Vocal Naps (Glassner/Krenn/Rabofsky), Wasserbiennale Fürstenfeld 2020
Wir wissen, was zu tun wäre – wieso handeln wir trotzdem nicht? Wie wir uns gemeinsam für den Klimaschutz verbünden können, anstatt nur von einer besseren Zukunft zu träumen.
Zwischen „Was macht die da?“ und „This freaks me out“: Wenn Anne Glassner sich an ihre Arbeit als Schlafperformerin im öffentlichen Raum macht, gehen oft die Wogen hoch. Es wird gestaunt und beobachtet. Für die Wiener Künstlerin ist Schlafen ein stiller Akt des Widerstands – ein „Es reicht!“ gegen das ständige Streben nach Produktivität und den Druck, immer aktiv zu sein. „Es geht mir darum, die Menschen wachzurütteln. Wir müssen alle beginnen, aufzustehen und gemeinschaftlicher zu denken und zu handeln“, fordert die 41-Jährige.
Ins Tun kommen, auch wenn es schwerfällt und unbequem ist, ist vor allem angesichts des fortschreitenden Klimawandels gefragt. Und zwar lieber gestern als morgen – darauf lässt der jüngste Bericht des EU-Klimawandeldienstes Copernicus schließen. Er zeigt: Europa erwärmt sich schneller als alle anderen Kontinente. Seit den 1980er-Jahren sogar doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Das spiegelt sich in zahlreichen Wetterphänomenen wider. Mit Durchschnittstemperaturen von sechs Grad liegt der wärmste März, der je gemessen wurde, hinter uns. Auch hierzulande spüren wir die Veränderung: Das verheerende Hochwasser im Herbst 2024 war eine Folge der menschengemachten Klimakrise, sind sich Expert:innen einig. Wieso müssen wir also nach wie vor über sinnvolle Maßnahmen diskutieren, statt konsequent mehr von dem zu tun, was richtig wäre: auf unsere CO2 -Bilanz achten, indem wir Müll trennen, nachhaltig einkaufen, mit den Öffis statt mit dem Auto fahren, zum Beispiel?


Anne Glassner. Die Künstlerin wünscht sich eine Gesellschaft, die den Wert unserer Träume und unserer Umwelt würdigt.
© Christian PrinzOhnmacht
Cornelia Betsch setzt sich auf wissenschaftlicher Ebene mit dieser Frage auseinander. Die Direktorin des Institute for Planetary Health Behavior an der Universität Erfurt wirft seit 2022 einen psychologischen Blick auf den Klimawandel. Im Projekt PACE (Planetary Health Action Survey) untersucht Betsch mit ihrem Forschungsteam anhand regelmäßiger Datenerhebungen die Handlungsbereitschaft der Bevölkerung. Woran liegt es, dass trotz desaströser Prognosen noch immer gezögert wird? Trotz umfassender Erkenntnisse zur Klimakrise bleibt entschlossenes Handeln oft aus – obwohl laut PACE-Erhebung 73 Prozent der Befragten denken, dass alle ihr Verhalten ändern müssen, um das Klima zu schützen. Hinzu kommt: „Viele unterschätzen die Wirkung politischer Maßnahmen, wie zum Beispiel vom Verbrenner-Aus, und denken, dass ihr eigenes Verhalten einen größeren Effekt hat“, resümiert Betsch. Dabei entsteht Selbstwirksamkeit nicht individuell, sondern vor allem durch das aktive Mitgestalten von Rahmenbedingungen und Strukturen. „Das individualistische Narrativ wurde lange und erfolgreich von der Öllobby benutzt, um Verantwortung abzuwälzen“, gibt die Psychologin zu bedenken. Ihre Forschungsergebnisse sollen dabei helfen, effektive Klimakommunikation zu gestalten. Zwar sei es natürlich empfehlenswert, im Alltag auch individuell Schritte zu setzen, „wir brauchen aber Regeln und Bedingungen, die umweltfreundliches Verhalten zur einfachen und fairen Option machen“, sagt die Expertin. Dabei geht es vor allem um eine lebenswerte Welt für zukünftige Generationen, denn: „Selbst wenn wir sofort unser Verhalten ändern, wird das Klima erst einmal schlechter – es ist, als würde man einen Tanker ausbremsen.“


Cornelia Betsch. Die Wissenschaftlerin untersucht mit dem PACE-Projekt, was klimagesundes Verhalten beeinflusst. uni-erfurt.de
© PrivatKollektiv
Wenn Stars wie Katy Perry mit einem Ausflug ins Weltall in zehn Minuten mehr CO2 -Emissionen verursachen als ein durchschnittlicher Mensch in seinem ganzen Leben, wirft das die Frage auf: Was bringt es überhaupt, in Kapfenberg Plastik und Restmüll zu trennen? „Pessimismus ist keine Option – weil Aufgeben schlicht nichts verändert“, ist Betsch überzeugt. Statt unzufrieden in Ohnmacht zu verharren, sollte der Unmut über Aktionen wie Weltraum-Tourismus lieber mit anderen geteilt werden, denn, so Betsch: „Der größte Hebel liegt im Systemwandel – und den kann jeder mit anstoßen.“ Dass Kapitalismus, Reichtumskonzentration und ökonomische Interessen in vielen Fällen grundlegenden klimapolitischen Veränderungen im Weg stehen, wird immer häufiger benannt. Jetzt braucht es entsprechende Maßnahmen. „Dass jene, die einen größeren CO2 -Fußabdruck hinterlassen, auch mehr zahlen müssen, findet etwa breite Zustimmung“, weiß die Psychologin. Was also tun, um trotz ökonomischer Ungleichheit in den kollektiven Widerstand zu gelangen und politische Forderungen durchzusetzen? Sich über die Ängste und Sorgen auszutauschen, ist ein erster wichtiger Schritt. Denn Studien zeigen, dass nur ein Drittel der Menschen überhaupt regelmäßig über den Klimawandel spricht. Diese „Klimastille“ verhindert Bewusstseinsbildung und gemeinschaftliches Handeln.
Bequemlichkeit
Sind wir als Gesellschaft bislang zu faul oder manchmal auch einfach zu ängstlich, um unsere Sorgen anzusprechen? Diese Frage wirft die renommierte Psychiaterin Heidi Kastner in ihrem neuen Buch „Feigheit“ (EcoWing, € 20,–) auf. Hinsichtlich der Klimakrise zeigt sich Kastner unschlüssig: „Da geht es, glaube ich, auch ganz viel um Bequemlichkeit und Ignoranz. So zu tun, als ob das alles eh nicht so schlimm wäre, wird von diversen politischen Entscheidungsträger:innen ja auch unterstützt.“ Bislang werde vor allem Stillstand gefördert. „Man müsste ihnen zeigen, wie feige das ist“, ist Kastner überzeugt. „Denn jede weitreichende Handlungsentscheidung, die nur die unmittelbare Befindlichkeit berücksichtigt und nicht an die Zukunft denkt, ist problematisch.“ Diese ausgeprägte Kurzsichtigkeit gilt es loszuwerden – auch wenn das bedeutet, auf den einen oder anderen Komfort, wie zum Beispiel günstiges Fliegen, zu verzichten: „Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus müssen erkennen, dass es ein gemeinsames Ziel gibt – und unterschiedliche Beiträge, um es zu erreichen.“


Heidi Kastner. In „Feigheit“ hinterfragt die renommierte Psychiaterin, warum wir trotz multipler Krisen so gern wegschauen.
© Heidi KastnerEngagement
Selbst wenn es angesichts von Wahlergebnissen oft nicht so wirkt: „Die Menschen fordern mehr Einsatz von der Politik – auch von konservativen Parteien“, zeigen die Daten von Psychologin Betsch. „Viele unterschätzen außerdem, wie wichtig anderen Klimaschutz ist.“ Ein Trugschluss mit fatalen Folgen. „Das kann zu Schweigen führen“ – und lähmt so Veränderung. Dabei kann allein das Nachdenken über die Zukunft aktivierend sein, und wird sichtbar, wenn wir es lautstark mit anderen teilen: „Politische Partizipation ist entscheidend und kann das System unter Handlungsdruck setzen.“ Sich auf die Fahrbahn kleben, wie es Vertreter:innen der sogenannten Letzten Generation taten, muss man dafür nicht – „diese Form des Widerstands war vielen zu radikal“, ordnet die Psychologin ein. „Bewegungen wie Fridays for Future hingegen erfahren breite gesellschaftliche Resonanz.“ Sich zu engagieren, ist aber auch abseits großer Protestbewegungen möglich: Eine Petition zu starten oder Politiker:innen direkt zu schreiben und konkrete Maßnahmen anzufragen, kann ein wichtiges Zeichen setzen. Auch friedlicher künstlerischer Aktivismus, wie ihn Anne Glassner betreibt, trägt das Thema in die Öffentlichkeit. Ob gemeinsam mit anderen im Gras liegend oder auf einem Feldweg stehend: Mit ihren Performances möchte die 41-Jährige ein Statement gegen die Erschöpfung unserer Gesellschaft setzen. Wir wissen längst: Auch unsere Erde ist müde. Gemeinsam nicht nur auf eine lebenswerte Zukunft zu hoffen, sondern dafür ein- und aufzustehen, ist ein Traum, den wir gemeinsam verfolgen dürfen.
Von einer besseren Welt träumen


Anna Glassner. Die Performancekünstlerin möchte die Gesellschaft aus dem „Klima-Dämmerschlaf“ aufwecken.
Sie tut es auf Baustellen und auf Straßen. In Autowerkstätten oder mitten in der freien Natur: sich einfach hinlegen, loslassen und von Fremden dabei beobachten lassen. Anne Glassner ist Künstlerin – das Thema Schlaf ist schon seit über zwölf Jahren ihr zentrales Thema. Dabei bezieht sie immer wieder gesellschaftspolitische Fragestellungen in ihre künstlerische Praxis ein.
Ihre Arbeit sieht sie als Protest gegen das Getriebensein unserer Gesellschaft. Glassner lädt auch dazu ein, an öffentlichen Orten zu „nappen“ und mit dem Kollektiv Vocal Naps in Kooperation und Konzeption mit Nicole Krenn und Mona Rabofsky sich in den Schlaf zu jodeln und seine Träume zu erforschen.
„Ich wünsche mir, dass unser Planet ein Ort ist, an dem Menschen wieder mehr Zeit zum Träumen haben – auch tagsüber. Ein Ort, an dem Ruhe kein Luxus ist, sondern ein Recht. Wo wir im Einklang mit der Natur leben, achtsam mit uns selbst und miteinander umgehen – mit Offenheit, Neugier und Mitgefühl“, beschreibt sie ihre Vision. Woraus sie Hoffnung schöpft? „Es gibt viele kreative Köpfe, die sich zusammenschließen, um für das Gemeinwohl einzutreten und zu kämpfen. Die Begegnungen mit anderen Menschen geben mir Zuversicht.“ Sie plädiert dafür, wachsam und kritisch zu bleiben, gerade wenn allerorts demokratische Grundsätze angegriffen werden: „Dass es automatisch in die ‚richtige Richtung‘ läuft, nur weil es ernst ist, davon kann man nicht ausgehen. Man muss aktiv etwas tun. Und zwar immer!“