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Warum trauen wir uns der Friseurin nicht zu sagen, dass uns die Frisur nicht gefällt?

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Warum trauen wir uns der Friseurin nicht zu sagen, dass uns die Frisur nicht gefällt?

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Du stellst noch *beim* Friseur fest, dass du unzufrieden bist, traust dich aber nicht, Kritik zu äußern? Wir haben eine Psychotherapeutin gefragt, warum das so ist.

Die Haare sind geschnitten, geföhnt, gelockt und obwohl dich deine Friseurin oder dein Friseur gefühlt 100 Mal fragt, ob du eh zufrieden bist, nickst du freundlich mit dem Kopf, obwohl du eigentlich nur noch eines willst: nach Hause, die Haare selbst waschen und schauen, ob sie tatsächlich so verschnitten sind, wie du vermutest. Warum sagen wir nix gegen Locken, obwohl wir eigentlich Beach Waves wollten? Warum können wir nicht einfach äußern, dass der Schnitt so gar nicht zu uns passt, wenn wir schon beim ersten Blick sehen, dass wir den Laden unglücklich verlassen werden? "Mhm, jap, gefällt mir!" – eine Lüge, die viele denjenigen ins Gesicht sagen, die auf ehrliches Feedback hofft (und darauf angewiesen ist) – den FriseurInnen.
Wir haben Katrin Wippersberg, Psychoanalytikerin von der Wiener Couch (wienercouch.at), gefragt, warum sich viele davor scheuen, ihren Unmut zu äußern:

Warum trauen wir uns nicht, der Friseurin/dem Friseur zu sagen, dass wir mit dem Ergebnis unzufrieden sind?

Wippersberg: Ich würde das nicht verallgemeinern. Ob wir uns etwas zu sagen trauen oder nicht, ist doch sehr individuell. Wir alle sind zum Großteil geprägt davon, wie wir von unseren Bezugspersonen - also zumeist Mutter und Vater - gelernt haben, Grenzen zu setzen. Sprich: Wie und ob wir negative Gefühle (dazu gehört Ärger, Frustration etc.) äußern dürfen. Wenn wir gelernt haben, wie und dass wir diese adäquat äußern dürfen, wenn uns etwas missfällt, ohne dafür beschämt oder bestraft zu werden, dann können wir uns auch in solchen Situationen behaupten. Ganz allgemein hat diese Thematik mit der Fähigkeit zu tun, einen gesunden Zugang zur eigenen Wut oder Frustration zu haben – zuzulassen und nicht immer alles runterzuschlucken. In vielen Familien bekommen Kinder das Gefühl, sich nicht äußern zu dürfen – Konflikte dürfen nicht stattfinden, negative Gefühle sind unerwünscht usw.. Wenn wir diese Dinge vom Elternhaus im Laufe unserer kindlichen Entwicklung mit auf den Weg bekommen und verinnerlicht haben, kann es sein, dass wir uns später nicht trauen, uns auf die Beine zu stellen.

Auch Gegenteiliges kann der Fall sein: Wenn man als Kind gar nicht gelernt hat, seine negativen Emotionen zu regulieren oder unter Kontrolle zu halten, gehört man wahrscheinlich zu den FriseurbesucherInnen, die dann alles als Angriff oder böse Absicht werten oder sogar laut werden. Es geht schlussendlich immer um das gesunde Maß.

Wenn man sich trotz einem Dienstleistungsverhältnis davor scheut, etwas zu sagen, liegt die Ursache nicht zwischen FriseurIn und KundIn, sondern bei einem selbst, weil man wahrscheinlich nie gelernt hat, angstfrei Kritik zu äußern.

Ist dieses Verhalten auch gesellschaftlich verankert?

Wippersberg: Die Werte, die wir in unserem Aufwachsen vermittelt bekommen haben, sind natürlich auch von gesellschaftlichen Normen getragen. Man kann Verhalten aber nicht auf die Gesellschaft allein zurückführen. Wie wir agieren, fühlen und denken bezieht sich auch immer auf das, was man selbst von Kindesbeinen an mitbekommen hat. Aber natürlich kommt on top auch die gesellschaftliche Norm hinzu – dass es zum Beispiel als Tugend gilt, sich nicht zu beschweren. Aber diese Anpassung fällt uns dann manchmal auf den Kopf. Wenn sie – wie man in der Psychotherapie sagt – „übersteuert“ also zu viel ist, ist sie nicht gesund, weil wir es dann nicht schaffen, unseren Unmut zu äußern.

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Hat es auch etwas damit zu tun, dass man die Person nicht kennt?

Wippersberg: Die Angst andere zu verletzen hat – wie schon gesagt – im Endeffekt nur damit etwas zu tun, wie wir es durch die Rollenbilder in unserer Entwicklung verinnerlicht haben. Wenn wir etwas nicht tun oder abwehren, hat es unbewusst immer etwas mit Angst zu tun. Angst vor der Beschämung, Angst vor dem Nicht-Ernst-Genommen-Werden – und das hat ganz wesentlich damit zu tun, wie es uns selbst widerfahren ist.
Zum Beispiel das Credo: 'Wenn wir Kritik üben, ist es automatisch etwas, mit dem wir andere verletzen.’ Aber das stimmt nicht – Kritik ist ja nicht immer etwas Negatives.

Wenn man von seinen Eltern mit auf den Weg bekommen hat: „Sag, wenn dich was stört, man darf Negatives mitteilen und Grenzen aufzeigen“, dann sitzt man nicht als Erwachsene da und fragt sich, wie man äußern könnte, dass die Stirnfransen schief sind.

Was könnte man tun? Wie schafft man es, mutiger zu sein?

Wippersberg: Wenn dieses Thema kein drastisches Ausmaß annimmt, hilft schon ein Coaching. Oder zu versuchen, sich selbst damit auseinanderzusetzen, Bücher zum Thema zu lesen. Alles was in dieser Hinsicht einen Leidensdruck erzeugt, sollte in Form einer Psychotherapie behandelt werden. Vielleicht gelingt es einem besser, wenn man sich bewusst macht, dass man jemanden in der Dienstleistung gegenübersteht, dessen Anliegen es ja genauso sein sollte, dass man zufrieden nach Hause geht. Vielleicht hilft es ein ganz klein wenig, wenn man bewusst versucht, sich der Angst zu stellen, dass der oder die Andere verärgert sein könnte und dass man ja eigentlich das Recht darauf hat, etwas zu sagen. Aber wie wir alle wissen, ist es unglaublich schwer, über seinen Schatten zu springen.

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