
Die Karriere-Revolution: Wir wir in uns ruhen, Gelassenheit kultivieren – und trotzdem ehrgeizig bleiben.
Das Spannende ist, dass wir Erfolg im herkömmlichen Sinne immer nur auf Arbeit beziehen“, weiß Psychologin Eva Elisa Schneider, die sich im Rahmen ihrer Arbeit intensiv mit mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz beschäftigt hat, wie unsere Gesellschaft tickt. „Dabei gibt es so viele Erfolge, die wir tagtäglich verbuchen können: Morgens ohne Snooze-Button aufstehen, jemandem bei einer Reparatur helfen und es zusammen schaffen, eine gesunde Mahlzeit essen oder genug Wasser trinken – all diese Momente geben uns ein Gefühl von Zufriedenheit und beeinflussen das Leben positiv.“ Aber: Wir haben über die Zeit verlernt, achtsam für diese kleinen Schlüsselmomente zu sein – obwohl sie jeden Tag stattfinden. „Erfolg ist innere Zufriedenheit“, unterstreicht Autorin und Philosophin Veronika Fischer, die in ihrem neuen Buch „Female Working“ (Kremayr & Scheriau) der Frage nachgeht, wie unsere Arbeitskultur aussehen könnte, wenn wir uns nicht mehr an den männlichen Prinzipien des „Höher-Besser-Weiter“ messen. Ein Umdenken ist gefragt.


Veronika Fischer
© (c) MilenaErfolg neu denken
Wie können wir unser Leben nun auf der einen Seite entschleunigen, gleichzeitig aber den eigenen Drive behalten, ohne dass wir uns im ständigen Leistungsdruck verlieren? Für Expertin Schneider ist klar: „Der Leistungsdruck hat seine Wurzel meist in hohen Ansprüchen an sich selbst und kommt selten nur von außen.“ Ambitioniert zu sein, ist ein Ausdruck unseres Bedürfnisses, uns ständig weiterzuentwickeln und zu wachsen. Was hilft: „Das erst mal anzuerkennen. Doch persönliches Wachstum sollte nicht auf Kosten der Psyche gehen, sondern sich positiv anfühlen. Man kann sich also fragen: Wie kann ich meine Ziele verfolgen UND mich dabei gut fühlen? Wenn wir ununterbrochen leisten, ohne dass wir uns dabei gut fühlen, wofür machen wir das Ganze dann eigentlich?“
Lohnend kann hier ein Blick auf andere Kulturen sein. Das japanische Konzept des Ikigai etwa, so betont Schneider, lehre uns, „etwas zu tun, das uns von innen heraus Freude und Sinn schenkt – bei einer gleichzeitig hohen Arbeitsmoral. In buddhistischen Kulturen wird erreichten Zielen, Status und Besitz keine Relevanz beigemessen, vielmehr wird Erfolg als innere Zufriedenheit, Balance und eine durchwegs achtsame, spirituelle Haltung definiert. In stark kollektivistischen Kulturen steht die Gemeinschaft im Zentrum des Lebens. Dort geht es um Zugehörigkeit und die Weiterentwicklung der Community. So wird auch Erfolg dort als erfüllender wahrgenommen, wenn er nicht nur einer einzelnen Person, sondern vielen Menschen zugutekommt.“
Karriere reloaded
Wie nun können wir echte Erfüllung im Beruf finden? Dafür gibt es ein paar Schlüsselkriterien. An erster Stelle steht unser Mindset. Dazu Fischer: „Das Bild der Karriereleiter impliziert schon ein krasses Konkurrenzverhalten und hat wenig mit Solidarität und Verbindung zu tun. Es bedeutet, dass man sich keine Fehler erlauben darf, weil man dann abstürzt.“ Sie regt dazu an, sich „Karriere“ wie eine „Achterbahnfahrt“ vorzustellen. „Sie kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen und wilde Kurven machen. Wer ein Leben führt, das erfüllend ist, Spaß macht und inspiriert, ist im Flow.“ Die Expertin betont: „Wenn wir Karriere neu denken, geht es nicht mehr darum, möglichst weit nach oben zu kommen. Andere Werte werden relevant.“ Die Benefits liegen auf der Hand: „Wir schaffen es dann eher, wir selbst zu sein, und haben mehr Zeit und Muße, um uns anderen Dingen zu widmen – wie Freund:innen, Kindern, Hobbys. Oder wir genießen es, mehr Zeit für uns selbst zu haben.“ Wichtig: Wenn ich Pausen nur mache, um danach produktiver zu sein, kann das auf Dauer ebenfalls erschöpfen. Das weiß Fischer aus eigener Erfahrung und rät, aus dem ständigen Leistungsdenken auszusteigen. Etwa, indem man Momente genießt, die keinen produktiven Gedanken verfolgen: „Kreative Tätigkeiten sind ein wunderbares Tool. Man findet darin ganz viel über sich selbst und eine gute Art zu leben heraus.“
Wir alle kennen das Gefühl, dass wir immer über uns hinauswachsen sollen – beruflich und privat. Nur: Wenn wir versuchen, die beste Version von uns selbst zu sein, wie es ja oft gepredigt wird, kann das auch zu einer enormen Selbstausbeutung und Kraftlosigkeit führen. Das betrifft vor allem Frauen. Berufstätige Mütter haben so viele Aufgaben im Alltag zu stemmen, dass sie grundsätzlich nie damit fertig Hier lohnt es sich, gerade auf die kleinen Dinge stolz zu sein, so Fischer, die selbst dreifache Mutter ist: „Für mich ist es ein erfolgreicher Morgen, wenn alle Kids mit gefüllten Jausenboxen aus dem Haus gehen.“ Wir sollten darüber nachdenken, dass es bei der sogenannten besten Version von uns auch darum geht, mental und physisch gesund zu sein. Und vor allem auch zu bleiben!


Elisa Schneider
© PrivatGrenzen definieren
Ein weiterer wichtiger Schritt zu einer bewussteren und erfüllteren Arbeitsweise, losgelöst vom Druck des „Schneller-Höher-Weiter“, liegt darin, die eigenen Grenzen klar abzustecken. Und sich zu trauen, diese klar zu kommunizieren. „Oft ist die Angst, dass ein Nein dem Gegenüber negativ aufstoßen könnte, größer, als es in der Realität wirklich ist“, weiß Schneider. „Ich empfehle, Erwartungen klar zu definieren, sodass beide Seiten wissen, was verlangt wird und wann eine zusätzliche Leistung optional ist. Außerdem kann man noch mal reflektieren, was einem eine Grenze in Form eines Nein an anderer Stelle zurückgibt. Wenn ich etwa die Zusatzaufgabe im Job nicht annehme, habe ich dafür mehr Zeit für meine Familie.“ Eine häufige Fehlannahme über Grenzen wäre, erklärt die Psychologin, dass wir damit unsere Mitmenschen verprellen oder verletzen – tatsächlich tragen diese kommunizierten Grenzen aber dazu bei, dass Vertrauen gestiftet wird. Das Gegenüber weiß dadurch viel klarer, was innerhalb und was außerhalb des Möglichkeitsraums liegt. „Es verleiht uns Kontur, sodass die anderen sich besser auf uns einstellen können – wer immer nur Ja und Amen sagt, wirkt hingegen wie ein Fähnchen im Wind und ist für andere schwer greifbar. Menschen mögen es, wenn sie andere gut einschätzen können. Indem wir Grenzen aufzeigen, machen wir es unserem Umfeld also leichter, uns und unsere Bedürfnisse zu vermitteln. Diese Klarheit kann eine Beziehung wunderbar festigen.“
Der Entspannungstipp von Schneider ist nicht neu, aber immer noch sehr wirksam. Sie plädiert für durchdachtes Zeitmanagement: „Die meisten schaffen es leider nicht, dafür zu sorgen, dass Stress gar nicht erst aufkommt. Das wäre aber der Schlüssel. Denn für Entspannung sorgen muss ich ja erst, wenn ich angespannt bin, wenn der Stress bereits da ist. Deshalb ist effektive Zeitplanung so wichtig.“ Und das heißt im Klartext, klare Prioritäten zu setzen und sich nicht davor zu scheuen, Aufgaben gezielt zu delegieren.
Über die Autor:innen

Melanie Zingl
Melanie ist seit 2007 bei der Verlagsgruppe News (VGN) tätig. 2016 wurde sie Leitende Redakteurin und 2018 Stellvertretende Chefredakteurin. Seit 2024 ist Melanie Chefredakteurin bei WOMAN. Ihr erklärtes Ziel: "Make the World more WOMAN. Weil wir davon überzeugt sind, dass eine gleichberechtigte Welt eine bessere ist."

Angelika Strobl
Angelika schreibt für WOMAN für das Ressort Porträts & Reportagen.