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Glennon Doyle: Große Fragen an große Frauen

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Aktualisiert
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12 min
Glennon Doyle

©Amy Pauls

Was bewegt jene, die vermeintlich alles erreicht haben? US-Autorin Glennon Doyle sprach für ihr neues Buch mit neun Persönlichkeiten über ihre klügsten Lebenslektionen.

Seit meiner Kindheit stellen sich mir dieselben Fragen, und ich fühle mich oft wie ein wandelndes Fragezeichen“, räumt die US-amerikanische Autorin Glennon Doyle, 49, ein. Die Schriftstellerin lässt ihre Leser:innen seit 20 Jahren an ihrer Selbstfindungsreise teilhaben – und trifft damit einen Nerv: „Ungezähmt“, Doyles drittes Buch, das 2020 erschienen ist, wurde zum internationalen Bestseller. Was ihre Werke eint: Sie ermutigen Frauen dazu, Erwartungen anderer hinter sich zu lassen, mit Konventionen zu brechen und ihren selbstbestimmten Weg zu gehen.

Für ihr neuestes Projekt setzte die 49-Jährige auf die heilsame Wirkung, sich mit anderen über intime Erfahrungen, Sehnsüchte und Ängste auszutauschen. Sie bat inspirierenden Größen wie Michelle Obama, Kamala Harris, Lily Collins, Natalie Portman oder Jane Fonda um Input. In „We Can Do Hard Things – Antworten auf die 20 Fragen des Lebens“ teilen sie ihre Ansichten und Lebensweisheiten. Dabei geht es um Existenzielles wie „Woher weiß ich, was ich will?“, „Wie vergebe ich?“ und „Wie funktionieren Liebe oder Erziehung?“ genauso wie um das Anliegen, mit sich und seinem Körper Frieden zu schließen. Doyle zeigt damit: Es gibt Themen, die uns alle beschäftigen – ganz unabhängig von unserem Aussehen, Alter oder Einkommen.

Woher weiß ich, was ich will?

Ja, auch Schauspielgrößen wie Natalie Portman, 44, brauchen mal Nachhilfe, um den inneren Kompass neu auszurichten: „Ich ließ mich von einer Trainerin für Führungskräfte coachen“, räumt die Oscarpreisträgerin ein. „Sie half mir, meine Wünsche zu erkennen und mit dem Jasagen aufzuhören.“ Dabei lernte Portman eine bestimmte Strategie, um auf ihren Körper zu hören: „Stellen Sie sich etwas vor, auf das Sie mit einem körperlich spürbaren Ganzkörper-Ja reagieren. Als Nächstes stellen Sie sich etwas vor, das ein Ganzkörper-Nein hervorruft. Spüren Sie, wie es sich in Ihrem Körper anfühlt, und wenn es auftaucht, benennen Sie es. Zuletzt stellen Sie sich noch etwas vor, das in der Mitte liegt“, rät die 44-Jährige. Ihr Learning: Um zu wissen, was wir wirklich wollen, sollten wir üben, „uns für die Dinge zu entscheiden, die ein Ganzkörper-Ja provozieren.“ Für Autorin Glennon Doyle liegt der Trugschluss ebenfalls oft darin, dass wir uns bei großen Entscheidungen ausschließlich an unseren Verstand wenden: „Aber die Antwort ist dort nicht zu finden, das habe ich immer wieder erlebt. Ich muss meinen Körper fragen, um zu ergründen, was sich warm oder kalt anfühlt – weit oder eng.“

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Natalie Portman

Natalie Portman, Schauspielerin

 © Getty Images

Wie liebe ich „richtig“?

„Ich möchte Paaren sagen, dass eine Beziehung nicht am Ende ist, nur weil Probleme auftauchen“, versichert Michelle Obama. Die ehemalige First Lady der USA muss es wissen: Seit 32 Jahren sind sie und Barack Obama verheiratet. Zuletzt kursierten zwar Trennungsgerüchte, doch die 61-Jährige dementierte diese in Interviews entschieden. Dass ihre Ehe mit dem ehemaligen US-Präsidenten nicht nur harmonisch verlief, ist dabei kein Geheimnis: Michelle Obama thematisierte in der Vergangenheit immer wieder, wie herausfordernd die Jahre im Weißen Haus für das Paar gewesen seien. Als Mutter zweier erwachsener Töchter weiß sie: „Beziehungen sind Schwerstarbeit. Einen anderen Menschen zu heiraten, zwei Leben und unterschiedliche Lebensweisen zusammenzubringen und dann vielleicht noch weitere Leben dazuzuaddieren, ist das Schwerste, was es gibt.“ Doch es lohnt sich – solange man sich nicht selbst dabei vergisst. Diese Erfahrung musste Schauspielerin Lily Collins, 36, machen: „In meiner früheren toxischen Beziehung hatte ich weder den Raum noch die Möglichkeit, mich als Individuum zu entwickeln. Mein Partner hat mir gesagt, wer ich bin, und mir antrainiert, es zu glauben.“ Heute ist das für sie undenkbar. „In meiner jetzigen Beziehung mache ich alles rückgängig, indem ich mich frage: Wer bin ich? Was mag ich? Was finde ich witzig?“ Und wenn es nicht mehr geht? Dann sollte man loslassen – und den Blick nach vorn richten, ohne zu beschönigen, rät Comedienne Chelsea Handler, 50. „Ich habe mich verändert, und meine Liebe war so groß, dass ihr Ende mich umgehauen hat. Aber mir ist trotzdem klar, dass jedes Ende auch ein Anfang ist. Daran glaube ich. Wenn man die Ehrlichkeit und den Mut hat, zu sagen ,Das funktioniert nicht‘, teilt man der Welt gleichzeitig auch mit, was besser zu einem passt und was man braucht.“

Was tut mir jetzt gut?

Schauspielerin und Regisseurin Melissa McCarthy, 54, ist überzeugt: Anderen etwas Gutes zu tun, tut gut. „Ich finde es toll, jemandem laut und aggressiv ein Kompliment zu machen“, erzählt sie. „Reihenweise rufe ich Leuten zu: ,Sie machen das toll!‘ oder ,Super siehst du aus!‘ Ich mache das Autofenster auf und schreie: ,Ich will diesen Schal!‘“ Was nach einer Filmrolle klingt, wurde für die 54-Jährige zu einer Quelle positiver Energie. Manchmal müsse sie sich selbst dazu ermuntern, aber das ist es wert: „Ich fühle mich hinterher besser.“ Ihre kleinen Liebesbekundungen sollen dabei nicht nur eigennützig sein – „sie ziehen eine Welle nach sich“, ist sich McCarthy sicher. „Und ich wette, dass diejenige Person binnen einer Stunde etwas Nettes zu jemand anderem sagen wird – und so geht es immer weiter. Ping. Pong. Ping. Pong.“ Die Schauspielerin ist sicher: Was wichtig ist für unsere Gesellschaft, sind mehr solcher Welleneffekte.

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Melissa McCarthy

Melissa McCarthy, Schauspielerin und Produzentin

 © Getty Images

Wie komme ich wieder mit mir in Kontakt?

Elizabeth Gilbert, 55, glaubt fest daran: Allem voran geht es im Leben um Selbstliebe. Die Erfolgsautorin von „Eat, Pray, Love“ berichtet davon, wie sie diese Erkenntnis vor 25 Jahren mitten in der Nacht überkam und sie sich selbst einen Brief schrieb: „Ich sagte mir all die Dinge, die ich mein Leben lang gern von anderen gehört hätte. In mir war eine Präsenz, die sagte: Ich bin hier. Ich war schon immer hier. Du kannst mich nicht verlieren. Kein Scheitern wäre jemals groß genug, um meine Liebe einzubüßen.“ Wer diese innere Stimme erst aufspüren muss, dem empfiehlt Glennon Doyle einen ausgedehnten Spaziergang: „Ich kenne viele kluge Menschen, die wie ich auf die Praxis des Gehens schwören.“ Wichtig sei, dabei gänzlich auf äußeren Input zu verzichten. Doyle habe begriffen, „dass es zur Lösung mentaler oder emotionaler Blockaden ein körperliches Element braucht“.

Wie geht Erziehung richtig?

„Meine Kinder zu wunderbaren Erwachsenen heranwachsen zu sehen, ist das beste Gefühl der Welt“, räumt Michelle Obama ein. „Sie mögen mich, sie mögen uns, sie sind gern mit uns zusammen, aber sie brauchen uns nicht. Und das war unsere Aufgabe als Eltern – sie so weit zu bekommen, dass sie uns nicht brauchen.“ Die Mutter von Malia Ann, 27, und Natasha Marian, 24, ist sich sicher: Ihre Töchter können alles im Leben meistern. Zu sehen, „wie stark ihre Beziehung untereinander ist, wie sie mit ihren Freunden und Freundinnen verbunden sind und wie sie ihr Leben gestalten“, sei eine große Erleichterung. „Ich habe meine Kinder früh zu Eigenständigkeit und Unabhängigkeit angehalten, und wir haben lange geübt.“ Obamas wichtigster Tipp: „Lass sie üben. Lass sie scheitern. Lass sie Leid erfahren, weil es nicht anders geht. Wir können versuchen, sie festzuhalten und ihnen Probleme aus dem Weg zu räumen, aber dann machen wir das für den Rest unseres Lebens.“

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Michelle Obama

Michelle Obama, ehemalige First Lady der USA

 © Getty Images

Wie vergebe ich?

Seine Energie nicht an die Vergangenheit verschwenden – auch das kann in Glennon Doyles Augen bedeuten, jemandem zu vergeben. „Die Gründe für das Verhalten der anderen Person zu verstehen, das ist ihr Job, nicht meiner. Ich schaue nach vorn, wenn – und zwar gerade dann, wenn – das alles keinen Sinn ergibt.“ Schließlich könne man die Narrative anderer über einen selbst nicht kontrollieren. „Wir sehen unser Leben als Geschichte, und wir wollen in unserer eigenen und in der Geschichte der anderen immer die Guten sein.“ Doch die 49-jährige Erfolgsautorin weiß heute: Viele Male sei ihr das eben nicht gelungen. „Ich glaube, das muss man akzeptieren. Man muss sich von der Idee verabschieden, dass man zu einer guten Person wird, indem man irgendetwas rechtfertigt oder sich entschuldigt oder sogar Wiedergutmachung leistet. Manchmal gelingt das, und dennoch bleibt man die Böse in der Geschichte einer anderen Person.“

Wie schließe ich Frieden mit meinem Körper?

„Mit sieben Jahren wurde ich sexuell missbraucht. Ich habe das lange verdrängt, ich musste viel durchmachen, um mich dem zu stellen.“ Schauspielerin und Aktivistin Jane Fonda, 87, gibt ehrliche wie erdrückende Einblicke in ihr Aufwachsen zwischen Kalifornien und New York. Aus eigener Erfahrung weiß sie: „Missbrauch und sexuelles Trauma, dazu der Druck auf Frauen, dünn und perfekt zu sein, können dazu führen, dass wir uns von unseren Körpern abspalten. Wir verdrängen den Missbrauch und hassen uns selbst.“ Mit weitreichenden Folgen, sagt Fonda. „Ich habe Essstörungen entwickelt. Ich dachte, man würde mich erst dann lieben, wenn ich perfekt bin. All die interessanten, komplizierten, wütenden Anteile in mir sind ausgezogen und haben sich irgendwo außerhalb von mir niedergelassen. Ich musste wirklich, wirklich viel tun, um wieder in mir einzuziehen“, gesteht die Unterstützerin der #MeToo-Bewegung. Neben ihrem persönlichen Schicksal thematisiert sie immer wieder offen die sexistischen Strukturen in der Filmindustrie und ermutigt Frauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen.

Auch die ehemalige Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, Kamala Harris, übt in ihrem Beitrag Kritik an der systematischen Unterdrückung weiblicher Körper: „Es fällt einem kein Gesetz ein, das die Kontrolle eines Mannes über irgendeinen Teil seines Körpers beschränken würde.“ Glennon Doyle litt ebenfalls zeit ihres Lebens unter dem Druck, der auf dem weiblichen Aussehen lastet. Inzwischen versteht es die Autorin, bei der bereits als Teenager Anorexie diagnostiziert wurde, als ihre Lebensaufgabe, „Behaglichkeit und Frieden darin zu finden, mich in meiner Haut wohlzufühlen“.

Buchtipp: Zweifel, Wandel, Widerstand: In „We Can Do Hard Things“ (Rowohlt, € 28,–) zeigt Bestsellerautorin Glennon Doyle auf, was Frauen bewegt.

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Jane Fonda

Jane Fonda, Schauspielerin und Aktivistin

 © Getty Images

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