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Revolution des Gebens: Was hinter Giftivism steckt

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Zwei Frauen, die sich umarmen
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Bedingungsloses Geben als Instrument für Glück und Wohlstand? Ja, das geht: Wirtschaftsvisionär Nipun Mehta verändert die Art, wie Menschen leben und wirtschaften, indem er Bewusstsein für "Giftivism" schafft. Gastautorin Nicole Hobiger-Klimes hat ihn in Wien getroffen.

Man könnte sagen, der indischstämmige Vollblutfreiwillige Nipun Mehta ist der Superheld des Gebens, die lebendige Antithese der Generation "Ich, Ich, Ich!". Bereits 2014 verlieh ihm der Dalai Lama den Titel "Unsung Hero of Compassion", was so viel bedeutet wie "stiller Held des Mitgefühls". Etwas mehr ins Licht der Öffentlichkeit trat Nipun Mehta, als US-Präsident Barack Obama ihn 2015 als Berater einsetzte. Journalist:innen zählen ihn längst zu den "100 inspirierendsten Persönlichkeiten weltweit". Ich durfte ihn persönlich kennenlernen und wollte von ihm wissen, ob jemand wie er auch mal schlechte Tage habe – und was er in solchen Momenten tue. Nipun antwortete: "I do small acts of kindness." Diese kleinen Gesten der Freundlichkeit würden alles ändern, auch Stimmungstiefs. Geben erfüllt ihn.

Dabei war Nipun Mehta nicht immer ein "hauptberuflicher Freiwilliger", wie er sich selbst bezeichnet. In Indien geboren, heuerte er nach seinem Informatik- und Philosophiestudium als gefragter Softwareentwickler im Silicon Valley an. Geld und Karriere waren ihm sicher. Doch er entschied sich für einen anderen Weg: 1999 gründete er die NGO ServiceSpace, eine Bewegung von mittlerweile rund 500.000 Menschen, die Freiwilligenarbeit auf der ganzen Welt leistet und den Gedanken des Gebens in großem Stil in die Welt trägt.

Herzintelligenz: weg vom Ich, hin zum Wir

Einfach geben – dieser Spirit umwehte auch Nipuns Europa-Retreat "Intelligence of the Heart", das im Vorjahr in Wien stattfand. Das Retreat startete mit einer gemeinsamen Minute der Stille. Als Silence-Retreat-Leiterin fühlte ich mich ab diesem Moment bereits zu Hause. Nipun bat alle, die Intention des Tages zu setzen. Anders als bei ähnlichen Events ging es hier nicht darum, uns zu fragen, was wir von dem Retreat mitnehmen könnten, sondern darum, was wir teilen und einbringen wollten. Einen Tag lang drehte sich alles um Herzintelligenz: weg vom Ich, hin zum Wir. Wie schafft man das in der Bildung, in den Medien, in der Politik und in der Wirtschaft? Der Austausch mit Expert:innen aus diesen Bereichen war geprägt von einer Wertschätzung, die ich bei Diskussionen rund um ähnliche Themen sehr oft vermisst habe. Es war und ist eine komplett neue Art des Miteinander.

Wie kann nun der Start hin zu mehr Großzügigkeit gelingen? "Mach dich verfügbar, um sie zu praktizieren", schlägt Nipun Mehta vor. Es geht um den ersten Schritt. Einfach tun! Fang klein an und geh von dort aus weiter. Geben ist einfach. Und spannenderweise erleichtert es auch das Nehmen: Ich bemerke bei Nipun, dass er nicht nur gibt, sondern auch aus vollem Herzen annimmt, wenn ihm gegeben wird. So halten sich Geben und Nehmen die Waage. Gemeinsam werden wir die Welt verändern, davon ist Nipun überzeugt. Ich übrigens auch! Vor rund 15 Jahren haben er und seine ServiceSpace-Community das Restaurant-Projekt Karma Kitchen gestartet: Du gehst essen, und deine Rechnung ist schon von einem anderen Gast bezahlt. Ebenso zahlst du anschließend für den, der nach dir isst. Das System trägt sich selbst seit eineinhalb Jahrzehnten. Nipun Mehta und seine Community zeigen damit, dass Geben wirtschaftlich tragfähig ist.

Bestätigt wurde das durch eine Untersuchung der High School of Business in Berkeley, wie Nipun in seiner TEDx-Rede "Designing for Generosity" erzählt. Die Professoren waren inspiriert von der Karma Kitchen und wollten das Phänomen untersuchen. Ort des Geschehens war ein Cartoon-Museum, der Eintritt betrug offiziell einen Dollar. Es gab drei Studienszenen. Die erste: Besucher:innen gaben einen Betrag ihrer Wahl in eine Box am Eingang. Im Durchschnitt zahlte jede:r 1,23 Dollar. Szene zwei: Die Menschen wurden gebeten, dem Mitarbeiter direkt an der Kassa zu geben, was sie für angemessen hielten. Es waren durchschnittlich zwei Dollar. In der dritten Szene sollten die Besucher:innen einen Betrag ihrer Wahl für jene zahlen, die nach ihnen kamen. Ihre Großzügigkeit betraf also Menschen, die sie nicht kannten und die ihnen auch gar nicht danken konnten. Hier wurde das Konzept von Karma Kitchen imitiert. Die Menschen gaben in diesem Fall durchschnittlich drei Dollar. Eine unglaubliche Vermehrung!

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WOMAN-Gastautorin Nicole Hobiger-Klimes & Wirtschaftsvisionär Nipun Mehta

Gastautorin Nicole Hobiger-Klimes mit Nipun Mehta, der zu den 100 inspirierendsten Persönlichkeiten weltweit zählt. Hobiger-Klimes ist Business- und Leadership-Coachin, Expertin für Meditation und Achtsamkeit sowie Autorin. Mit ihrer Plattform "Die Wirkschaffer:innen" setzt sie ein Zeichen für ganzheitliches Female Empowerment. nicolehobigerklimes.at

 © Manuel Gruber

Die Kunst der Großzügigkeit

Für mich ist Geben seit 13 Jahren auch in meinem Beruf Realität: Egal ob meine Angebote ausgebucht sind oder nicht, verschenke ich immer mindestens einen Platz an eine Person, die es finanziell schwieriger hat. Wirtschaftlich gibt es keinen Transfer, aber mein Konto der Freude quillt über. Denn ich ermögliche damit einem Menschen, einen Moment zu erleben, der sein Leben bereichert. Wenn ich gebe, erlebe ich Fülle, werde mir meines Überflusses bewusst, erkenne meine Fähigkeiten und die anderer. Ich sehe neue Möglichkeiten und kultiviere Dankbarkeit dafür, was ich habe und wer ich als Mensch bin. Ich werde mir meines Handlungsspielraums bewusst. Ich entscheide mich, zu geben, denn ich habe etwas zu geben. So erfahre ich Selbstbestimmung. Ich gebe weiter, was mir in meinem Leben bisher schon geschenkt wurde.

Du möchtest auch damit beginnen, zu geben? Nimm einen tiefen Atemzug und frag dich: Habe ich seit Beginn des Jahres schon gegeben? Wem und wie habe ich gegeben und wie hat es sich angefühlt? Und der noch wichtigere Fokus: Wie möchte ich das Leben anderer durch mein Tun bereichern? Beginne jetzt mit dem ersten Schritt (mehr Tipps unten)! Versprechen wir uns selbst, Großzügigkeit zu praktizieren. Was als Geschenk für andere verpackt ist, ist möglicherweise ein noch größeres für uns selbst.

4 Impulse, um zu beginnen

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