollstuhl, und hüpfen kann er auch nicht.' Für sie ist das aber nichts Trauriges."
Mitleid bekommt die Familie selten zu spüren: "Manchmal schauen Leute neugierig, aber das bemerken wir gar nicht mehr." Vielmehr amüsieren sie sich darüber, dass sie bei vielen Hotels schon auf der Schwarzen Liste stehen müssen:"Wir waren auf den Seychellen und in Sardinien. Dabei suchen wir immer rollstuhl-, kindergerechte und, falls wir unseren Hund Buddy mitnehmen, auch noch hundefreundliche Unterkünfte. Da bleibt nicht viel übrig."
Hat der Unfall Alexander verändert? Katharina weiß eine Antwort: "Seine Persönlichkeit hat mehr Tiefe bekommen. Das gelingt nur, wenn man gestärkt aus einer schweren Situation herauskommt. Er geht heute sicher viel zielstrebiger seinen Weg als früher."

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