
Zuflucht aufs Land: In seinem sechsten Roman erzählt der Schauspieler und Bestsellerautor Joachim Meyerhoff, wie ihm seine 86-jährige Mutter dabei geholfen hat, eine Lebenskrise zu überwinden. Im Interview spricht er über die gemeinsame Zeit mit ihr und seine Rückkehr ans Burgtheater.
"Das Schreiben", sagt Joachim Meyerhoff, als wir ihn im November in einem Hotel im 8. Wiener Bezirk treffen, ist "ein irreversibler Bestandteil meines Lebens geworden." 2011 veröffentlichte der deutsche Theaterschauspieler mit seinem Debüt "Amerika" (Kiepenheuer & Witsch, € 14,–) das erste Buch seiner autobiografisch angelegten Romanreihe "Alle Toten fliegen hoch". Darin erzählt er von seinem Schüleraustausch in den USA und dem Unfalltod seines mittleren Bruders. Mittlerweile hat Meyerhoff, dreimal als "Schauspieler des Jahres" ausgezeichnet, über 2,8 Millionen Bücher verkauft. Im November 2024 erschien mit "Man kann auch in die Höhe fallen" der sechste Teil seines Projekts. Darin skizziert er die Zeit nach seinem Schlaganfall und dem Umzug von Wien nach Berlin, wo er hofft, durch einen Neuanfang wieder Fuß zu fassen. Doch ihm will sowohl das Schreiben als auch das Schauspielen nicht mehr so recht gelingen. Eine Lebenskrise bahnt sich an – und gipfelt in einem Eklat auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes. Der Ich-Erzähler beschließt, zu seiner 86-jährigen Mutter aufs Land nach Schleswig-Holstein zu fahren. Eine außergewöhnliche Frau, die allein auf einem Grundstück unweit vom Meer ein selbstbestimmtes Leben führt. Während er unter dem Vorwand aufbricht, ihr mit Haus und Garten helfen zu wollen, ist am Ende sie diejenige, die ihn auffängt.
Was er von ihr über das Älterwerden gelernt hat und wie sich seine neu gewonnene Freiheit außerhalb eines Theaterensembles anfühlt, erzählt er im Interview.
Wie geht es Ihrer Mutter?
Es geht ihr wirklich ausgezeichnet. Sie war gerade in Ägypten und hat mir tolle Nachrichten geschrieben: "Melde mich später. Bin in der Wüste." Anfangs war ich skeptisch – eine Nilfahrt bei 38 Grad, mit fast 87 Jahren? Aber sie war entschlossen, die Pyramiden zu sehen und die Museen zu besuchen. Ich habe mir gedacht: Es geht nicht, dass ich ihr sage, sie soll das nicht machen. Sie muss das tun und es selbst rausfinden. Zum Teil war es auch ein bisschen anstrengend für sie. Sie ist dann im Schatten gesessen oder im Bus geblieben. Jetzt hat sie von sich aus gesagt: " Also so eine Reise mache ich nicht mehr." Insofern habe ich begriffen, dass das gut war.
Am Ende des Buches stellt sie fest, dass sie darin lieber doch nicht vorkommen möchte. Wie haben Sie ihre Meinung geändert?
Das ist tatsächlich eine Erfindung von mir, weil ich es so schön fand, ein Buch damit zu beenden, dass die Protagonistin sagt, sie möchte mit der ganzen Sache nichts zu tun haben. Ein Rückwärtssalto mit Pointe. Der aufregendste Moment dieses Romanunterfangens war sicher, meine Mutter das Manuskript lesen zu lassen. Hätte sie gesagt, dass sie nicht die Hauptfigur sein will, wäre das Buch in die Schublade gewandert.
Ihre Mutter wirkt in Ihrer Erzählung unerschütterlicher als Sie. Was haben Sie von ihr über das Älterwerden gelernt?
Es gibt im Buch diese Stelle, wo ich sage: Wenn meine Mutter geht, sieht man, dass sie irgendwohin will. Bei mir dagegen sieht man immer, dass ich von irgendwoher komme. Ich habe von ihr gelernt, dass Arbeiten ein Prozess ist, der immer weitergeht. Sie hat einen starken Wesenskern und gerät nicht unbedingt in unterschiedliche Rollen. Beim Rasenmähen ist sie nicht anders, wie wenn sie mit Freundinnen bei Kaffee und Kuchen sitzt. Jetzt, da ich gerade viel mit diesem Roman zu tun habe, versuche ich, von dieser Haltung etwas mitzunehmen. Zum Beispiel, indem ich Lesungen oder Interviews nicht als etwas sehe, das ich präsentieren beziehungsweise absolvieren muss, sondern als Teil des Verstehens. Die Texte klingen neu, entwickeln sich weiter – das Schreiben endet nicht mit dem Buch.
Ihre Mutter sagt: "Ich mache, was ich will, und je älter ich werde, desto glücklicher werde ich." Für das Patriarchat soll es ja nichts Bedrohlicheres geben …
Auch das ist an meiner Mutter erstaunlich. Sie würde keine feministischen Positionen für sich formulieren oder sich selbst als überzeugte Feministin bezeichnen. Aber sie ist es durch und durch.
Verluste sind im Moment des Eintreffens zerstörerisch. Das Schreiben hilft, die Autonomie darüber zurückzugewinnen.
Sie sind Vater von drei Kindern. Wurde Ihnen während des Aufenthalts bei Ihrer Mutter die Dualität, Vater und Sohn zu sein, bewusster?
Ganz stark. Zu merken, dass man Vater ist, heißt auch, dass man spürt, dass man diese Rolle für seine Kinder hat. Gleichzeitig bleibt man vieles anderes. Diese Erkenntnis hat mir geholfen, zu verstehen, dass das bei den eigenen Eltern genauso ist. Meine Mutter hat ja nicht auf mich gewartet dort auf dem Land. Sie ist eine autonome Person und war dann auch wieder froh, als ich gefahren bin. Trotzdem war sie mir in dieser Zeit sehr nah.
In Ihren Büchern liegt im Tragischen oft das Komische. Gibt es Situationen, in denen Sie das Komische nicht entdecken können?
Das Komische ist immer eine Form der Distanz, und die hat man erst, wenn bestimmte Erlebnisse ein Stück weit ihren Schrecken eingebüßt haben. Unmittelbar in der Situation selbst, beispielsweise bei meinem Schlaganfall, ist nichts komisch. Hätte ich bleibende Schäden davongetragen, weiß ich nicht, ob ich dem jemals etwas Komisches hätte abgewinnen können. Das gilt auch für Verluste: Im Moment ihres Eintreffens sind sie zerstörerisch. Doch das Schreiben hilft, die Autonomie darüber zurückzugewinnen.
Sie haben Ihr fixes Engagement an der Schaubühne gekündigt und arbeiten das erste Mal als freier Schauspieler. Genießen Sie diese Freiheit oder macht Sie das nervös?
Ich war über 30 Jahre im Ensemble und bin, was man ein Theatertier nennt. Der Rhythmus des Jahres richtet sich bei mir nicht nach Jahres-, sondern Spielzeiten. Jetzt, wo ich frei arbeite, habe ich ein bisschen überreagiert und Projekte in Hamburg, Wien, München und Berlin angenommen, dazu kam das Buch. Ich brauche jetzt einmal den Schock der Freiheit, nächstes Jahr muss ich aber schnallen, nur noch eine Sache zu machen. Das ist das Hauptthema für mich, die Reduktion.
Sie waren von 2005 bis 2019 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters. Im März spielen Sie dort für zwei Monate "Der Fall McNeal". Wie fühlt sich diese Rückkehr an?
Das weiß ich noch nicht, sie steht ja noch bevor. Ich bin noch nie an einen Ort zurückgegangen, wo ich gespielt habe. Aber ich bin in großer Vorfreude darauf, an der Burg etwas zu machen. Ich hatte dort gestern eine Lesung, in diesem fantastischen festlichen Raum, mit diesen vielen Menschen, die sich daran freuen. Das hat mich schon sehr bewegt. Man kann aber nicht wieder anknüpfen, sondern muss etwas völlig Neues finden. Nichts wäre schlimmer, als in irgendeine seltsame Nostalgie zu verfallen.


Joachim Meyerhoff schreibt über einen Langzeitbesuch bei seiner Mutter am Land. "Man kann auch in die Höhe fallen", Kiepenheuer & Witsch, € 27,50.
© Kiepenheuer & Witsch