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Am Morgen ist die Welt noch in Ordnung

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eine Frau macht Yoga vor einer gelben Wand, es fällt Licht durch einen Baum, weswegen sie teils in der Sonne und teils im Schatten ist

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Im Sommer sind wir glücklicher. Doch neben der Jahreszeit wird unsere Stimmung auch von der Stunde des Tages sowie vom Wochentag selbst beeinflusst.

Der Volksmund weiß es schon lange. Nach einer schlechten Nachricht, viel Stress, überbordendem Weltschmerz oder einem bösen Streit heißt es: Immer eine Nacht drüber schlafen! Denn am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. Besser, schöner, entspannter, glücklicher und positiver. Wie viel Wahrheit in dieser Weisheit steckt, haben Verhaltens- und Gesundheitswissenschaftler:innen des University College London nun bewiesen: Feifei Bu, Jessica Bone und Daisy Fancourt zeigten erstmals, dass Menschen am Morgen tatsächlich die beste Gemütsverfassung aufweisen und spätabends die schlechteste. Gegen Ende des Tages seien viele grantig, ängstlich und depressiv.

Studie bestätigt, was viele fühlen

Die zweijährige Sozialstudie mit fast 50.000 Proband:innen wurde soeben im britischen Fachjournal BMJ Mental Health publiziert und sorgt für Aufsehen. Immerhin bestätigt sie, was viele Menschen schon lange fühlen. Die Welt ist am Morgen hell und am Abend dunkel, auch im übertragenen Sinn. Vor dem Zubettgehen sowie beim nächtlichen Aufwachen drücken Sorgen schwer aufs Gemüt, während man in der Früh wieder zuversichtlicher in den Tag startet. Für die Analyse beantworteten die Proband:innen über 24 Monate hinweg regelmäßig Fragen in puncto Zufriedenheit, Glück und Sinn des Lebens. Auch Symptome von Ängstlichkeit und Depressionen wurden ermittelt. Fazit des Forscher-Teams: Psychisches Wohlbefinden und mentale Gesundheit hängen vom Tagesrhythmus ab.

Die Wiener Bewusstseins- und Traumforscherin Brigitte Holzinger zeigt sich von den Ergebnissen wenig überrascht. Für WOMAN Balance analysiert sie die in der Studie nicht ermittelten Ursachen für die Hochs und Tiefs: „Die beste Vermeidungsstrategie für negative Gefühle ist guter Schlaf. Für mich funktioniert Schlafen wie eine kleine Psychotherapie, da in der Nacht Erlebtes verarbeitet wird. Das hilft, mental gesund zu bleiben, und fördert gute Laune beim Aufwachen.“ Im Alltag, zwischen Kindern und Karriere, müssen dunkle Gedanken oft beiseitegeschoben werden, daher läuft das Gehirn im Traum auf Hochtouren und schiebt Nachtschicht. Das ist wichtig, um die Organe gesund zu halten, die Immunzellen zu stärken und den Stoffwechsel zu unterstützen. Durch die Entrümpelungsarbeit der körpereigenen Müllabfuhr fühlen sich die meisten Menschen in der Früh erleichtert und fit für die Herausforderungen des Tages: „Morgens haben wir ein gutes Tages- und Identitätsbewusstsein und sind in puncto Gefühle wieder ganz bei uns“, so Holzinger.

Cortisol weckt Lebensgeister

Allerdings verweist die Schlafexpertin auf einen großen Unterschied: Die (eher) frühen Lerchen können am Morgen Bäume ausreißen, während die (eher) späten Eulen bis Mitternacht hellwach und abends produktiver sind. Dieser genetisch bedingte, jedoch im Lauf des Lebens veränderbare Faktor könnte die Umfrageergebnisse in die eine oder andere Richtung beeinflusst haben. Menschen mit einem guten, erholsamen Schlaf verdanken ihren frühen Energie-Kick der REM (Rapid Eye Movement)-Phase: „Der Traumschlaf verbessert Gedächtnisleistung wie Konzentration und das Funktionieren der Emotions-Regulation.“ Nach einer guten Nacht mit ausreichend Tiefschlaf fällt vieles leichter.

Wer in seinem Rhythmus lebt und träumt, braucht zum Aufwachen keinen Handyalarm. Zu verdanken ist das unserem „Weckhormon“ Cortisol. Es macht uns munter, regt Puls und Blutdruck an. Die höchsten Cortisolspiegel werden in der Früh gemessen und sorgen dafür, dass die Stimmung vom Ruhe- in den Aktivmodus umschlägt. Obwohl Cortisol als Stresshormon bekannt ist, das oft keine Assoziation zu guter Stimmung weckt, dürfte es am Morgen für die Energiebereitstellung verantwortlich sein. Es holt Traummännlein wie -weiblein aus den Federn.

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eine Frau macht Yoga im Garten

Gleich nach dem Aufstehen fühlen wir uns laut einer Studie des British Medical Journal Mental Health am besten.

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Zwischen Helligkeit und Dunkelheit

Lacht die Sonne vom Himmel, wird über die Augen und vermutlich auch über die Haut die Produktion des Glückshormons Serotonin angeregt. Es wirkt stimmungsaufhellend und hat Vitamin D mit im Gepäck, das bei Sonnenexposition gebildet wird. Schlafforscherin Holzinger schwört daher auf die täglichen Morgenrunden mit ihrem Hund. Und auch die britischen Forscher:innen bestätigten: Licht und Wärme sorgen für Leichtigkeits- und Freiheitsgefühle.

Genug Tageslicht, weniger Kälte: Die meisten Menschen erleben im Sommer den Höhepunkt ihrer psychischen Gesundheit. Wenn es dann abends finster wird, baut der Körper Teile des Serotonins in das sogenannte Dunkelhormon Melatonin um. Es macht uns müde und erleichtert den Übergang in die Schlafphase. Wie viele aus der Erinnerung an triste, kalte Jänner-Tage noch bestens wissen, ist der Winter stimmungsmäßig eine besondere Herausforderung. Auch die Wohlbefindlichkeits-Ermittler:innen orteten „weitverbreitete depressive Verstimmungen“ in der dunklen Jahreszeit.

Das Mitternachtstief

Ein ähnlicher Prozess setzt allabendlich mit Einbruch der Dämmerung ein. Rund um Mitternacht diagnostizierten sich die Proband:innen als am stärksten deprimiert. Vermutlich, weil sie entweder noch gar nicht oder aber schlecht geschlafen haben beziehungsweise aus einem (Alb-)Traum erwachten. In der Nacht macht der präfrontale Kortex Pause – jenes Hirn-Areal, das in gewisser Weise für Disziplin zuständig ist. Unter dem fehlenden Einfluss des Serotonins können sich negative Gedanken ungehemmt entfalten: Wir malen uns nachts schlimme Situationen unüberwindbar groß aus.

Weder ein Übermaß an Schlaf noch chronischer Schlafmangel tun der seelischen Gesundheit gut. Forschende weisen darauf hin, dass manche Formen der Depression mit verkürztem Schlaf einhergehen – andere hingegen mit einem Übermaß an nächtlicher Ruhe. Entsprechend setzt man bei bestimmten Therapien gezielt auf den Morgen: Lichtbehandlungen etwa finden stets früh am Tag statt – zu einer Zeit, in der die Welt, so scheint es, noch halbwegs im Gleichgewicht ist.

Montagshoch und Sonntagsblues

Interessantes Detail der Studie: Sogar der Wochentag spielt für unsere Zufriedenheit eine Rolle. Allerdings anders als viele vermuten: den Studienteilnehmer:innen ging es an (freien) Wochenenden nicht besser als unter der (Arbeits-)Woche. Im Gegenteil: Die Glückswerte waren am Montag oder Freitag höher als etwa am Sonntag. Ein Stimmungstief wird in der Regel in der Wochenmitte erreicht.

Holzinger erklärt den Sonntagsblues mit veränderten Schlafgewohnheiten: „Viele gehen hier später zu Bett und schlafen am Morgen länger aus. Das ist suboptimal, weil so die Zeit des natürlichen Stimmungshochs womöglich verträumt wird.“ Außerdem gerate die innere Uhr durcheinander: „Regelmäßigkeit ist für guten Schlaf essenziell.“ Und wohl ebenso für ein frohes Gemüt.

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