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Kann man mit Yoga Geld verdienen?

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Lesezeit
11 min
Eine Frau macht Yoga am Strand, es etwas nebelig oder wolkig

©Jaspinder Singh / Unsplash

Kann man von Spiritualität gut leben? Insider-Blick in eine Szene zwischen Idealismus und ökonomischer Realität.

Man hört Musik, und es riecht nach Palo-Santo-Räucherwerk: Das „heilige Holz“ aus dem Regenwald soll Energien reinigen. In der Mitte des Raums befindet sich ein Altar mit Kerzen, Bergkristallen, Muscheln und einem Blumenstrauß. „Die Natur einzuladen und ihre Gaben wertzuschätzen, fördert unsere Verbindung zueinander und zum großen Ganzen“, sagt Andrea Bunzl, Gastgeberin und Co-Leiterin des heutigen Events. In wenigen Minuten werden an diesem Sonntagnachmittag 14 Menschen auf den im Kreis arrangierten Sitzkissen Platz nehmen. Open Up & Let Go nennt Andrea ihr Format, eine Kombination aus Kakao-Zeremonie, Yoga und Breathwork. Eine Teilnehmerin wird später sagen: „Nach dem gestrigen Event hatte ich heute einen Tag, der so viel leichter war als die vielen Tage zuvor.“

Berufung statt Büro

Seit 2019 unterstützt Andrea hauptberuflich andere Menschen auf ihrem Weg zu mehr Vitalität. Als Yogalehrerin, Retreat-Köchin und Expertin für ganzheitliche Gesundheit hat sie ihre größten Leidenschaften zum Beruf gemacht – und darin ihre Berufung gefunden. Zwei Jahre hat es für die gelernte Friseurin gedauert, um den Übergang vom sicheren Angestelltenjob in die Selbstständigkeit zu schaffen: „Mein Glück war, dass ich durch meinen Job als Friseurin viele Menschen kennenlernte, die sich private Yogaklassen leisten konnten und wollten. Das hat meiner Selbstständigkeit zu Beginn sehr geholfen.“

Im Schnitt verdient man in Österreich zwischen 25 und 50 Euro pro Yogaklasse – je nach Ausbildungsgrad und Erfahrungsschatz, hat die Online-Buchungsplattform Eversports errechnet. Davon sind noch Steuern und Versicherungen zu bezahlen; Anfahrts-und Vorbereitungszeiten sind nicht eingerechnet. „Die wenigsten schaffen es hierzulande über ein Nettoeinkommen von 1.500 Euro im Monat“, weiß Astrid Wiesmayr, Obfrau der YogaUnion, Interessensvertretung der Yogalehrenden in Österreich.

Gegen den Druck der Selbstständigkeit

Eine dieser wenigen ist Audrey Hämmerle. Seit 2019 betreibt die 37-Jährige ihr Online-Studio „Just Yoga It“, leitet gut gebuchte Retreats im In- und Ausland und veranstaltet Yoga-Events in Wien. Sie hat damit mittlerweile eine stabile Existenz aufgebaut. Dabei hat sie zunächst aus „rein altruistischen Motiven“ unterrichtet: „Oft kostenlos oder gegen freie Spenden – einfach, weil es mir so viel Freude gemacht hat.“

Getragen von ihrem Angestelltenjob als Eventmanagerin ging sich alles gut aus. Mit der Entscheidung zur Selbstständigkeit wurde der Druck jedoch größer: „Ich wusste anfangs nicht, ob ich nächsten Monat die Miete bezahlen kann.“ Bis zu 17 Klassen pro Woche habe sie damals unterrichtet: „Ich war angespannt und motiviert zugleich, weil ich etwas Sinnhaftes aus einer inneren Überzeugung heraus machte.“ Heute begleitet Audrey Hämmerle über 200 Menschen pro Jahr in 15 Retreats und führt ein Team von fünf Lehrerinnen.

Wenn die Leidenschaft zum Lebensunterhalt wird, kommt dennoch vielen jene Leichtigkeit abhanden, mit der sie ursprünglich begonnen haben. Gefragt sind dann Kreativität, Durchhaltevermögen und – idealerweise – ein finanzielles Polster, das einem während der Aufbauphase über die Runden hilft. Andrea Bunzl etwa hat in dieser Phase auf Vielfalt gesetzt: „Ich habe Privatkunden in Döbling ebenso unterrichtet wie suchtkranke Menschen in einem Betreuungsheim.“ Schon als Friseurin hat sie zusätzlich Ernährungswissenschaften studiert, es folgte eine zweijährige Ausbildung zum Holistic Health Coach. Mittlerweile tragen mehrere Standbeine Andreas Selbstständigkeit – wie etwa Online-Fastenprogramme oder Verköstigungen auf Yoga-Retreats. Soeben hat sie ihr zweites Kochbuch mit Rezepten aus fünf Jahren Retreat-Küche veröffentlicht. Und sie unterrichtet immer noch mehrere Yogaklassen pro Woche – privat, in Firmen, on- und offline und in eigenen Formaten. „Wenn du in einem Feld Fuß fassen möchtest, das so gut gesättigt ist mit Angeboten, dann brauchst du neue Ideen“, erklärt die 39-Jährige. So kombiniert sie Yoga mit Keramik-Workshops, Sound Healing oder eben mit Kakao-Ritualen und Breathwork: „Das Schönste für mich ist aber immer noch, meinen Arbeitsalltag frei und selbstbestimmt zu gestalten.“

Nischen finden

Die YogaUnion geht aktuell von 6.000 bis 7.000 Yogalehrer:innen in Österreich aus. Obfrau Astrid Wiesmayr sagt aber auch: „Viele, die anfangen, hören im ersten Jahr wieder auf, weil sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Der Markt ist übersättigt. Auf jede Yogalehrende, die mindestens sechs Jahre Erfahrung hat, kommen zwei bis drei neue.“ Dass es sich dennoch lohnt, seine Nische zu finden und darin Fuß zu fassen, weiß Florian Palzinsky: „Das Wichtigste ist, integer und authentisch zu sein. Ich muss leben, was ich weitergebe“, sagt der spirituelle Lehrer. Der heute 55-Jährige ist im Alter von 21 Jahren nach Asien ausgewandert. In Thailand und Sri Lanka lebte er zwölf Jahre als buddhistischer Mönch. „Ich wollte das Rätsel des Lebens lösen, mein Ziel war nichts weniger als die Erleuchtung“, erzählt Florian schmunzelnd, mit einem Hauch an gereifter Selbstironie. Als er mit Mitte 30 nach Österreich zurückkehrte, hatte er weder Ausbildung noch Studium: „Aber meine langjährige Yoga- und Meditationspraxis kam mir zugute. Ich wusste, wenn ich beides kombiniere, kann ich davon leben.“ Das tut Florian nun mit Erfolg seit mehr als 20 Jahren. Berufung bedeutet für ihn: „Was ich bin, in die Welt zu bringen.“

"Practice what you preach"

Eine Ansage, die man gerade in spirituellen Berufen oft hört. Leicht umzusetzen ist sie keineswegs. Genau deshalb ist die Selbsterfahrung eine so wichtige Komponente: „Es reicht nicht, eine 200-stündige Ausbildung zu absolvieren und ein Konzept kognitiv zu verstehen. Man muss leben, was man weitergeben möchte“, betont auch Andrea Bunzl. Sich authentisch zeigen, den Perfektionismus über Bord werfen – das schafft Vertrauen und Verbindung zur Community. Darin sieht auch Audrey Hämmerle ein wesentliches Kriterium für unternehmerisches Wachstum. Mit ihrer Erfahrung unterstützt sie mittlerweile auch andere Yogalehrer:innen auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit: „Die Nachfrage ist sehr groß, da immer mehr Menschen einen Ausgleich zum stressigen Alltag suchen. Vor allem der Retreat-Markt wächst stark.“

Wahrhaftigkeit und Integrität sind die eine Seite des Erfolgs, gutes Marketing ist die andere. Eine Entwicklung der „spirituellen Szene“, die Florian Palzinsky kritisch sieht: „Früher waren es ein paar wenige Exoten, die mit spiritueller Arbeit ihr Geld verdienten. Heute ist der Markt heiß umkämpft. Nicht immer sind die in dieser Branche Erfolgreichen aber die, die ihre Spiritualität auch leben und darin eine gewisse Reife verkörpern. Im spirituellen Gewand verkleidete Business-Leute, die sich clever präsentieren, scheffeln teilweise Millionen.“ Andere wiederum trauen sich kaum, für ihre Angebote Geld zu verlangen. Zu tief sitzt der Glaube, dass Spiritualität und Geld einander ausschließen, dass es unethisch sei, mit einem spirituellen Beruf auch gut zu verdienen. Eine Hürde, die vielen Selbstständigen im Weg steht.

Eine Frage der Ethik

Mönche, Nonnen und spirituelle Meister:innen stehen für Verzicht, für Lossagung von Konsum und Materialismus. Dieses Bild scheint in vielen Köpfen tief verankert zu sein. In Asien sei Florian mit der Bettelschale herumgelaufen, habe von dem gelebt, was die Leute ihm gaben. „Diese Erfahrungen haben mich geprägt. Nach zwölf Jahren habe ich es umso mehr genossen, finanziell und materiell unabhängig zu sein. Ich kann mir nun ein schönes Leben leisten“, so der Ex-Mönch. Beides solle Platz haben im Leben, das Spirituelle und das Weltliche.

Haben spirituell Arbeitende eine besondere Verantwortung gegenüber dem Gemeinwohl? „Auf jeden Fall!“, sagt Andrea Bunzl. Nimmt man diese Verantwortung wahr, könne viel Gutes entstehen. Florian Palzinsky etwa spendet einen Teil seiner Einnahmen: „Vielleicht kann ich auf diese Weise dazu beitragen, dass die Welt eine bessere wird. Wer Geldüberschuss hat, kann tatsächlich etwas im Außen verändern. Deshalb ist es so wichtig, dass es einem selbst – auch in finanzieller Hinsicht – gut geht.“ Nebenbei noch einen Beruf zu haben, der die Rechnungen bezahlt, ermöglicht vielen Selbstständigen einen entspannteren Zugang zu ihrer Berufung. Ob nun hauptberuflich oder nebenbei: „Es rechnet sich immer, seinem Herzen zu folgen“, ist Audrey Hämmerle überzeugt. Wenn man den Ruf spürt, darf man also mutig sein und dafür losgehen – trotz aller Höhen und Tiefen. Berufliche Verwirklichung lässt sich mit Geld allein ohnehin nicht aufwiegen.

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