
Sie stehen mitten im Leben, sind Mütter, (Ex-)Ehefrauen oder erfolgreiche CEOs – und beginnen eine Beziehung mit deutlich jüngeren Männern: In Hollywood dürfen erfahrene Frauen jetzt lustvoll sein. Progressiv feministisch oder ein altes Spiel mit neuen Klischees?
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"Du bist sehr jung, ich möchte dir nicht wehtun", flüstert eine Frau, ungefähr Mitte 50, im Fahrstuhl. "Ich denke, ich habe Macht über dich, weil ich einen Anruf machen könnte, und du würdest alles verlieren", erwidert der deutlich jüngere Mann neben ihr. Und er fragt sie fordernd: "Turnt dich das an, wenn ich das sage?" Die Szene stammt aus dem Trailer zu "Babygirl", und ja, darin geht es ganz schön heiß her. Der Erotikthriller mit Nicole Kidman in der Hauptrolle (ab 30.1. in den Kinos) spielt mit Machtdynamiken und Klischees – nur ein bisschen anders als gewohnt: Romy Miller (Kidman) ist erfolgreiche Gründerin und CEO eines börsennotierten Unternehmens und eigentlich – was auch sonst – glücklich verheiratet. Doch der ungefähr 30 Jahre jüngere Praktikant Samuel (Harris Dickinson) erweckt mit seiner dominanten, selbstbewussten Art von einem Tag auf den anderen unterdrückte Gefühle in der Unternehmerin. Eine Affäre beginnt.
Was wir als Zuseher:innen auf der Leinwand neben intensiven Blicken vor allem beobachten dürfen: eine Frau mittleren Alters, die sich frei fühlt und neue Facetten ihrer Lust entdeckt. Damit reiht sich der Hollywoodstreifen in eine Riege von Produktionen, die in den letzten Jahren überraschend progressiv vorführten, dass die weibliche Libido mit 40 oder 50 längst nicht dahin ist – im Gegenteil. Ob Emma Thompson in "Meine Stunden mit Leo", Laura Dern in "Lonely Planet" oder Anne Hathaway in "The Idea of You": Frauen dürfen endlich wollen.
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Neue Freiheit oder alte Klischees?
Ist Hollywood jetzt feministisch? Kommt auf die Perspektive an. Denn was neben der Lust in den Filmen auch ständig hervorgehoben wird, ist eben genau der Altersunterschied. Ganz können die Produzent:innen wohl doch noch nicht verkraften, dass auch ältere Frauen ohne Gewissensbisse und frei von Unsicherheiten mit jüngeren Männern in Beziehungen sein könnten. Dabei ist das längst Usus, ist Mirna Funk überzeugt: "Cher macht das schon seit 50 Jahren. Dass es jetzt vermehrt medial aufgegriffen wird, spricht ja nur dafür, dass es zu einer größeren Normalität geworden ist, als es vielleicht früher der Fall war. Es hat sozusagen den Mainstream erreicht." Für die 43-jährige Autorin, die selbst seit Jahren nur noch jüngere Männer datet – "mittlerweile bin ich bei einem Altersunterschied von 20 Jahren angekommen" –, hat diese Entwicklung nur bedingt etwas Feministisches an sich. „Sich als Frau das Recht herauszunehmen, mit wem auch immer sein zu wollen, und das auch angstfrei tun zu können, ist eine Errungenschaft, die sicherlich erst erkämpft werden musste“, räumt die Mutter einer Tochter ein. "Aber mittlerweile kann es auch einfach ein ganz natürliches Bedürfnis sein, seine Wünsche auszuleben, ohne das als emanzipatorischen Moment definieren zu müssen." In ihrem Umfeld sei es jedenfalls längst Normalität. „Ich glaube, man darf das Thema Alter auch nicht so wahnsinnig ernst nehmen."
Mittlerweile kann es ein natürliches Bedürfnis sein, seine Wünsche auszuleben, ohne das als emanzipatorischen Moment definieren zu müssen.
Beziehungen abseits der Norm
Soziologin Caroline Berghammer nimmt den enormen Altersunterschied in Filmen wie "Babygirl" oder "The Idea of You" vor allem als Selling Point wahr. Denn Studien zufolge weiß sie: "Das ist nicht die Norm in unserer Gesellschaft." Zwar sei die Akzeptanz unterschiedlicher Partnerschaftsformen deutlich gestiegen und "diese werden viel weniger stigmatisiert als noch vor einigen Jahrzehnten, jedoch fehlen repräsentative Daten im Zeitvergleich dazu, wie es bei Paaren aussieht, in denen die Frau deutlich älter ist als der Mann". Für Berghammer eröffnen sich durch die fiktiven Storylines aber durchaus fortschrittliche Einblicke dahingehend, wie es abseits der Norm sein kann. Schließlich haben sich die Rahmenbedingungen geändert. "Es gibt heutzutage mehr Frauen in einflussreichen Positionen als früher. Filme greifen dies auf, spielen mit solchen Konstellationen und imaginieren, was solche 'verkehrten Machtverhältnisse' bedeuten könnten." Die Wissenschafterin gibt aber auch zu bedenken: "Das das höhere Alter der Frau in Filmen überhaupt ein Hauptthema ist, verdeutlicht vor allem, dass es nach wie vor etwas Ungewöhnliches ist."
Es gibt heutzutage mehr Frauen in einflussreichen Positionen als früher. Filme greifen dies auf, spielen mit solchen Konstellationen und imaginieren, was solche ,verkehrten Machtverhältnisse‘ bedeuten könnten.
Für Mirna Funk geht es bei der Partnerwahl letztendlich weniger ums Alter als vielmehr um eine Lebenseinstellung. Aus Erfahrung weiß sie: Jüngere Männer haben oftmals einen anderen Zugang zur Maskulinität und ein progressiveres Frauenbild, „weil sie viel wahrscheinlicher mit arbeitenden Müttern aufgewachsen sind. Das passt auch besser zu meinem Verständnis vom Frausein." Auf dem Filmplakat von "Babygirl" ist zu lesen: "Das neue Jahr gibt dir genau, was du willst" – wenn es dabei um Filme geht, die Frauen unvoreingenommen in unterschiedlichen Lebensphasen abbilden, können wir es kaum erwarten.