
Es ist nur eine KI-Illusion: Wir werden in Zukunft nicht in Stormtrooper-Ausrüstung einen quietschbunten Alltag leben, aber der Ausblick in die nächsten Jahrzehnte wird spannend. Wie Trendforscher:innen die Arbeitswelt, Gesellschaft, Beziehungen, Gesundheit und Mobilität von morgen sehen.
Gesellschaft & Kommunikation
Digital only macht uns einsam – Zeit, wieder Face to Face miteinander in Kontakt zu treten.
"Wir leben in einer Zeit multipler Krisen, wodurch die Zukunft für viele so ungewiss ist wie nie zuvor", gibt Christiane Varga zu bedenken. "Es ist kaum mehr möglich, längerfristig zu planen, was verängstigt, aber auch zu Aggressionen führt." Die Zukunftsforscherin weiß: Das zeigt sich an etlichen Schnittstellen, allen voran in sozialen Medien. Die Plattformen sollen User:innen weltweit verbinden, führen jedoch zunehmend zur Vereinsamung – gerade bei jungen Menschen. "Hier gibt es viele gegenseitige Paradoxien." Essenziell sei, sich wieder mehr analog zu verbinden "und Sozialkompetenz zu üben", ist Varga überzeugt. "Wir müssen wieder lernen, mit Menschen zu reden, die ganz unterschiedliche Meinungen haben und nicht in unserer Bubble sind." Technologie könne dabei natürlich weiterhin unterstützen. Zum Beispiel mit Projekten wie Nachbarschafts-Communitys, die Bewohner:innen miteinander vernetzen. Auch generationenübergreifende Wohnformen werden häufiger. Digitale Trends wie KI-Avatare hält Varga hingegen für gefährlich, denn "da kann man ganz stark reinkippen". Viel wichtiger sei es, den Fokus zukünftig wieder auf uns zu richten und zu fragen: Was macht uns Menschen eigentlich aus?
Von Christiane Varga, die sich als Zukunftsforscherin und Soziologin unter anderem mit Themen rund um den gesellschaftlichen Wandel beschäftigt.
Beziehung, Liebe & Sex
Die künstliche Intelligenz ist in unserem Schlafzimmer gelandet, um zu bleiben.
"In Zukunft werden Beziehungen zwischen Menschen und Bots oder Robotern akzeptierter sein als heute. So wie es seit einigen Jahren normal ist, ein Sextoy im Nachttisch zu haben", meint Theresa Lachner. Einerseits werden KI-gesteuerte Toys noch mehr ins Liebesleben integriert werden können, und als Gegenbewegung dazu werden viele ihre sozialen Interaktionen wieder verstärkt ins Analoge verlagern, so die Expertin. Dazu passt, dass der Dating-App-Markt gerade massiv einbricht. Lachner glaubt, dass das private Umfeld und der eigene Freundeskreis wieder eine größere Rolle bei der Partner:innensuche spielen werden. Und: "Menschen werden sich zukünftig noch genauer überlegen, mit wem sie zusammenkommen möchten. Der Beziehungsstatus wird eher später als früher definiert werden, Situationships werden zunehmen." Aber auch die Nachfrage nach AI-Girlfriends wächst. Inzwischen gibt es etwa "Bespoke Porn on Demand" – User:innen suchen sich Lieblingsdarsteller:innen aus und chatten mit ihnen. Diese Technologien werden genauso wie Sexpuppen und Sexroboter immer realistischer. Nicole Siller erlebt in ihrer Praxis Menschen, die trotz Liebesbeziehung einen (erotischen) Austausch mit der freundlichen KI pflegen, die jederzeit verfügbar ist. Vor ein paar Monaten hat in Berlin etwa das weltweit erste KI-Bordell eröffnet. Dazu Siller: "Die KI-Sexpuppe macht genau das, was der Mensch will. Es gibt also eine klare Hierarchie, Körper werden verwendet. Ich frage mich, wie es dann im realen Leben überhaupt gelingen kann, ein prickelndes, wertschätzendes Miteinander zu kreieren." Allerdings gibt es auch positive Aspekte: Von der KI profitieren zum Beispiel alle jene, die sich im realen Leben schwertun, Sexualität mit jemandem zu erleben. Das bestätigt auch Lachner: "Für Menschen mit Sozialphobien, Traumata oder wenig Zeit kann KI eine Alternative sein."
Von Sexualberaterin, Trainerin und Podcasterin (theresalachner.de) Theresa Lachner und Nicole Siller, Sexualberaterin, Autorin, Podcasterin (lebendich.at).
Gesundheit
Um den Gender-Health-Gap zu schließen und Fehldiagnosen vorzubeugen, ist politisches Handeln gefragt.
"Noch immer landen Frauen mit Herzinfarkt zuerst beim Orthopäden, weil die Symptome nicht richtig erkannt werden", gibt Evelyn Holley-Spiess zu bedenken. "Es muss in Zukunft darum gehen, hier in allen Bereichen aufzuholen und die gleichen Voraussetzungen zu schaffen wie für Männer." Die Sozial- und Gesundheitsjournalistin hat für ihr Buch "Jetzt reden wir!" zahlreiche Akteurinnen aus dem Gesundheitswesen getroffen. Obwohl 80 Prozent der Beschäftigten weiblich sind, werden Frauen "als Patientinnen strukturell benachteiligt. Das reicht von der Forschung über den Daten-Gap, die Medikamentenentwicklung bis hin zur Diagnose." Nur: Wie können wir den Gender-Health-Gap schließen? "Es darf keine Gesundheitsreform mehr ohne einen Schwerpunkt Frauengesundheit geben. Die kommende Regierung hat die Chance, hier wichtige Rahmenbedingungen zu verankern und umzusetzen." Konkret heißt das: Frauen müssen – etwa bei der Entwicklung neuer Medikamente – in Studien einbezogen werden, "außerdem bräuchte es mehr Forschungsförderung im Bereich der Gender-Medizin. Ziel muss es sein, falsche oder zu spät gestellte Diagnosen bei Frauen zu bekämpfen", ist Holley-Spiess überzeugt. Auch ein wichtiger Ansatz: Initiativen wie kostenfreie Menstruationsprodukte. "Diese schaffen nicht nur mehr Bewusstsein, sondern tragen dazu bei, Tabus zu brechen sowie das körperliche und psychische Wohlbefinden von Betroffenen zu steigern."
Von Evelyn Holley-Spiess, Autorin von "Jetzt reden wir! Wie Frauen das Gesundheitssystem neu denken" (Ampuls Verlag, € 29,90).


"Sunbaked" von Slender O'Kenoshi/lumas.com
© Slender O'Kenoshi/lumas.comArbeit & Kapital
Man setzt auf Emotionale Intelligenz sowie auf High-Tech-Wissen.
"Die berufliche Zukunft wird ein Mix aus Remote, Hybrid und klassischen Büromodellen sein", sagt Trendscout Anne-Liese Prem und ergänzt: "In Zeiten der Unsicherheit ist Agilität am wichtigsten. Dementsprechend schaffen Betriebe flachere Hierarchien, entscheiden schneller und passen ihre Prozesse laufend an." Unternehmenskonzepte gehen weit über chice Workshops und oberflächliche Benefits hinaus. Und: "Teams werden je nach Projekt flexibel zusammengestellt, mit Menschen aus unterschiedlichen Fachbereichen, jeden Alters und aus allen Ländern." Dabei stehen Emotionale Intelligenz, Kommunikationsstärke und die Fähigkeit, Netzwerke zu knüpfen, hoch im Kurs: "Alles Stärken von uns Frauen. Die Zukunft wird ganz klar female." Außerdem beruhigt die Expertin: "Nur keine Angst vor einer KI-Übernahme. Das sind Werkzeuge, keine Ersatzlösungen für das, was uns Menschen ausmacht. Tech-Trends kommen und gehen: Nur jene, die wirklich einen Mehrwert bieten, bleiben bestehen." Und wie werden wir unser Geld in 50 Jahren anlegen? "Das wird sich stark verändern", ist Prem überzeugt: "Schon heute gibt es Robo-Advisors. Diese Systeme werden durch die KI weiter verfeinert und können nahezu in Echtzeit auf Marktveränderungen reagieren und Anleger:innen personalisierte, optimale Anlagestrategien anbieten. Das klassische Sparbuch wird nicht mehr existieren, aber digitale, innovative Lösungen könnten es auf neue Weise ersetzen."
Von Anne-Liese Prem, die ihren globalen Kund:innen bei der Entwicklung zukunftssicherer Strategien hilft.
Mobilität & Klima
Ozeane werden gedüngt, und das E-Auto wird zum persönlichen Assistenten – mit Stimmungsbarometer.
"Die Tendenz zu mehr Umweltbewusstsein wird mit der nächsten Generation noch stärker", ist Trendscout Anne-Liese Prem sicher: "Technologien könnten großflächig eingesetzt werden, um CO? aus der Atmosphäre zu entfernen und sicher zu speichern. Kernfusion, hoch entwickelte Solartechnologien und verbesserte Windkraft werden weltweit dominieren. Auch Sonnenlichtreflexion oder das Düngen der Ozeane könnten zur Stabilisierung des Klimas beitragen." Megastädte sind in der Vision der Expertin CO?-neutral, mit Solarstraßen und emissionsfreien Verkehrsmitteln. "Das Auto spielt neben Öffis und Fahrrädern nach wie vor eine Rolle. Statt es zu kaufen, werden wir es mieten", sagt Prem. Die Pkw der Zukunft sieht die Expertin nicht nur elektrisch, sondern auch vernetzt: "Sie werden unsere Routen optimieren, den Verkehr entlasten und sogar unser Wohlbefinden fördern." Ob es in 30 Jahren auch fliegende Autos geben wird? "Mal sehen", so Prem: "Es gibt bereits Prototypen und erste Tests mit Flugtaxis. Doch bis diese Idee Alltag wird, muss nicht nur die Technik, sondern auch die Infrastruktur, Regulierungen und Sicherheitsstandards massiv weiterentwickelt werden." Am Ende werde die Mobilität der Zukunft nachhaltig, effizient und maßgeschneidert auf unser Leben sein, mit viel Technologie inside.
Von Trend-Expertin Anne-Liese Prem, Head of Cultural Insights & Trends bei der Agentur LOOP (agentur-loop.com), die sich als Tech- und Zukunfts-Nerd beschreibt.
Über die Autor:innen

Nina Horcher
Nina schreibt für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.

Angelika Strobl
Angelika schreibt für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.

Andrea Wipplinger-Penz
Andrea schreibt für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.