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Zuhälter brandmarken ihre Prostituierten als Eigentum

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Prostitution
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Gebrandmarkt: Wie Tiere und einst Sklaven kennzeichnen Zuhälter "ihre" Prostituierten mit Tätowierungen. Diese neue - und doch so alte - Form der Kontrolle wird aktuell leider immer mehr zum Trend, worin Frauen als Eigentum deklariert werden. Adriana, die bereits mit 13 Jahren in falsche Kreise abrutschte, erzählt ihre bewegende Geschichte als Opfer von Menschenhandel.

Es ist wie eine Droge. Es macht dich high, bringt dich nach oben – und dann lässt es dich fallen, zerschmettert dich auf dem Boden. Während du drauf bist, erscheint alles verrückt. Sie sagen dir, dass dein Leben besonders sein würde. Sie sagen dir, du würdest das süße Leben in vollen Zügen genießen können, voller Schönheit, Glamour und Geld und mehr Bewunderung als du dir vorstellen kannst. Es ist aufregend. Sie stellen dir Frauen vor, die älter sind als du. Und sie sind schön. Sie tragen wunderschöne, glitzernde Kleidung, ihr Haar ist perfekt, die pedikürten und manikürten Nägel sind makellos. Sie erscheinen wie ein Traum. Sie alle haben jede Menge Spaß. Du willst eine von ihnen sein. Selbstsicher, voller Überzeugung. Und sie erzählen dir, dass sie das große Geld verdienen. Das ist das Leben, denkst du. Keine Regeln. Nur Spaß.

Dann fängst du an. Anfangs ist es ein wenig beängstigend. Dies ist kein gewöhnlicher Beruf. Manchmal sind die Männer betrunken und schmutzig. Manchmal machen sie dir Angst. Manchmal drohen sie, dich umzubringen. Manchmal halten sie dir ein Messer an den Bauch, manchmal ist es eine Pistole an der Schläfe. Du lernst, wie du sie beruhigen kannst, selbst wenn du schreckliche Angst hast. Du bist gerade einmal 13 Jahre alt. Aber sie sagen dir, jeder, der nicht diese Art von Leben führt, belüge sich doch bloß selbst. Jene Menschen, die von der Gesellschaft als normal erachtet werden, sind ebenso Sklaven, sie wissen es nur nicht.

Die sind doch alle „Langweiler“, die keine Ahnung haben. Sie werden dich nie verstehen. Und bevor du weißt, wie dir geschieht, glaubst du das alles. Du glaubst daran, dass ein normales Leben als Ehefrau eines liebevollen und fürsorglichen Ehemanns ohnehin niemals etwas für dich sei. Du kannst dir gar nicht vorstellen, dass es so etwas überhaupt gibt. Du entscheidest dich: Dieses Leben ist besser. Es ist aufregender. Du kannst tun, was du willst. Nun ja, es sei denn, dein Zuhälter bekommt von dir nicht die Summe Geld, die er fordert. Dann wirst du geschlagen und erniedrigt.

Du bist also entschlossen, die Beste zu sein, die es jemals gegeben hat. Du arbeitest 24 Stunden am Tag, wenn es nötig ist, um seine Erwartungen zu erfüllen. Und du schaffst es. Du wirst für deine harte Arbeit gelobt. Als Belohnung spendiert man dir einen Besuch im Schönheitssalon. Das ist das Leben, das ich mir gewünscht habe, sagst du dir selbst.

Manchmal behandelt er dich wie eine Tochter. Manchmal wie eine Geliebte. Manchmal wie ein Objekt. Das kommt auf seine Laune an. Er möchte immerzu, dass du deine Loyalität beweist. Dass du deinen Wert beweist. Du bist jetzt 14 Jahre alt. Er sagt, der beste Weg, all diese Dinge zu beweisen, sei, etwas Dauerhaftes auf deinem Körper zu haben, das jeden wissen lässt: Du gehörst zu ihm. Das sei wie eine Art Ehering, sagt er. Es ist sein Spitzname, der in schwarzer Tinte auf deinen Körper tätowiert wird. Du bist nicht das einzige Mädchen, das man gefragt hat. Anfangs lehnen das alle Mädchen ab. Das tust du auch. Aber dann möchtest du seine „Bottom Bitch“ sein, jenes Mädchen, das bedingungslos alles für ihn tut. Das bedeutet, du kannst über andere Mädchen bestimmen. Ich mache das, sagst du. Du willst etwas Besonderes sein.

Du bist in einem Haus. Es ist dreckig. Auf dem Boden liegt eine Matratze. In der Luft liegt der Geruch von Schweiß und Sex. Da liegt Tätowierbesteck. Und ein wenig Tinte. Davor sitzt ein Mann. Er ist der Bruder deines Zuhälters. Ist die Nadel sauber? Die Frage stellst du dir selbst, nicht ihm.

Du setzt dich. Er fängt an, in deiner Haut herumzustochern. Es dauert eine Weile. Deine Haut ist heiß und geschwollen. Von deiner Brust prangen jetzt dick die Buchstaben „Cream“. „Cash Rules Everything Around Me“, Geld bestimmt alles um mich herum, so lautet das Motto deines Bosses. Das hat man dir gerade auf die Brust tätowiert. Du strahlst vor Stolz. Jemand bekennt sich zu dir. Dies ist deine neue Familie. Du gehörst dazu. Er wird mich jetzt in einem ganz anderen Licht sehen, denkst du. Das stimmt auch: er sieht dich jetzt anders. Er hat gerade sein Eigentum markiert. Jeder weiß jetzt, dass du ihm gehörst.

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Adriana wurde von ihrem Freier gebrandmarkt © © CNN International/ Freedom Project

Mittlerweile sind vier Jahre vergangen. Du machst noch immer die gleiche Arbeit. Du bist nicht frei. Du bist nicht erfüllt von Freude. Du lebst nicht das glamouröse Leben, das man dir versprochen hat. Noch nicht. Das wird schon noch passieren, versicherst du dir selbst. Eines Tages triffst du jemanden, der einst an deiner Stelle war, sie ist aber zwanzig Jahre älter. Ihre Zähne sind ausgeschlagen. Ihre Fingernägel sind schmutzig. Ihr Haar ist zerzaust. Die jüngeren Mädchen nennen sie dreckige Hure und Cracknutte. Du nennst sie nicht so. An diesem Tag entscheidest du dich, dir einen Moment zu nehmen und mit ihr zu sprechen, denn das Geschäft läuft schleppend.

Du fragst sie, wer sie sei. Sie erzählt dir die Geschichte ihres Lebens, nun ja, zumindest die dramatischsten Teile davon. Früher war sie genau wie du. Sie war auf der Straße jedermanns Liebling. Sie war über jeden Zweifel erhaben. Sie verdiente mehr Geld als all die anderen Mädchen. Aber eines Tages stieg sie in den Wagen eines falschen Kunden. Er schlug ihr die Zähne aus. Er ließ sie am Straßenrand zurück, verletzt und verprügelt. Sie fühlte sich hässlich. Sie brauchte etwas, um den Schmerz zu verbergen, die Schande, den Selbsthass. Sie begann, Drogen zu nehmen. Die Drogen begannen bald, ihr Leben zu bestimmen. Es dauerte nicht lange, da sah sie keinen Ausweg mehr. Die Straße wurde für alle Zeit ihr Zuhause. Es gab keinen Weg zurück.

Das ist der Wendepunkt, du haust ab. Du hörst auf, an diesen Traum zu glauben, den man dir vor vier Jahren versprochen hat, als du 13 Jahre alt warst. Du weißt, dass du hier raus musst. Doch wie? Das weißt du nicht. Du bist noch immer süchtig nach dem „Leben“ – aber du bist nicht süchtig nach Drogen. Und jetzt bist du dir nicht sicher, was davon schlimmer ist. Die Drogen, die Drogen sind schlimmer, sagst du dir selbst. Deswegen weigerst du dich, sie zu nehmen.

Aber auch die emotionale Sucht nach dem „Leben“ ist groß. Einzig der Entzug gestaltet sich anders. Du fühlst den Schmerz der Einsamkeit, du fühlst Scham, du fühlst Zweifel und du fühlst Zusammenhangslosigkeit – manchmal alles im gleichen Moment. Du bist so daran gewöhnt, auf der Hut zu sein, vor diesem gefährlichen Typen oder vor den Schlägen des Mannes, der auf der Straße dein neuer „Vater“ ist.

Du schaffst es nicht, dich so lange zu beruhigen, bis ein Gefühl von Sicherheit aufkommt – egal wo du bist. Du möchtest ein neues Leben beginnen, aber es gibt zu viele Möglichkeiten. Welche davon ist die Richtige? Wird die Welt dich als etwas anderes akzeptieren, als einen anderen Menschen?

Du hast deine Teenagerjahre damit verbracht, dich zu verkaufen, deine Härte unter Beweis zu stellen, deine Schönheit, deinen Wert. Alles, was du wirklich willst, ist Liebe, aber damals wusstest du nicht, wie du das nennen solltest, nach dem du dich gesehnt hast. Dein Herz wird wieder und wieder gebrochen, dutzende Male. Aber es hört einfach nicht auf zu brechen. Du bist in winzige Stücke zerrissen und beschließt, dass jedes dieser Stücke einen Namen bekommen wird. Für jedes Stück erschaffst du eine eigene Identität.

So gehst du mit der Situation um. Du rappelst dich wieder auf, trocknest die Tränen und gehst wieder hinaus. Manchmal passiert es in einem Auto, manchmal in einem Hotelzimmer, manchmal auch in einem Apartment. Manchmal jagt es dir Schauer des Ekels über den Rücken. Manchmal ist es in Ordnung, denn er ist nett. Es ist gut bezahlt, manchmal.

Es handelt sich hierbei nicht um Fiktion. Dies sind Ausschnitte aus dem Leben eines jungen Mädchens namens Adriana. Sie war 13 als sie in das einstieg, was sie das „Leben“ nennt. Ein Leben voller Zuhälter, Freier, Geld, Waffen und Drogen. Sie sagt, sie habe sich dafür entschieden, weil sie rebellisch war. Heute weiß sie, dass sie wie ein Produkt gehandelt wurde, doch sie will nicht als Opfer gesehen werden.

Die mittlerweile 17-jährige Adriana wird dank ihrer, wie sie es selbst bezeichnet "Kriegsverletzung" bei jedem Blick in den Spiegel an ihre Qualen erinnert, wie sie in folgendem Video erzählt:

Sie ist stark und klug, doch auch ihre wundervolle Persönlichkeit bewahrte sie nicht davor, von Männern, die dreimal so alt waren wie sie, manipuliert und in eine Welt gelockt zu werden, von der sie dachte, dass sie mit ihr zurechtkommen könne. Einer nach dem anderen entdeckten diese Männer und auch die Frauen, die ebenso in dieses Leben gerutscht waren wie Adriana, die verletzlichsten Teile ihres Herzens und benutzten diese, um sie sich gefügig zu machen.

Sie ist nicht alleine. Journalistin Sara Sidner traf Adriana in einem Frauenhaus, in dem mehr als ein Dutzend Mädchen mit ähnlichen Lebensläufen versuchten, das Leben als Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution hinter sich zu lassen. Viele der Mädchen sind von diesem Leben gezeichnet. Die Polizeibehörden der Vereinigten Staaten sagen, es falle in den letzten Jahren auf, dass die Zuhälter ihre Spuren und Markierungen auf den Mädchen wie nie zuvor hinterließen.

All dies ist Teil der Gang-Kultur, die das Geschäft mit dem Sex auf den Straßen Amerikas übernommen hat. In verabscheuungswürdigen Demonstrationen der Dehumanisierung brandmarken oder tätowieren die Zuhälter ihre Mädchen, um zu zeigen, wem sie gehören. Die Symbole auf den Körpern der Mädchen zeichnen ihre Geschichte auf der Straße nach.

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Bilder von gebrandmarkten Frauen © © CNN International/ Freedom Project

Manche Mädchen haben gar mehrere Tätowierungen. Jeder einzelne Zuhälter, der die Mädchen auf die Straße schickt, hinterlässt sein individuelles Label. Manchmal sind es, ganz altmodisch, zwei Säcke voll Geld. Manchmal sind es Diamanten. Manchmal prangt der Name des Zuhälters auch von der Stirn. Manchmal ist es ein Geldautomat, der in die Leistenregion geätzt wird. Auf dem Handgelenk eines Mädchens haben wir sogar einen Barcode gesehen, wie bei einem Produkt in einem Lebensmittelgeschäft.

Amerika hat diese Symbole schon früher gesehen. Auch Sklavenhalter brandmarkten, um jene schwarzen Männer, Frauen und Kinder zu markieren, die sie erstanden oder verkauft hatten. Wir befinden uns im Jahr 2015 und es wird noch immer Sklaverei betrieben, sie hat lediglich eine andere Form angenommen.

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Jennifer Kempton ist Gründerin von Survivor’s ink und hilft den Frauen ihre Tattoos zu überdecken - wie das Kreuz auf ihrem Oberarm. © © CNN International/ Freedom Project

Um nicht ständig mit der erschreckenden Vergangenheit konfrontiert zu werden, hilft die NGO "Survivor’s ink" Frauen ihre Tattoos, die sie von Freiern erhalten haben, zu verändern, um so nach Jahren in der Zwangsprostitution ihren Körper wieder zurück zu gewinnen:

CNN Freedom Project:
Das CNN Freedom Project ist eine Initiative, für die der internationale Nachrichtensender CNN International seine weltweiten Ressourcen einsetzt, um das undurchsichtige Netz krimineller Menschenhändlerringe zu entwirren und gesellschaftliches Engagement zu fördern. In den Beiträgen werden unter anderem Fälle von Menschenhandel, Kinderarbeit und Prostitution aufgedeckt. Weitere Informationen unter: www.cnn.com/freedom

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