Logo

Barbi Marković: "Ehrlichkeit ist ein Problem, das mich verfolgt"

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
6 min
Barbi

©Apollonia Theresa Bitzan
  1. home
  2. Culture
  3. Kultur

Ihr Erfolg beruht auf einem Missverständnis, sagt Autorin Barbi Marković. In ihrem neuen Werk geht sie offen mit ihren Selbstzweifeln um – und wirft die Frage auf: Wie gut ist gut genug?

Sagen wir so: Die Gefahr, ich könnte eingebildet werden, ist nicht sehr groß“, beschwichtigt Barbi Marković, als wir uns Ende April in einem Wiener Kaffeehaus treffen. Dabei hätte die 45-jährige Autorin allen Grund dazu, ihre Erfolge ausschweifend zu feiern: 2024 wurde Marković für ihren Erzählband „Minihorror“ mit dem Leipziger Buchpreis ausgezeichnet. Noch im selben Jahr erhielt sie außerdem den Carl-AmeryLiteraturpreis. Seitdem hat sie zwei weitere Werke fertiggestellt: Im „PiksiBuch“, das Ende 2024 erschienen ist, entzaubert Marković den Fußballkult und hinterfragt neben giftigem Patriotismus auch die Beziehung zu ihrem Vater. Mit „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ legte die gebürtige Serbin, die seit 2005 in Österreich lebt, am 13. Mai gleich wieder nach: Eigentlich als Poetikvorlesung konzipiert (und an der Uni Salzburg vorgetragen), gewährt Marković in ihrem Essay tiefe Einblicke in ihren Schaffensprozess, der – trotz zahlreicher Auszeichnungen und positiver Kritiken – von Selbstzweifeln durchzogen ist. Wie kommt’s?

Selbstzweifel

„Ich fürchte, das ist tief in meiner Persönlichkeit verankert“, meint Marković und überlegt kurz. „Für eine Person mit so wenig Selbstbewusstsein bin ich dann doch recht mutig. Ich mache alles trotzdem, aber im Prozess sterbe ich.“ Ihr Ego bleibt von den ganzen Auszeichnungen zwar unberührt, für Markovićs Sicherheitsgefühl ist die Aufmerksamkeit dennoch zuträglich: „Die Preise machen es wahrscheinlicher für mich, dass ich den Job weiter verfolgen kann“, erklärt die Autorin nüchtern. Ein bisschen freut sie sich dann doch: „Es ist schon nett, dass ich jetzt einfach blind respektiert werde von Leuten, die ich gar nicht kenne.“ Zum Teil sei das aber auch einfach ein Missverständnis, „weil es nur ein Bruchteil von dem ist, was ich bin und kann.“ Als erfolgreiche Autorin, die nicht in ihrer Muttersprache schreibt, sei sie von Kolleg:innen oft gefragt worden, ob das Schreiben in einer Zweitsprache denn überhaupt möglich ist, erinnert sich Marković in ihrem jüngsten Buch. Hat sich das inzwischen gelegt? „Es ist noch immer eine beliebte Frage und eine Form von Bewunderung, aber gleichzeitig auch ein Aufruf zur erneuten Legitimierung meinerseits.“

Blurred image background
Barbi Markovic

Als erfolgreiche Autorin, die nicht in ihrer Muttersprache schreibt, sei sie von Kolleg:innen oft gefragt worden, ob das Schreiben in einer Zweitsprache denn überhaupt möglich ist, erinnert sich Marković in ihrem jüngsten Buch.

 © Apollonia Theresa Bitzan

Kritische Reflexion

Dass sie Letzteres nicht nötig hat, beweist die Autorin in gewohntem Stil: Auch „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ mangelt es nicht an Humor, stilistischen Experimenten (es gibt Prüfungsfragen!) und der kritischen Reflexion ihrer Kindheit im Serbien der 90er-Jahre, das vom Jugoslawienkrieg geprägt war. Trotz ihrer Originalität gibt Marković offen zu, sich von anderen Werken mehr als nur inspirieren zu lassen: „Zu stehlen und gleichzeitig authentisch zu bleiben, ist die Entdeckung meines Lebens“, sagt sie. Schließlich gehe es in der Kunst auch darum, sich anzuschauen, was andere machen. „Gleichzeitig gibt es diesen Geniekult, wo alle so tun, als wären sie die Ersten und Einzigen mit einer Idee“, kritisiert die 45-Jährige und ordnet ein: „Irgendwo dazwischen spielt sich das ab, was ich mache.“ Für sie gehe es in der Literatur im Großen und Ganzen darum, Grenzen auszuloten und „sich immer am Rande eines kleinen Verbots zu bewegen“. Nur: Wo zieht sie die Trennlinie zwischen Inspiration und Plagiat? „Die Hauptaussage und die Grundanliegen müssen schon meine eigenen sein“, versichert Marković. „Ist das gegeben, bin ich bereit, von jedem alles zu stehlen.“ Ihr prominentester Literaturdiebstahl betraf übrigens niemand Geringeren als Thomas Bernhard: Für ihr erstes Buch, „Ausgehen“, hat Marković von der ersten bis zur letzten Seite vom bedeutenden Autor geklaut, „aber die Inhalte, die kleinen Variablen, so geändert, dass es meine Geschichte erzählt“. Während Bernhard durch Wien spazierte, begab sich Marković etwa ins Belgrader Nachtleben.

Realitätsnah

Auch wenn man die Autorin in „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ hautnah am Schreibtisch beobachten kann – ihr persönlichstes Werk ist es nicht. „Ich finde alle meine Bücher wahnsinnig ehrlich. Fast übertrieben“, resümiert Marković. „Obwohl es die Fiktion und Logik eines Textes manchmal verlangt, eine wahre Geschichte zurechtzuschneiden, ist Ehrlichkeit ein Problem, das mich verfolgt.“ Anekdoten aus ihrer Familie verflicht sie in ihren Büchern ebenso gerne wie Erlebnisse mit Freund:innen. „Manchmal denke ich mir danach: Oje, jetzt habe ich wieder nicht nur mich, sondern auch Leute um mich herum verkauft.“ Bislang konnten die Protagonist:innen damit ganz gut leben: „Nur einmal musste ich einen Namen ändern.“ Wie viel ist erfunden, was ist wirklich passiert? Bei Barbi Marković weiß man das nie so genau. „Ich schrecke nicht vor Fiktion zurück, aber noch mutiger bin ich, wenn es darum geht, aus dem Leben zu erzählen.“

Buchtipp: In „Stehlen, Schimpfen, Spielen“ präsentiert Barbi Marković ihr literarisches Diebesgut – und auch eigene Ideen. (Rowohlt, € 20,–)

Über die Autor:innen

-20% auf das WOMAN Abo