Sie gilt als eine der wichtigsten Meinungsmacher:innen Deutschlands: Warum Empowerment für Tijen Onaran, 39, bedeutet, selbst sein größter Fan zu sein – und wie man den Mut dazu findet. Die Unternehmerin und Investorin im Interview.
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Tijen Onaran kommt gerade von einer Keynote, als wir sie in der WOMAN-Redaktion in Wien empfangen. "Derzeit ist Schlaf purer Luxus", scherzt sie – und dürfte es doch ein bisschen ernst meinen. Der Terminkalender der 39-jährigen Unternehmerin ist prall gefüllt: Mit ihren Beratungsfirmen Global Digital Women und ACI Consulting setzt sich Onaran für die Sichtbarkeit von Frauen in der Start-up- und IT-Branche ein. Als "Die Höhle der Löwen"-Jurorin bewertet sie vor der Kamera Geschäftsideen anderer. Insights aus persönlichen Erfahrungen teilt sie zudem auf Social Media und in ihren Büchern.
In "Be Your Own Fucking Hero" will Onaran Leser:innen in ihrer typisch nahbaren Art dazu ermutigen, sich selbst mehr zuzutrauen. "Ciao Angepasstheit, hallo Selbstbestimmung!", steht auf dem Bucheinband. Ein Mindset, das für Leader:innen unerlässlich ist, ist sie überzeugt. Im Winter geht Onaran deshalb auf große Mut-Live-Tour (am 12.12. in der Simm City in Wien). Wann die Unternehmerin selbst noch ihre Komfortzone verlassen muss und wie sie ihre innere Kritikerin zum Schweigen bringt – das Gespräch.
Sie stehen regelmäßig auf Bühnen, vor der Kamera und verhandeln mit Unternehmer:innen. Was hat Sie zuletzt Überwindung gekostet?
Im Mai war ich auf einem Panel in Berlin, zu dem auch der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier eingeladen war. Während ich in den letzten Jahren viel in meinen Themen – also Sichtbarkeit, Netzwerken und Empowerment – unterwegs war, äußere ich mich nun zunehmend politischer. Das hat mich in so einem Rahmen schon Überwindung gekostet. Denn dadurch erreicht man zwar mehr Menschen, man wird aber auch angreifbarer.
Um welche Aussagen ging es dabei?
Zum Beispiel, dass ich die 35-Stunden-Woche nicht gut finde und der Meinung bin, dass wir nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen. Das sind keine populären Ansichten. Dahingehend mein Themenfeld zu transformieren, ist selbst für jemanden wie mich eine Herausforderung, obwohl ich es jahrelang gewohnt war, dass nicht alle applaudieren, wenn ich mich für eine Frauenquote ausspreche oder sozialen Aufstieg thematisiere.
Inwiefern muss man sich von der Meinung anderer lösen, um eine Leadership-Position ausüben zu können?
Wer eine Führungsposition anstrebt, muss sich zuerst frei davon machen, von allen gemocht zu werden. Denn du triffst auch unbeliebte Entscheidungen und musst dich von Menschen trennen. Am Ende bist du die Person, die eine Linie vorgibt. Eine Führungsrolle ist daher auch immer jene einer Visionärin, dazu braucht es eine klare Haltung. Ich hatte früher Chefs, die das nicht konnten, und diese Unklarheit bringt total viel Unsicherheit mit.
Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt: "Everybody's Darling, everybody's Depp". Ist das eine Erfahrung, die Sie gemacht haben?
Es war eigentlich immer schon so, dass Leute eine Meinung zu mir hatten. Das wiederum liegt auch daran, dass ich selbst öffentlich eine Meinung vertrete. Ich sage immer: Wenn du dich nicht positionierst, tun es andere. Menschen werden dich in Schubladen stecken. Im besten Fall ist es eine positive. Aber man kann eben nicht jedem gefallen, und das muss man auch nicht. Das Wichtigste ist, sich selbst zu mögen. Denn je abhängiger du dich von Applaus machst, desto schwieriger wird es, wenn er nicht mehr da ist.
Frauen wird oft gesagt, wie sie zu sein haben. Mutig oder laut zählt meistens nicht dazu. Wie erschafft man für sich selbst neue Realitäten?
Es passiert jeder Frau: Entweder du bist zu viel oder zu wenig, zu laut oder zu leise – wie du es machst, machst du es gefühlt falsch. Wenn du das einmal erkannt hast, kannst du dich auch leichter davon lösen. Das Wichtigste ist, zu sich selbst zu stehen und zu sagen: Hey, ich mache hier einen guten Job und gebe mein Bestes. Trotz erschwerter Rahmenbedingungen, die so viele Frauen betreffen. Wichtig ist, jeden Tag mit diesem Bewusstsein aufzustehen und zu wissen: Es geht nicht darum, dass ich perfekt bin, sondern dass ich so, wie ich bin, gut bin. Denn die größte Kritikerin ist man sich meistens selbst.
Sie gelten als eine der wichtigsten Meinungsmacher:innen Deutschlands. Kennen Sie Selbstzweifel?
Ja, sie sind immer irgendwie da. Es wäre auch schlimm, wenn nicht. Eine Grundreflexion gehört dazu. Nur dürfen sie dich nicht hemmen oder dazu führen, dass du nicht sichtbar wirst. Deshalb fängt Empowerment für mich bei Self-Empowerment an: Ich muss mich selbst bestärken, dazu gehört auch Mut. Es können noch so viele Leute sagen, dass ich einen super Job mache – wenn man das selbst nicht fühlt, bringt es einem nichts.
Warum kostet es uns Überwindung, uns selbst zu feiern?
Wir leben in einer Welt, die nach Perfektion strebt. Auf Social Media zeigen wir immer nur einen Ausschnitt. Veranstaltungen, Erfolge, Preise, die wir entgegennehmen. Das ist nicht das echte Leben, aber es wirkt sich auf unsere Wahrnehmung aus. Leute sehen das und denken sich: Mensch, bei der läuft es einfach. Was sie nicht mitbekommen, ist, welche Abstriche man machen muss. Ich glaube, es würde helfen, uns bewusst zu machen, dass Perfektion nicht das Erstrebenswerte ist, sondern Authentizität und Glaubwürdigkeit. Dazu zählt, über Misserfolge zu sprechen. Das ist nicht einfach, aber meine Erfahrung ist, dass man dann sehr viel Zuspruch erhält.
Wie lassen Sie Ihre innere Kritikerin verstummen?
Das ist sehr tagesformabhängig, aber was mir hilft, sind meine Rituale. Ich speichere mir positive Nachrichten ab, die ich erhalte, und sammle sie in einem Ordner. Und einmal in der Woche schreibe ich mir auf, was mir gut gelungen ist. Ich führe eine Art Erfolgstagebuch.
Was würden Sie diese Woche schreiben?
Wenn so viel los ist wie jetzt, würde ich sagen, dass ich diese Woche überhaupt überstanden habe. Manchmal sind es kleine Dinge, wie dass ich es zum Joggen geschafft habe. Und dann wieder große Erfolge, zum Beispiel, dass ich einen neuen Kunden für unsere Diversity-Beratung gewonnen habe. Wichtig ist, alles zu notieren. Wenn ich merke, dass die innere Kritikerin in mir lauter wird, lese ich mir durch, was ich geschafft habe, und werde mir dessen wieder bewusst. Oft nehmen wir das alles ja als selbstverständlich wahr.
Sie sind Investorin und Mehrfachunternehmerin. Damit geht eine gewisse Macht einher. Was hätten Sie gerne früher über Aufstieg gewusst?
Dass Macht total viel Spaß machen kann. Und dass man, sobald man in der Position ist, selbst bestimmen kann, wie diese aussieht. Du kannst deine eigenen Spielregeln erfinden und deinen Einfluss positiv nutzen, um andere sichtbar zu machen.
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