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Gen-Verjüngung: Geht das?

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Frau die Sport macht

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Lässt sich die Altersuhr tatsächlich zurückdrehen? Und kann die Epigenetik – eine junge Tochter der Biologie – am unverrückbaren genetischen Erbe rütteln? Anti-Aging-Mediziner:innen gehen diesen Fragen nach und liefern konkrete Lifestyle-Tipps.

Was haben Bienenköniginnen und eineiige menschliche Zwillinge gemeinsam? Die Antwort mag überraschen: Beide eignen sich hervorragend dazu, ein noch vergleichsweise junges Teilgebiet der Biologie zu illustrieren, das unser Verständnis von Gesundheit und von Alterungsprozessen gehörig auf den Kopf stellt. Die Rede ist von der sogenannten Epigenetik (die griechische Vorsilbe "epi" steht für "über" oder "zusätzlich"), die sich mit Phänomenen beschäftigt, die durch den Blick nur auf Gene nicht ausreichend erklärt werden können.

Wieso erkrankt ein Zwilling im Lauf seines Lebens an Krebs, während sich der andere bester Gesundheit erfreut – und das, wo doch eineiige Zwillinge nahezu identische Gene haben? Oder beim zweiten Beispiel: Wie kann es sein, dass das Futter über das Schicksal von eigentlich identischen Bienenlarven entscheidet? Wird nämlich eine Pollen-Honig-Mischung verfüttert, so entstehen "normale" Arbeiterinnen. Wird eine Larve allerdings mit dem legendären Gelée royale (Königinnenfuttersaft) verwöhnt, so wächst eine Bienenkönigin heran. Diese ist größer, lebt länger und ist im Gegensatz zu ihren Schwestern auch als Einzige fruchtbar. Mit anderen Worten: Die Erbanlagen allein entscheiden offenbar nicht darüber, wie gesund und wie lange ein Individuum lebt.

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Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk: Weltweit führender Anti-Aging-Mediziner und Präsident der German Society of Anti-Aging Medicine.

 © Privat

Wir sind den Genen nicht ausgeliefert

Und hier wird es erst richtig spannend: Lässt sich das Wissen rund um die Epigenetik nutzen, um Gesundheit und Wohlbefinden zu steigern oder sogar um der Alterung ein Schnippchen zu schlagen? Die gute Nachricht: Die Antwort dürfte ein klares Ja sein. Und im Buch "Verjünge deine Gene deine Gene! Wie wir die neuesten Erkenntnisse der Epigenetik für unsere Verjüngung nutzen können" lässt sich das seriös und gut verständlich nachvollziehen. Dahinter steckt im Prinzip auch die Antwort auf die jahrzehntealte Frage, ob es die genetische Veranlagung oder aber der Lebensstil – also Ernährung, Bewegung, Schlaf, Stress, traumatische Erlebnisse – ist, der unser Leben bestimmt. Beides, lautet die seit Längerem klare Antwort.

Aber die Epigenetik liefert endlich die Erklärung dafür, wie der lange gesuchte Zusammenhang zwischen beiden aussieht. Vereinfacht gesagt wird diese Verbindung durch das Ein- oder Ausschalten von Genen hergestellt, was beispielsweise mithilfe von einfachen Molekülen (Methylgruppen, weshalb auch von "Methylierung" die Rede ist) geschieht. Wird ein "gutes" Gen ausgeschaltet, so ist das ebenso von Nachteil wie die Freischaltung eines "schlechten" Gens. Lässt man diese Erkenntnis sickern, so ergibt sich eine aufregende Konsequenz daraus: Gene sind in ihren Auswirkungen also doch kein unabwendbares Schicksal. Und die Epigenetik ist mittlerweile so weit, dass sich ihre Erkenntnisse tatsächlich in ein Mehr an gesunden Lebensjahren übersetzen lassen dürften.

Epigenetische Uhr

Der Anti-Aging-Mediziner Bernd Kleine-Gunk und der Medizinjournalist Bernhard Hobelsberger haben in ihrem Buch etwas keineswegs Selbstverständliches geschafft: Die beiden Autoren vermitteln einerseits die wissenschaftlichen Hintergründe seriös, sauber sowie mit vielen Anmerkungen für Interessierte und liefern andererseits auch viele gut verständliche Tipps, die sich leicht im täglichen Leben umsetzen lassen. Während sich manche Leserinnen und Leser vielleicht gleich auf wichtige Take-aways und konkrete Empfehlungen (siehe Tabelle unten) stürzen, können andere vorher die Schlüsselfrage stellen: Was bedeutet es überhaupt, "Gene zu verjüngen", wie es der Buchtitel verspricht?

Ausgangspunkt dazu ist das biologische Alter, das unabhängig vom tatsächlichen Lebensalter den Alterszustand eines Menschen anhand von bestimmten Merkmalen beschreibt – wie beispielsweise die Elastizität der Haut, was allerdings zu simpel und zu ungenau wäre. Eine viel bessere Methode zur Bestimmung des epigenetischen Alters ist dem deutsch-amerikanischen Genetiker und Bioinformatiker Steve Horvath zu verdanken. Seine als "Horvath-Uhr" bekannte Methode erfasst anhand von Speichel- oder Blutproben die Methylierungsveränderungen – also quasi die Schalterstellungen – an insgesamt 353 Stellen des Erbguts und errechnet daraus das epigenetische Alter. Diese epigenetische Uhr ist überraschend genau und macht möglich, wovon viele Menschen träumen: Man kann mithilfe dieser in jeder Zelle tickenden "Uhr" sehr gut zeigen, wie sich das biologische Alter durch gezielte Maßnahmen senken lässt. Gesunde Ernährung, viel Bewegung, ausreichend Schlaf, wenig Stress – dass so ein Lebensstil gesund ist, dürfte kein Geheimnis sein. Und doch hebt die Epigenetik diese Erkenntnisse auf ein neues Level.

Ein gutes Beispiel dafür ist eine 2019 veröffentlichte Studie der dänischen Biologin Birgitte Regenberg. Die Untersuchung war zwar klein und umfasste lediglich Männer über 60, aber dafür waren die Ergebnisse geradezu erstaunlich: Das Erbgut der Bewegungsmuffel unter den Probanden unterschied sich an 700 Stellen von jenem der Männer, die zeitlebens Sport getrieben hatten. Einer der wichtigsten Unterschiede: Die bereits erwähnten Methylierungs-Bremsklötzchen fehlten bei den sportlichen Männern. Andere Untersuchungen hingegen beschreiben diese Wirkmechanismen im Zusammenhang mit Krebserkrankungen: Eine Ernährungsumstellung mit Gemüse, Obst, Vollkornprodukten, Fischöl und wenig fett reichen Lebensmitteln im Rahmen einer Studie bewirkte in Verbindung mit Meditation und Entspannungstechniken innerhalb von drei Monaten ebenfalls Erstaunliches. Die Aktivität von über 500 Genen – darunter etlichen, die für die Tumorbildung verantwortlich sind – wurde verändert, wichtige Genschalter wurden zum Positiven umgeschaltet. Versteht sich von selbst, dass diese kalifornische Untersuchung (und zahlreiche ähnliche Studien) ein lauter Appell zur Vorsorge sind. "Vorsorgen ist besser als Heilen" gilt nämlich gerade auch mit Blick auf unsere epigenetischen Genschalter.

Förderliche Pflanzenstoffe

Substanz

Wirkung

Wo enthalten?

Curcumin

entzündungshemmend, immunstimulierend, verdauungsfördernd

Kurkumawurzel

Epigallocatechingallat (EGCG)

antioxidativ, zellschützend, immunstärkend

grüner Tee

Indol-3-Carbinol

antioxidativ, krebsvorbeugend, entgiften

grünes Gemüse, Kohl

Phloretin

krebshemmend, antioxidativ, schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Äpfel

Protocatechusäure

antioxidativ, krebshemmend, antimikrobiell

Olivenöl

Eine kleine Auswahl an epigenetisch relevanten Lebensmittel-Inhaltsstoffen, die Entzündungsprozesse regulieren, Sirtuine aktivieren oder den Cholesterinspiegel senken.

Nutri-Epigenetik

Einer epigenetisch inspirierten Ernährung – man spricht auch von Nutri-Epigenetik – kommt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu. Von besonderer Bedeutung für den Stoffwechsel und den Methylierungszyklus ist dabei das Trio aus Folsäure (Folat), Vitamin B12 und Vitamin B6. Besonders die Folsäure – ihre große Bedeutung in der Schwangerschaft ist längst bekannt – ist ein perfekter Hebel für epigenetisch gesunde Ernährung, reichlich enthalten ist sie etwa in Getreidekeimen und -kleie, Hülsenfrüchten wie Linsen, Leber oder grünem Blattgemüse. Einige der Top-Lebensmittel der epigenetischen Küche werden in "Verjünge deine Gene!" genauer vorgestellt. Und zwar: Olivenöl, Brokkoli, grüner Tee, Kichererbsen, Lachs, Heidelbeeren, Tofu, Kurkuma und Nüsse. Nicht völlig klar ist dabei die Rolle, die die sogenannten Sirtuine (eine Enzym-Familie) spielen. Auch ihnen wird nachgesagt, epigene tische Schalter umlegen zu können. Während die vor langer Zeit gehypte "Sirtfood-Diät" – auch Bernd Kleine-Gunk hat ein Buch dazu geschrieben – wegen mangelnder Praxistauglichkeit in der Kritik steht, dürften Sirtuine ohnedies am besten durch eine ganz spezielle Form der "Ernährung" aktiviert werden: das Fasten in seinen unterschiedlichen Formen.

Doch wie stark lässt sich die biologische Uhr tatsächlich beeinflussen? Die US-amerikanische Naturheilkundlerin Kara Fitzgerald, der Mediensuperstar im Feld, hat dazu vor Kurzem eine Studie veröffentlicht: Die Teilnehmerinnen wurden vor und nach einem achtwöchigen Programm, bestehend aus einer speziellen Methylierungsdiät sowie täglichem Sport und ausreichend Schlaf, untersucht. Das Ergebnis der kleinen (nur begrenzt aussagekräftigen) Untersuchung: Im Schnitt konnte die biologische Uhr um 4,6 Jahre zurückgedreht werden.

Bei aller berechtigten Zurückhaltung angesichts allzu großer Jungbrunnen-Erwartungen zeigt "Verjünge deine Gene!", wie weit die Wissenschaft schon gekommen ist. Gut möglich, dass es tatsächlich gelingen kann, das biologische Altern zu verlangsamen oder wenigstens die gesunde Lebenszeit des Menschen zu verlängern. Vor allem aber birgt die Beschäftigung mit der Epigenetik schon jetzt eine große Chance: Man lernt zu verstehen, warum und wie ein gesunder Lifestyle – dessen Eckpunkte wir im Prinzip ohnehin längst kennen – wirklich wirkt.

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