
Immer mehr Prominente stehen öffentlich zu Schönheitseingriffen. Zwischen Transparenz, Idealen und milliardenschwerer Industrie stellt sich die Frage: Wie frei können wir noch entscheiden?
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Why, Serena, why?“ titelte die India Times einen Artikel Ende August. Die Frage richtete sich an Tennis-Ikone Serena Williams. Die 23-fache Grand-Slam-Gewinnerin gab öffentlich bekannt, durch eine Abnehmspritze, die wie Ozempic wirke, in nur acht Monaten über 14 Kilogramm abgenommen zu haben. In sozialen Medien tritt sie zugleich als Testimonial für das Medikament auf, das ursprünglich für Diabetiker:innen entwickelt wurde.
„Ich fühle mich mental leichter, ich fühle mich sexier, ich fühle mich selbstbewusster“, argumentiert Williams im Interview mit der Vogue. Seit der Geburt ihrer ersten Tochter Alexis Olympia 2017 habe die zweifache Mutter trotz strikten Trainingsplans mit ihrem Gewicht gekämpft. Dennoch: Viele Nutzer:innen zeigen sich enttäuscht von der ehemaligen Spitzensportlerin. „Was Serena damit in Wirklichkeit sagt: Es ist egal, wie erfolgreich oder stark du bist – wenn du nicht dünn bist, zählt das alles nicht. Das ist so traurig“, kritisiert etwa eine Instagram-Followerin. Hinzu kommt: Abnehmspritzen geraten immer mehr in Verruf. Denn kurzzeitig führen sie zwar zur Gewichtsreduktion, doch die Langzeitfolgen sind noch völlig unerforscht. Aufgrund schwerer Nebenwirkungen haben bereits jetzt mehr als 1.800 Ozempic-Anwender:innen den Hersteller geklagt. Ihr Vorwurf: Sie wurden nie davor gewarnt, dass die Einnahme Magenlähmungen oder visuelle Schäden hervorrufen kann.
Serena Williams frönt indes ihrem neuen Leben und spricht im Werbespot davon, „informierte Entscheidungen zu treffen“. Auf aktuellen Fotos ist die Athletin kaum wiederzuerkennen: blonde Extensions, dünne Oberarme, schmale Taille, Sixpack. Damit wirft Williams Fragen auf. Wie weit sind wir bereit, zu gehen, um als schön zu gelten? Wie selbstbestimmt können solche Entscheidungen sein, wenn sich offenbar selbst eine der erfolgreichsten Tennisspielerinnen aller Zeiten von westlichen Schönheitsidealen massiv unter Druck gesetzt fühlt?
„Schönheitsnormen an sich sind nie selbstbestimmt“, ist Psychotherapeutin Barbara Schrammel überzeugt. „Würde Mehrgewicht in unserer Gesellschaft als schön gelten, dann würde ja niemand Diäten machen oder überhaupt auf die Idee kommen, eine Abnehmspritze zu verwenden. Aber in unserer Kultur gilt es als erstrebenswert, schlank zu sein und möglichst jung und fit auszusehen.“ Schrammel gibt zu bedenken: „Dabei sind diese Normen von der Gesellschaft gemacht – unter anderem von Menschen, die Geld damit verdienen.“ Prominente Beispiele wirken zusätzlich verkaufsfördernd. Attraktiv zu sein, ist damit auch eine Klassenfrage: „Wer hat denn die Zeit und die Ressourcen dazu?“


Studien zeigen: Fast jede 3. Frau weltweit ist mit ihrem Körper unzufrieden.
© MAGO/TongRo ImagesMilliardengeschäft
Die Zahlen zeigen: Die Beauty-Branche boomt. Für 2025 wird ein Umsatz von rund 677 Milliarden US-Dollar prognostiziert – fünf Prozent mehr als 2024. In wenigen Jahren könnte sich laut Grand View Research allein der Markt für kosmetische Injektionen wie Botox oder Filler mehr als verdoppeln oder verdreifachen. Ist die Body-Positivity-Bewegung dabei, zu scheitern? Dann steckt dahinter womöglich ein wirtschaftliches Interesse. Denn salopp gesagt: Mit zufriedenen Menschen lässt sich eben kein Geld verdienen. Das unterstreicht der Plastische Chirurg Rolf Bartsch: „Es hat sich eine kollektive Unzufriedenheit gebildet, die den ästhetischen Markt massiv beflügelt.“ Er ist überzeugt: „Hier wurde eine Negativspirale losgetreten, die sehr kritisch zu hinterfragen ist.“ Obwohl auch Bartsch gewissermaßen von der Angst vor optischer Unzulänglichkeit profitiert, sei seine Arbeit in den letzten Jahren zunehmend schwieriger geworden: „Wir sehen uns häufiger mit Menschen konfrontiert, die aus ästhetischer Sicht nichts brauchen, aber dennoch etwas an sich verändern wollen. Sie sind zum Beispiel überzeugt, dass sie eine definiertere Jawline haben möchten, weil sie das online gesehen haben. Dagegen helfen dann oft auch keine medizinischen Argumente.“ Gut zehn Prozent seiner Patient:innen schickt der Mediziner aufgrund falscher Erwartungen wieder nach Hause: „Ich diskutiere extrem oft.“
Er glaubt, dass sich durch die Flut an bearbeiteten Bildern, mit der wir tagtäglich vor allem online konfrontiert werden, immer unrealistischere Schönheitsideale manifestieren: „Uns werden mittlerweile auf jedem Kanal massenweise veränderte Inhalte vorgesetzt. So lange, bis wir glauben, das ist die Normalität.“ Für Bartsch, der sich in seiner Wiener Praxis unter anderem auf Brustoperationen spezialisiert hat, begann die Tragödie aber bereits vor den sozialen Medien. Mit dem vermeintlich ebenmäßigen Hautbild, das auf jeder Plakatwand, in jedem Katalog propagiert wurde. „Da ist kein Muttermal, keine Pore oder Falte zu sehen.“ Diverse Selfie-Filter befeuern das Bedürfnis, diesen Bildern zu entsprechen, und zeigen den User:innen, wie viel besser sie doch aussehen könnten – mit einer kleineren Nase, volleren Lippen oder einem markanteren Kiefer. Die Folgen davon reichen vom verminderten Selbstwertgefühl bis zur sogenannten Selfie-Dysmorphia: So lautet der Fachbegriff dafür, wenn kosmetische Eingriffe auf Basis solcher Darstellungen angestrebt werden.
Druck in jungen Jahren
Hinzu kommt: Propagieren bekannte Persönlichkeiten wie Serena Williams in sozialen Medien Behandlungen oder Medikamente, erreichen sie damit nicht nur erwachsene Follower:innen. Karin Teigl, eine der erfolgreichsten Content Creator:innen des Landes, steht der Entscheidung, sich öffentlich zu Schönheitseingriffen zu äußern, deshalb zwiegespalten gegenüber: „Es ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits finde ich die Transparenz gut, andererseits ist die Verantwortung, die damit einhergeht, schon sehr groß.“ Die 41-Jährige weiß: „Viele nehmen sich daran ein Beispiel und lassen bereits in jungen Jahren etwas machen.“ Auch Teigl spricht öffentlich darüber, sich mit Botox behandeln zu lassen – „ich betone aber, dass ich mit 35 angefangen habe. Für mich ist das legitim.“ Zudem achte sie darauf, sich „echt“ zu präsentieren: „Ich verwende keine Filter, zeige mich ungeschminkt und mit fettigen Haaren.“
Sie selbst könne sich inzwischen vom Druck, Idealen entsprechen zu müssen, distanzieren. „Ich bin aber zum Glück auch ohne Social Media aufgewachsen.“ Wie sehr Online-Inhalte User:innen bereits in jungen Jahren unter Druck setzen, zeigen aktuelle Studien: Laut einer Umfrage von saferinternet aus dem Jahr 2024 erkennen 65 Prozent der Befragten im Alter zwischen elf und 17 Jahren einen direkten Zusammenhang zwischen Social-Media-Inhalten und ihrem Schönheits empfinden. Gleichzeitig gaben über die Hälfte an, gerne etwas am eigenen Aussehen verändern zu wollen – und mehr als ein Viertel haben schon einmal über eine Schönheitsoperation nachgedacht. Genau hier müsse man ansetzen, ist Barbara Schrammel überzeugt: „Wie Bilder und Medien uns beeinflussen und die Mechanismen dahinter, das muss ganz früh thematisiert werden.“


65 Prozent der Jugendlichen erkennen einen direkten Zusammenhang zwischen Social Media und ihrem Schönheitsempfinden. Mehr als ein Viertel dachten schon einmal über eine Schönheits-OP nach.
© Getty ImagesPerspektivenwechsel
Bei all dem Leid, das damit einhergeht, stellt sich die Frage: Woher kommt dieses dringende Bedürfnis, (norm-)schön zu sein? Antworten darauf liefert das sogenannte Pretty Privilege: Menschen, die als attraktiv wahrgenommen werden, genießen oftmals Vorteile in vielen Lebensbereichen. Sie gelten nicht nur als schön, sondern auch als sympathischer, intelligenter und vertrauenswürdiger – Eigenschaften, die als Türöffner fungieren können. „Schönheit ist leider die Währung unserer Zeit“, bringt es Rolf Bartsch auf den Punkt. Er betont: „Beauty-Trends spiegeln immer auch gesellschaftliche Entwicklungen wider. Eine starke Jawline steht beispielsweise für Dominanz und Selbstsicherheit, was dem heutigen Frauenbild entspricht.“
Aus psychologischer Sicht gehe es bei der ganzen Debatte letztlich um das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit, ist Barbara Schrammel überzeugt: „Um die Reaktionen, die ich bei anderen auslöse. Um Wertschätzung und Anerkennung. Gerade weil wir heutzutage in einer Konkurrenzgesellschaft leben, in der wir uns ständig vergleichen.“ Sich bewusst zu machen, was man an anderen sympathisch findet oder bewundert, könne ein hilfreicher Perspektivenwechsel sein. „Ich bin mir sicher, dass die Antwort darauf nicht makellose Haut oder Idealgewicht lautet.“ Im Interview mit Vogue sagte Serena Williams, sie habe ihr Leben lang Kommentare über ihren Körper gehört. Zur Ikone machte sie dennoch ihre Power am Center-Court – jenseits aller Schönheitsideale.



