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Rebellinnen zwischen den Zeilen

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Aktualisiert
Lesezeit
16 min
Mareike Fallwickl und Eva Reisinger

©Pamela Rußmann

Was passiert, wenn sich Frauen verbünden und nichts mehr gefallen lassen? Mareike Fallwickl und Eva Reisinger zeigen in ihrem neuen Werk die Schlagkraft weiblicher Solidarität.

Die Frauen im Buch machen sehr wilde Sachen, davon kann ich selbst nichts umsetzen… Es wäre einfach illegal“, antwortet Mareike Fallwickl lachend auf die Frage, welche rebellischen Taten ihrer Protagonistinnen sie besonders inspirierend findet. Gemeinsam mit Eva Reisinger hat die Autorin „Das Pen!smuseum“ herausgebracht, ein Buch, das es in sich hat. Die Frauen darin lehnen sich auf ganz unterschiedliche Weise gegen die Ungerechtigkeiten des Patriarchats auf – und brechen dabei so gut wie alle Tabus. Ihre weiblichen Charaktere so toben zu lassen, wie es sonst oft nur Männern zugestanden wird, habe den beiden umso mehr Spaß gemacht. „Umkehr“, weiß Fallwickl aus Erfahrung, „ist ein sehr interessantes literarisches Mittel, um Missstände aufzuzeigen, die vollkommen normalisiert sind.“

Tatsächlich seien die Aktionen zwar keine Vorschläge, versichert Reisinger. Aber: Im Kleinen können sich Leser:innen schon etwas von ihnen abschauen: „Die grundsätzliche Einstellung. Sprich: Frag dich im Leben mehr, was du willst. Und mach nicht immer das, was andere von dir wollen.“ Wie viel Persönliches sie in ihrem neuen Werk verarbeitet haben und was die beiden selbst sofort tun würden, wenn es absolute Gleichberechtigung gäbe – die Bestsellerautorinnen im WOMAN-Gespräch.

WOMAN

In „Das Pen!smuseum“ finden Frauen unterschiedliche Wege, um mit patriarchalen Ungerechtigkeiten umzugehen: Anna geht hochschwanger fremd, Sabine fotografiert heimlich den Penis ihres Mannes. Wo haben Sie sich für die kuriosen Taten der Rebellion inspirieren lassen?

Mareike Fallwickl

Allein von unserer Fantasie. Wir wollten, dass man die Tabus richtig splittern hört, während sie brechen. Ich glaube, das ist gelungen. Und typisch österreichisch in seinem Humor ist das Buch auch.

Eva Reisinger

Manchmal inspirieren mich schon Erzählungen von Freundinnen. Ich frage mich dann, was wäre, wenn sie jetzt einfach dieses und jenes machen würde? Und dann beginnt in meinem Kopf eine Geschichte, die ich nicht mehr aufhalten kann.

WOMAN

Mit welcher Frauenfigur können Sie sich selbst am meisten identifizieren?

Eva Reisinger

Keine der Personen ist eine Version von mir. So funktioniert mein Schreiben nicht. Aber bei manchen Figuren erkenne ich Muster oder Charaktereigenschaften. Manchmal denke ich mir auch: Wow, so wäre ich gerne.

Mareike Fallwickl

Ich identifiziere mich auch nie mit Figuren, die ich schreibe, auch wenn viele Lesende das vermuten. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man literarische Figuren sympathisch finden muss – im Gegenteil. Ich will, dass Menschen beim Lesen etwas spüren, dass sie anfangen, nachzudenken, dass die Geschichten etwas in ihnen auslösen. Das muss nicht unbedingt etwas Positives sein.

Eva Reisinger

Total! Ich glaube, dieses „Knirschen“ braucht es, damit wir die betonierten Stereotype überhaupt hinterfragen.

WOMAN

Ein Gedanke aus dem Buch, den jede Frau kennt: „Niemand würde sich das bei Männern trauen.“ Wann haben Sie sich das im Alltag zuletzt gedacht?

Eva Reisinger

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen ... Auf der Bühne höre ich sehr oft von der Moderation, wie wahnsinnig jung ich aussehe. Für mich ist es total befremdlich, dass das ein Thema ist. Genauso wenn in Rezensionen mein Aussehen beschrieben wird. In Interviews werde ich auch immer wieder nach dem potenziellen Mann an meiner Seite gefragt. Und ja, nach fast jeder Lesung erklärt mir mindestens ein Mann mein Buch.

Mareike Fallwickl

Ich wurde bei Lesungen regelmäßig gefragt, wo meine Kinder gerade sind. Das traut sich seit „Die Wut, die bleibt“ niemand mehr. (grinst) Und die Frage, welche Gegenleistung ich denn erbracht hätte, um meinen ersten Buchvertrag zu bekommen, wird einem männlichen Autor sicher auch nicht so oft gestellt wie mir damals.

WOMAN

Ihr Pro-Tipp, um auf sexistisches Verhalten zu reagieren?

Mareike Fallwickl

Das kommt auf die Situation an. Generell bin ich sehr für „choose your battles“, weil man auf den eigenen Energiehaushalt aufpassen muss. Frauen, nichtbinäre und trans Menschen sind keine Erklärbären. Wir sollten nicht permanent darum betteln müssen, nicht diskriminiert zu werden, mit dem ständig wiederholten Hinweis, dass wir doch auch Menschen sind.

Eva Reisinger

Ich kann Mareike da nur zustimmen. Ich persönlich frage mich in diesen Situationen: Kann ich das gerade? Wenn ich die Ressourcen habe, dann reagiere ich zum Beispiel auf Sexismus, weil ich mir denke, der nächsten Person fehlt vielleicht die Energie, und ich nutze meine jetzt.

WOMAN

Was die Protagonistinnen in Ihrem Buch eint, ist ihre Wut. Wurden Ihnen beim Schreiben Ungerechtigkeiten oder Übergriffigkeiten bewusst, die Sie selbst lange verdrängt haben?

Mareike Fallwickl

Ich verdränge da gar nichts. Alles kommt direkt raus und fließt in die Geschichten und Romane. Ich will die Ungerechtigkeiten aufzeigen. Subtil ist aus.

Eva Reisinger

Word! Subtil ist so was von aus, das sehe ich genauso. Von runtergeschluckter Wut bekommen wir höchstens Sodbrennen. Es tut wahnsinnig gut, alles rauszulassen und sich nicht dafür zu schämen.

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Eva Reisinger (hinten) und Mareike Fallwickl (vorn)

„Mareike und ich haben uns in diesem Projekt verschwestert, und das hat unglaublich gutgetan“, resümiert Eva Reisinger (hinten) über ihre erste Zusammenarbeit mit Mareike Fallwickl (vorn).

 © Pamela Rußmann
WOMAN

Wie viel Persönliches haben Sie in „Das Pen!smuseum“ verarbeitet?

Mareike Fallwickl

Das kann ich nicht sagen … Erlebt hab ich davon – zum Glück – nichts. Aber natürlich ist weibliches Erzählen immer etwas Persönliches.

Eva Reisinger

Sagen wir’s so: Ich hab da schon auch ein paar Rechnungen beglichen – meine und auch die von Freund:innen.

WOMAN

Eva, Sie behaupten sich privat als Jungjägerin auch in einer Männerdomäne. Wie hat Sie das beim Schreiben beeinflusst?

Eva Reisinger

Die Jagd grundsätzlich beeinflusst mich beim Schreiben extrem. Ich will jetzt nicht zu viel vom nächsten Roman verraten, aber ich glaube, es ist eh klar, worüber ich schreibe. (lacht) Die Männer spielen in meinen Jagdgeschichten tatsächlich keine große Rolle, weil es um die Frauen geht. Auch in der Realität zieht es immer mehr Frauen in die Jagd. Privat ergeben sich schon lustige Situationen, wenn ich in Runden erkläre, was ich mache und worüber ich schreibe.

WOMAN

Mareike, Wut ist in Ihren letzten Werken ein zentrales Thema. Erleichtert es, sie beim Schreiben rauszulassen, oder macht es Sie noch wütender?

Mareike Fallwickl

Die Wut in meinen Romanen ist oft eine Stellvertreterwut. Ich bin sehr privilegiert, und das ist mir bewusst. Umso wichtiger ist es, dass ich diese Privilegien einsetze, um für meine Schwestern zu sprechen, die diese Möglichkeit nicht haben. Solidarität kann immer nur von privilegierten Menschen zu weniger privilegierten Menschen reichen, nicht umgekehrt.

WOMAN

Inwiefern bringt es uns im Hinblick auf Gleichstellung weiter, Ungerechtigkeiten mit anderen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen, so wie die Protagonistinnen im Buch das tun?

Mareike Fallwickl

Das ist eine wunderbare Frage, die Männern niemals gestellt wird. Ihre Werke dürfen einfach genial sein und müssen nicht gleich die gesamte Gesellschaft umwälzen. Das wird nur von jenen verlangt, deren Schreiben nicht der cismännlichen Erzähltradition entspricht und das deshalb als „politisch“ gilt. Männerbücher sind aber auch politisch. Sie zementieren in einer ewigen Reproduktion der immer gleichen Narrative die aktuelle Gesellschaftsform und erzählen sie dadurch als die Norm.

Eva Reisinger

Das kann ich nur unterstreichen. Warum müssen unsere Bücher immer irgendwas Großes bewegen und einer Moralvorstellung entsprechen? Mareike und ich haben zusammen geschrieben und die Frauen in unseren Geschichten einfach mal machen lassen. Ohne Limits, ohne Tabus. Ich will meine Leser:innen berühren. Das kann durch Identifizierung, genauso durch Schock oder das Überwinden von Moral sein. Für mich sind es diese Emotionen, die dann ein Umdenken anstoßen können. Aber eben auch nicht müssen.

WOMAN

Im Buch geht es auch um weibliche Solidarität. Eine Protagonistin unterstützt etwa Frauen bei der Abtreibung. Wo wünschen Sie sich im Alltag mehr Zusammenhalt?

Mareike Fallwickl

Zusammenhalt unter Frauen gern immer und überall. Das ist ein zentrales Element meines Romans „Und alle so still“. Eine Frau allein kann man nämlich sehr einfach beiseite schubsen. Aber eine große Gruppe Frauen, die zusammensteht, nicht. In der Schwesterlichkeit liegt eine derart essenzielle Kraft, dass das Patriarchat sie uns mit sehr effizienten Tricks von Anfang an aberzieht und uns in ein toxisches Klima der Konkurrenz zwingt. Aber jede Frau kann sich ihrer eigenen internalisierten Misogynie bewusst werden – und sich dagegenstemmen.

Eva Reisinger

Mareike und ich haben uns in diesem Projekt verschwestert, und das hat unglaublich gutgetan. Zusammen zu schreiben, hat manchmal – wenn es gut läuft – etwas Magisches. Bei uns war das so. Wenn sich Frauen zusammentun, haben sie mehr Macht, und das fühlt sich grandios an.

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Das Pen!smuseum Buchcover

Buchtipp: In „Das Pen!smuseum“ (Leykam, € 25,50) lassen Mareike Fallwickl und Eva Reisinger Frauen auf skurrile Weise zurückschlagen.

 © Leykam Verlag
WOMAN

Kurz nachdem das Werk Anfang Juni auf Instagram angekündigt wurde, wurde der Beitrag von Gertraud Klemm mit der Begründung gestrichen, dass es unterschiedliche Auffassungen davon gab, in welchem Umfang die Rechte und Anliegen der queeren Community berücksichtigt werden sollen ... Wie kam es dazu?

Mareike Fallwickl

Uns als Herausgeberinnen war die Tragweite ihrer Ansichten nicht bekannt. Als wir darauf hingewiesen wurden, haben wir als Erstes mit Gertraud gesprochen.

Eva Reisinger

Zusammen mit dem Verlag haben wir versucht, einen Konsens zu finden. Daraufhin haben wir – Mareike, der Verlag und ich – beschlossen, dass wir nicht gemeinsam veröffentlichen können, und Gertraud hat ihren Beitrag schriftlich zurückgezogen.

WOMAN

Wo hört Feminismus – und insbesondere weibliche Solidarität – für Sie auf?

Eva Reisinger

Wir werden uns immer an die Seite marginalisierter Gruppen stellen und Allies für die trans Community sein. Wir stehen für einen Feminismus, der alle Menschen miteinschließt. Das ist nicht verhandelbar.

Mareike Fallwickl

Trans Menschen sind keine Debatte. Während diesen Menschen auf der ganzen Welt Rechte entzogen wer-den und sie reale Gewalt erleben müssen, wird in den Medien über angebliche Begrifflichkeiten diskutiert. Für uns geht das total an dem vorbei, was wirklich wichtig ist: die Anerkennung und der Schutz von trans Menschen.

WOMAN

Die Beiträge der anderen Gastautorinnen – Sophia Süßmilch und Jovana Reisinger – fügen sich in die Geschichte ein. Wie wurde der fehlende Beitrag Klemms kompensiert?

Mareike Fallwickl

Da das Buch aus einzelnen Geschichten besteht, sind sie alle wie Bausteine, die man hinzufügen oder entfernen kann. Tatsache ist ja auch, dass es in der Buchbranche vollkommen normal ist, dass Pläne und Programme sich ändern – ich habe auch schon Beiträge für zwei Anthologien verfasst, die letztlich nicht veröffentlicht worden sind.

Eva Reisinger

Texte erscheinen – und manchmal eben nicht. Auch Autorinnen finden mal keinen Konsens. Mich regt es auf, dass es den Anspruch gibt, dass sich Frauen immer einig sein müssen, weil sie sonst „schlechte Feministinnen“ oder die „streitenden Weiber“ sind. Niemand würde das von Männern fordern.

WOMAN

Den Frauen im Buch wird irgendwann bewusst, dass nicht ihr Körper oder ihre Wahrnehmung das Problem ist, sondern sie sich durch das Patriarchat schlecht fühlen. Gab es so einen Moment auch in Ihrem Leben?

Mareike Fallwickl

Das ist das Spannende an der feministischen Erweckung: Wenn man die Ungerechtigkeiten erst einmal sieht, kann man sie nie wieder nicht sehen. Einen bestimmten Moment gab es in meinem Leben nicht, aber ich gehöre zu jenen Frauen, denen erst so richtig klar wird, wie ungerecht diese Welt ist, wenn sie Mütter werden.

Eva Reisinger

Mit jedem neuen Lebensjahr entdecke ich neue Ungerechtigkeiten. Ich werde wütender und gleichzeitig gelassener, weil ich besser verstehen kann, was wirklich das Problem ist.

WOMAN

Oben ohne zum Public Viewing gehen – davon träumen die Frauen im Buch. Was würden Sie sofort machen, wenn es den Male Gaze nicht (mehr) gäbe?

Mareike Fallwickl

Ich würde mich nicht mehr schminken und keine BHs mit Bügeln mehr anziehen. Free the boobs!

Eva Reisinger

Mareiki! (lacht) Das klingt gerade 1:1 wie die Nachrichten, die sich die Freundinnen in unserem Buch schicken. Lustig, ich würde mich deutlich mehr schminken. Ich allein würde über meine Outfits entscheiden und mich nicht fragen, ob ich heute genug Energie habe, es auszuhalten, gecatcallt zu werden.

Über die Autor:innen

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