Logo

Wieso beruhigt uns True Crime?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
5 min
Filmszene aus "Jeffrey Dahmer"
©Netflix

In einigen WOMAN-Ausgaben geben (unsere) Redakteurinnen Antworten auf drei (un)wichtige Fragen, dieses Mal: Wieso beruhigt uns True Crime?

Serienmörder-Dokumentationen beruhigen meine Nerven. Ich schau das, damit ich gut schlafen kann. Es ist kompliziert." – Der Text dieses Memes spricht nicht nur mir, sondern vielen Frauen aus der Seele. Mord entspannt. True-Crime-Podcasts, -Magazine und -Serien boomen seit Jahren. Das internationale Marktforschungsinstitut für Unterhaltungsanalysen Parrot Analytics weiß: Die Nachfrage nach True-Crime-Dokumentationen ist zwischen Jänner 2018 und März 2021 um 63 Prozent gewachsen. 2022 veröffentlichte Netflix einen Thriller über Serienmörder Jeffrey Dahmer. Allein in der ersten Woche wurde er 196,2 Millionen Stunden lang gestreamt und entwickelte sich zur damals erfolgreichsten Serie auf Netflix – vor "Bridgerton" und "Squid Game". Grund für den Erfolg dieses Genres sind vor allem Frauen, die im Durchschnitt rund 75 Prozent der Zuseher:innen und Hörer:innen ausmachen. Sie hören sich Geschichten über Serienmörder morgens beim Frühstück an, in der U-Bahn am Weg ins Büro oder abends im Bett, um besser einschlafen zu können. Es ist eine Entspannungsmethode, die für viele besser funktioniert als Yoga. Ich spreche aus Erfahrung. Aber warum sind wir so fasziniert von True Crime? Ist die Realität als Frau nicht gefährlich genug? Warum möchten wir mehr über Mord hören?

Frauen haben dadurch unterbewusst das Gefühl, etwas zu lernen. Und das beruhigt. Es vermittelt die Illusion, gewappnet zu sein.

Steile Lernkurve

Paulina Krasa ist die erfolgreichste True-Crime-Podcasterin Deutschlands, und 80 Prozent ihrer Hörer:innen sind weiblich. "Wir haben das Feedback bekommen, dass sich Frauen eher für die psychologischen Hintergründe von Kriminalfällen interessieren", analysiert sie. "Einige Untersuchungen legen mittlerweile nahe, dass Frauen in solchen Erzählungen nach Hinweisen zu Verhaltensweisen von Täterinnen und Tätern suchen, um herauszufinden, wie sie sich selbst in so einer Situation verhalten müssten, um aus dieser wieder gut herauszukommen." Seit Jahren beschäftigen sich auch diverse Studien und Umfragen mit der Frage, warum gerade Frauen Kriminalgeschichten lieben. Und die Antworten decken sich mit der Erfahrung von Paulina Krasa: Wir versuchen zu verstehen, warum Menschen Straftaten begehen und welche Anzeichen es gibt, dass eine Person zu so etwas fähig sein könnte. Frauen haben dadurch unterbewusst das Gefühl, etwas zu lernen. Und das beruhigt. Es vermittelt die Illusion, gewappnet zu sein. Denn die traurige Wahrheit ist: 35 Prozent aller Frauen in Österreich waren schon einmal Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt. Und das Wissen, dieser Gefahr ausgeliefert zu sein und nichts dagegen tun zu können, ist furchtbar.

Selbstverteidigung neu

Sich mit True Crime zu beschäftigen, ist in gewisser Weise gleichbedeutend damit, den beleuchteten Weg nach Hause zu nehmen oder seine Hand über das Getränk im Club zu halten. Es geht Hand in Hand damit, der besten Freundin den Standort vor einem ersten Date zu schicken. David Schmid ist Professor an der Universität von Buffalo und forscht genau zu diesem Thema. Er unterstreicht: Auf diese Weise haben Frauen die Kontrolle über ihre Angst. Sie können den Fernseher ausschalten, das Buch zuklappen, wenn sie aus der Geschichte aussteigen möchten. Sie entscheiden selbst, wann es vorbei ist. Ein zusätzlicher Grund, warum True Crime und Mord für viele Frauen beruhigend wirken dürfte, ist das Ende. Gewöhnlich werden die Mordfälle aufgeklärt, der oder die Bösewicht: in kommt hinter Gitter, das Opfer und die Familie erleben Gerechtigkeit. Etwas, das in der Realität leider gerade, wenn es um das Thema Gewalt gegen Frauen geht, immer wieder ausbleibt.

Über die Autor:innen

-20% auf das WOMAN Abo