
Ist Protein wirklich der Schlüssel zu Langlebigkeit und dauerhaftem Abnehmerfolg? Für Ernährungs-Doc Matthias Riedl ist Eiweiß ein echter Gamechanger. Im Health-Talk mit WOMAN erklärt er, warum.
Gefühlt im Wochentakt erscheinen neue Studien zu den positiven Wirkungen einer ausreichenden Eiweißzufuhr. Auch für Dr. Matthias Riedl, einen führenden deutschen Ernährungsmediziner, ist Protein ein unterschätzter Gesundheits-Faktor, wie er in seinem neuen Ratgeber „Gamechanger Protein“ (erschienen bei GU) betont. Er liefert darin wissenschaftlich fundierte Antworten auf die drängendsten Fragen, räumt mit Mythen auf und zeigt in einem umfassenden Rezeptteil, wie man gute Proteinquellen in den Alltag integrieren kann.
Fitter, schlanker, glücklicher
Was aber ist das Besondere an Eiweiß? Der Nährstoff verbessert unsere Chancen deutlich, im Spiel des Lebens viele gesunde Jahre zu gewinnen. Eiweiß ist nicht nur der „Abnehmhelfer Nummer eins“ und essenziell für unsere Muskeln, sondern auch für unsere psychische Gesundheit: „Viele Neurotransmitter, die unsere Stimmung beeinflussen, basieren auf Aminosäuren – das Glückshormon Serotonin zum Beispiel auf Tryptophan. Diese müssen wir dem Körper über die Nahrung liefern“, erklärt Riedl. Gute Tryptophanquellen seien Eiweißlieferanten wie etwa Huhn, Lachs, Milchprodukte, Eier, Nüsse oder Tofu. Man müsse, so der bekannte Autor und Mediziner, über Eiweiß gut Bescheid wissen, „um die eigene Ernährung entsprechend optimieren zu können und von den positiven Effekten zu profitieren“. Wir baten ihn zum Gespräch.
Warum ist Protein ein Gamechanger in der modernen Ernährung?
Wir haben in unserer Gesellschaft ein Übergewicht-Problem: Die Makronährstoffe Eiweiß, Fette und Kohlenhydrate sind nicht richtig verteilt. Eiweiß brauchen wir nicht nur zum Aufbau der Muskulatur, sondern vor allem als Sättigungsfaktor. Oberstes Ziel ist es, ein nachhaltiges Sättigungsgefühl zu erreichen, und dafür brauchen wir genug Eiweiß in der richtigen Dosis, über den Tag verteilt.
Kann man schlussfolgern: Je mehr Eiweiß, desto schlanker?
Nein. Wir brauchen Proteine in ausreichender Menge, aber auch nicht zu viel davon. Sonst wird auch Eiweiß zum Dickmacher.
Und wie viel ist nun genug?
Gesunde Erwachsene haben einen Proteinbedarf von 0,8 bis 1,2 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Also angenommen, eine 40-jährige Frau wiegt 58 Kilogramm, dann benötigt sie im Schnitt täglich 58 Gramm Eiweiß.
Das entspricht etwa zwölf Eiern oder 600 Gramm griechischem Joghurt pro Tag – ist das nicht extrem viel?
Wenn man den Bedarf nur über tierisches Eiweiß deckt, erscheint das tatsächlich sehr viel. Sie dürfen aber nicht vergessen: Auch in Gemüse steckt viel Eiweiß. Damit können Sie schon zehn bis 20 Gramm Ihres täglichen Proteinbedarfs decken, und dann brauchen Sie nicht mehr so viel tierisches Eiweiß wie Fleisch oder Milchprodukte. Auch Samen, Nüsse oder Vollkornbrot sind gute pflanzliche Eiweißquellen. Ich rate dazu, Eiweißvarianten zu mischen – das erhöht die Bioverfügbarkeit. Das Eiweiß wird dann vom Körper besser aufgenommen.
Was kann ich noch tun, damit mein Körper Protein optimal verwertet?
Trinken Sie ausreichend! Beim Proteinabbau wird Stickstofffrei, der über die Nieren ausgeschieden werden muss. Je mehr Eiweiß Sie konsumieren, desto mehr müssen Sie trinken. Flüssigkeit dehnt den Magen, was wiederum zur Sättigung beiträgt. Zur Orientierung: 30 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht am Tag sind gut. Vor allem ältere Menschen sollten sich zum Trinken anhalten: Sie haben einen erhöhten Protein- und damit auch Flüssigkeitsbedarf, zugleich aber ein verringertes Durstgefühl. Auch wichtig: Verteilen Sie die Proteinzufuhr über alle Mahlzeiten und essen Sie dazwischen mindestens vier, besser fünf Stunden nichts. Mehr als 35 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit kann unser Körper nicht verwerten. Was diese Menge übersteigt, kann bei einer positiven Energiebilanz zu Fett umgewandelt und unter anderem am Bauch angelagert werden. Und schließlich: Nur mit ausreichend Bewegung kann der Körper Proteine nutzen und so beispielsweise Muskelschwund entgegenwirken.
Welche Lebensmittel haben die beste Verfügbarkeit von Eiweiß?
Bei den tierischen Proteinquellen sind das Vollei, Thunfisch, Milch, Eiklar, Schweinefleisch, Joghurt, Rindfleisch, Geflügel, Käse und Hering. Und bei den pflanzlichen Proteinquellen sind Soja, Sojamilch, Buchweizen, Reis, Quinoa, Mais, Bohnen, Kartoffeln, Haferflocken, Linsen, Erbsen, Weizenmehl und Haselnüsse führend. Es gibt übrigens viele pflanzliche Lebensmittel, deren Aminosäureprofile sich perfekt ergänzen. Kluge Kombis sind etwa Vollkornbrot mit Nussmus, Porridge mit Mandeln und Walnüssen, Vollkornnudeln mit Soja-Bolognese oder Kichererbsencurry mit Naturreis.
Was hat sich in den letzten Jahren verändert, dass Proteine plötzlich so stark im Fokus stehen – Stichwort „Protein-Hype“?
Die Wissenschaft weiß seit Jahrzehnten, dass Eiweiß satt hält. Aber populär geworden ist der Ansatz erst durch Influencer:innen, die im Eiweiß ein Allheilmittel zur Gewichtsabnahme sehen. Marketing und Industrie sind aufgesprungen und missbrauchen den Gamechanger nun als Verkaufsförderer. Ein Pudding etwa, der 40 Gramm Eiweiß enthält, ist ein hoch verarbeitetes Produkt, das sicher nicht gesund ist.
Was halten Sie von proteinangereicherten Lebensmitteln wie Eiweißbrot, -riegeln oder -joghurt: Macht das Sinn oder sind sie überflüssig?
Wenn Lebensmittel durch Zutun natürlicher, proteinhaltiger Zutaten wertvoller werden, ist das gut. Beispiele hierfür wären etwa Mandelmehl im Kuchen oder Nüsse im Brot. Häufig werden aber – so wie beim Puddingbeispiel – minderwertige Lebensmittel stark mit Eiweiß angereichert, und das ist nicht zu begrüßen. Es gibt sogar schon Protein-Softdrinks.
Sind Proteinshakes für Sportler:innen okay?
Auch das sind häufig hoch verarbeitete Lebensmittel. Oft sind wahllos Vitamine und Spurenelemente zugesetzt, die in dieser Form keiner braucht. Künstliche Aromen wiederum können appetitsteigernd wirken. Mein Tipp lautet daher: Selber machen! Mandelmus mit geriebenen Haferflocken und Früchten wäre ein perfektes Frühstück, ganz ohne künstliches Aroma.
Viel hilft nicht immer viel: Kann ein übermäßiger Proteinkonsum auch schaden?
Natürlich gibt es auch ein Zuviel. Eine gesunde Durchschnittsperson, die ab und an trainiert, ist mit 0,8 bis 1,2 g Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht am Tag gut versorgt – ein Mehr bringt hier keinen Nutzen. Es gibt individuelle Ausnahmen, wie etwa Profisportler:innen in der Muskelaufbauphase, die mehr brauchen. Eiweißexzesse, wie sie manche Influencer:innen empfehlen, sind wirkungslos und können zudem die Nieren belasten. Inwieweit die Gesundheit Schaden nimmt, wenn Menschen es über Monate oder Jahre mit der Proteinzufuhr übertreiben, ist noch nicht ausreichend geklärt, weil Langzeitstudien fehlen. Aber es gibt deutliche Hinweise darauf, dass ein stark erhöhter Konsum von – insbesondere tierischem – Protein chronische Entzündungen fördern kann und durch seinen Einfluss auf Wachstumshormone sogar die Entwicklung von Krebs.
Worauf achten Sie persönlich?
Ich bin über 60, und ab 50 brauchen wir mehr Eiweiß, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken. Morgens esse ich Topfen, Joghurt, Vollkornbrot oder Haferflocken und Milch; mittags gerne Gerichte mit Hülsenfrüchten und Gemüse, abends mal Fisch oder ein Ei.
Was ist der größte Irrglaube?
Dass das Fett in eiweißhaltigen Lebensmitteln dick macht. Aber weder fettreicher Fisch noch Nüsse, Oliven oder Käse sind Dickmacher – natürlich alles im Rahmen genossen.
Ihre wichtigste Botschaft in einem Satz?
Hören Sie auf, Kalorien zu zählen, und beginnen Sie stattdessen, Eiweiß in Gramm zu zählen!
Sieben besonders gute Eiweißquellen
Körnerkraft am Morgen: Haferflocken
Unter den Getreideprodukten sind Hafer- und Dinkelflocken mit 14 g Eiweiß pro 100 g die beste Proteinquelle. Plus: gesunde Ballaststoffe, B-Vitamine, Vitamin E, Eisen, Kalium und Magnesium. Tipp: Beim Backen können Sie bis zu ein Drittel der Mehlmenge durch gemahlene Haferflocken ersetzen.
Rundum gesund: Eier
Ein Ei der Größe M liefert 7 g Protein und vereint alle essenziellen Aminosäuren. Eigelb punktet mit B-Vitaminen, Vitamin A, Eisen, Zink und Cholin. Das Cholesterin im Ei gilt nicht mehr als bedenklich. Trotzdem: Fünf Stück pro Woche genügen!
Protein-Kick light: Bio-Hähnchen
Generell gilt: Je weniger Fleisch, desto besser. Ab und an eine kleine Portion Geflügel ist jedoch okay – in 100 g stecken satte 23 g Eiweiß. Auch top: Topfen und Hüttenkäse!
Kleine Kraftpakete: Linsen
Hülsenfrüchte bestehen getrocknet zu etwa einem Viertel aus Eiweiß und liefern auf 100 g immerhin 10 bis 15 g Ballaststoffe (Tagesbedarf: mindestens 30 g). Tipp: Pasta aus 100 Prozent Linsenmehl ist genauso wertvoll!
Knackige Vitaminbombe: Kohl
Karfiol, Brokkoli und Wirsing liefern mehr Eiweiß als die meisten anderen Gemüsesorten: Karfiol kommt mit 4,5 g pro 100 g auf besonders viel. Plus: jede Menge Vitamin C, Ballaststoffe sowie Glucosinolate (wirken antientzündlich).
Alleskönner aus Sojabohnen: Tofu & Tempeh
Sojaprodukte punkten mit bis zu 17 g (Tofu) bzw. 19 g (Tempeh) Eiweiß pro 100 g. Sie sind in Dutzenden Varianten erhältlich. Besonders wertvoll ist Tempeh: Es enthält Bakterien, die unser Mikrobiom unterstützen.
Proteinbooster zum Knabbern: Mandeln
Satte 19 g Eiweiß auf 100 g, dazu viele Ballaststoffe und ungesättigte Fettsäuren: Dieses Nährstoffprofil macht Mandeln zu einem Superfood, das zudem Herz und Gefäße schützt. Pistazien, Kürbiskerne und Walnüsse sind ähnlich wertvoll.
