
In Rishikesh scheint die Zeit stillzustehen. Man ist immer im Moment und konzentriert sich auf die wichtigen Dinge des Lebens: Yoga, Meditation, Dankbarkeit … auch im heute weltberühmten Beatles-Ashram.
©Heidrun HenkeMeine Reise nach Rishikesh führt mich zum Ursprung des Yogakults. Der Ort, an dem schon die Beatles meditierten, ist heute ein Magnet für Tourist:innen, aber auch Kraftplatz für Sinnsuchende. Ich lerne neue Asanas, lausche Mantras und esse Apfelstrudel. Text & Fotos: Heidrun Henke
Der Name Rishikesh klingt wie und „place to be“ der weltweiten Yogaszene. Als fortgeschrittene Yogini ist mir der Ort schon lange ein Begriff. Rishikesh ist nicht nur die pittoreske Stadt im Bundesstaat Uttarakhand, die sowohl an den Ausläufern des Himalayas als auch am Ganges liegt – mit ihr schwingt ein ganzes Lebensgefühl mit. Neben Yogapraktizierenden aus aller Welt werden Suchende, Klangreisende, Meditierende, Pilger:innen, Weltenbummler:innen, Beatles-Romantiker:innen und Naturliebhaber:innen magisch von dieser Stadt angezogen. Ein Mekka für alle, die nach einer spirituellen Erfahrung suchen – jenseits der Yogamatte.
Ankommen im Chaos
Die Realität in Indien ist dann doch anders – schriller, lebendiger, bunter und lauter, als man es sich vorstellt. Mit einem Kleintransporter fahren wir von Neu-Delhi rund fünf Stunden nach Rishikesh durch eine staubige Gegend. Je weiter wir nach Norden kommen, desto grüner und spannender wird die Landschaft. Ein Schild verkündet „Welcome to the Himalayas“. Zwar liegt Rishikesh nur an deren Ausläufern, doch es fühlt sich aufregend an, dem höchsten Gebirge der Welt so nahe zu sein. Das letzte Stück der Fahrt führt steil bergauf, über enge, kurvige Straßen. Kommt uns ein Wagen entgegen, wird es abenteuerlich. Der Geräuschpegel steigt: hupende Rikshas und Mopeds, begleitet vom stechenden Abgasgeruch. Am Straßenrand tummeln sich Menschenmassen und streunende Hunde. Garküchen verkaufen exotische Gerichte, TukTuks stauen sich mit Geländewagen und Fußgänger:innen um die Wette. Kabelgewirr spannt sich über die Häuser, auf denen Affen akrobatisch balancieren.


Die berühmte Lakshman Jhula: Die 140 Meter lange Hängebrücke für Fußgänger:innen ist das Wahrzeichen der Stadt und verbindet den Stadtteil Tapovan mit der Siedlung Lakshman Jhula.
© Heidrun HenkeIch bahne mir meinen Weg durch den Trubel, überquere die berühmte Hängebrücke Lakshman Jhula und lande auf der anderen Seite des Flusses, wo es noch ursprünglicher zugeht. Dort, wo überwiegend Locals leben und einige der berühmten Tempel liegen, finde ich mein kleines, unspektakuläres Hotel – mit Yogamatten auf der Dachterrasse und direkter Nähe zum berühmten Parmarth Niketan Ashram, wo ich in die spirituellen Rituale der Stadt eintauchen kann.
Morgengebete mit Gesängen, Feuerzeremonien, Yogaeinheiten und natürlich Ganga Aarti: Das Lichtritual findet jeden Tag bei Sonnenuntergang an den Ghats, den Steinstufen am Gangesufer, statt. Brennende Öllampen werden im Takt von Glocken und Gesängen durch die Luft geschwenkt, Räucherwerk steigt in die dunkle Nacht. Die Kraft des Ortes ist jetzt spürbar. Kinder bieten Kerzen in Blätterschiffchen an, die man in Dankbarkeit dem Ganges übergibt. Auch ich werde schwach und kaufe reichlich Opfergaben – Karma ist alles in Indien. Religiöse Rituale sind hier allgegenwärtig, sie strukturieren den Tag. Ein Kind malt mir ein Zeichen auf die Stirn – und ich fühle mich als Teil des Kollektivs.
Nachdem ich mich inzwischen sicherer durch die Gässchen bewege und mich hin und wieder auf einem Moped für ein paar Rupien mitnehmen lasse, dringe ich in neue Welten vor – in jene, in denen die Beatles schon vor über 50 Jahren nach Inspiration gesucht haben.


A place to love! Ob romantische Liebe, die Liebe zu sich, zum Universum, zu den indischen Gottheiten oder zu den Beatles und ihrer Musik – in Rishikesh findet jede:r seine Art von Liebe.
© Heidrun HenkeAuf den Spuren der Beatles
Wunderschön etwa ist der Beatles-Ashram, wie man die Kultstätte heute nennt, in der die Fab Four die Transzendentale Meditation (Anm. Mantra-Technik) beim Guru Maharishi erlernten. Rishikesh war damals kaum ein Begriff im Westen – bis das weltberühmte Quartett 1968 mit Blumenhemden und langen Haaren in den Ashram des Maharishi Mahesh Yogi einzog. Die Band suchte Stille – und fand sie in der Abgeschiedenheit des Dschungels, in Meditationshöhlen, bei vegetarischem Essen und langen Tagen ohne Zeitgefühl.
In dieser Phase entstanden über 40 Songs, viele davon fanden ihren Weg auf das legendäre Weiße Album. Heute ist der Ashram ein verwunschener Ort, den die Affen okkupiert haben. Zwischen Lianen, Blättergeflecht und verblassten Wandmalereien haben Street-Art-Künstler:innen Beatles-Zitate verewigt: „All you need is love!“ Ich stehe barfuß in einer staubigen Meditationshöhle und stelle mir vor, wie John Lennon hierim Lotussitz meditierte – und zu Songs inspiriert wurde, die später Musikgeschichte schrieben.


Blick vom Touristenviertel Tapovan auf die alte Stadt Rishikesh. Täglich suchen hier Yogaschüler:innen, Backpacker:innen und Abenteurer:innen nach der Essenz des Lebens.
© Heidrun HenkeSelbstfindung am Tapovan
Auf der anderen Flussseite zeigt sich Rishikesh westlicher mit einer skurrilen Mischung aus Spiritualität und Konsum. Erleuchtung wartet hier in Tapovan an jeder Ecke, und Transformationsfreudige können zwischen Teacher-Trainings, Breathwork-Sessions, Gongbädern, Ecstatic Dance, Tantrakursen oder Soundmeditation wählen. Manche Sinnsuchende sind geblieben, suchen noch immer – oder haben ein Café eröffnet.
Im „Secret Garden Café“ chillen Digital Nomads und Yoginis bei Apfelstrudel, veganem Karottenkuchen und Caffè Latte mit Hafermilch, während nebenan eine schwedische Bäckerei Zimtschnecken verkauft. So fremd Rishikesh mancherorts anmutet, hier fühlt man sich plötzlich wieder sehr europäisch. Dennoch: Die Sehnsucht nach Erlösung und Transformation bleibt spürbar.
Nicht nur die Seele, auch der Körper möchte geheilt werden, zum Beispiel mithilfe von Ayurveda, der jahrtausendealten indischen Heilkunst, die hier besonders gelebt und zelebriert wird. Zahlreiche Resorts bieten Panchakarma-Kuren (Anm. Reinigungskur), Ölbehandlungen und Massagen, oft als luxuriöse Hideaways in den Bergen. Auch ich lasse mich dorthin bringen und erfahre, wie tief Yoga, Meditation und Heilkunst in dieser Umgebung wirken. Dabei begegne ich Manager:innen mit Burnout, Singles auf der Suche nach einem Lebens plan, Naturliebhaber:innen. Sie alle verbindet ein Ziel: Körper und Geist in Einklang zu bringen.


Viele finden im Yoga eine stille Zuflucht vor der rastlosen, lärmenden Welt.
© Heidrun HenkeBaden im Heiligen Fluss
Der Ganges zeigt sich in Rishikesh in seiner reinsten Form: eiskalt, sauber, ungezähmt. Ein Bad gehört für viele Einheimische zum täglichen Ritual. Auch ich überwinde mich und steige ins kalte Wasser – es prickelt auf den Waden, durchströmt den Körper, erfrischt den Geist. In kleinen Plastikflaschen fülle ich mir etwas Gangeswasser ab, überzeugt, einen Schatz mit nach Hause zu nehmen.
Wer Action und Abenteuer sucht, stürzt sich beim Rafting in die Stromschnellen oder wandert durch üppige Wälder, vorbei an Wasserfällen, hinauf zu Aussichtspunkten und abgelegenen Tempeln inmitten unberührter Natur. Besonders eindrücklich ist der Sonnenaufgang am Shiva-Tempel Neelkanth Mahadev, hoch oben in den Bergen. Wer es früh genug schafft, den Wecker zu stellen, wird belohnt: mit den ersten Sonnenstrahlen, die die Gebirgszüge des Himalaya streifen. Neben mir haben sich viele Tourist:innen eingefunden, es ist trotzdem ein heiliger Moment. Wir verstummen, ergriffen von der Magie des Naturschauspiels. Ein neuer Tag bricht an, die Wärme der Sonne erhellt unsere Herzen, und der Kreislauf beginnt von Neuem.
Vielleicht ist es genau das, wonach alle in Rishikesh gesucht haben: die Rückkehr zum Einfachen, zum Wesentlichen. Wie heißt es so schön beim Yoga: „Mein göttliches Licht grüßt dein göttliches Licht. Namasté!“


Der Ved Niketan Dham Ashram gilt als einer der größten und ältesten der Stadt und liegt idyllisch am Ufer des heiligen Ganges.
© Heidrun HenkeAuf einen Blick: Rishikesh
ANREISE: Der nächste Flughafen ist in Dehradun (ca. 45 km), von dort geht es per Taxi oder Bus nach Rishikesh. Alternativ fährt man mit dem Zug bis Haridwar und steigt um. Ab Delhi dauert die Fahrt im Taxi oder Bus 4 bis 5 Stunden – günstig, aber lang.
BESTE REISEZEIT: Oktober bis März – dann ist es warm, aber nicht zu heiß. Im Sommer steigen die Temperaturen auf über 40 Grad. Von Juli bis August bringt die Monsunzeit heftigen Regen.
UNTERKUNFT: Je nach Budget: einfache Ashrams mit Tagesstruktur und Gemeinschaftsessen oder Boutique-Hotels mit Spa und Gangesblick. Viele Tourist:innen wohnen im moderneren Viertel Tapovan.
YOGA & AYURVEDA: Empfehlenswert sind Kurse im Sivananda Ashram, Yoga Niketan oder Parmarth Niketan. Für Ayurveda: „Ananda in the Himalayas“ (Luxus), „Veda5“ (Detox, Massagen, Ayurvedakost) oder „Arogyadham“ (mittleres Budget).
