
Tragik und Komik reichen sich die Hand: In ihrem neuen Film konfrontiert uns Anke Engelke mit der Willkür des Lebens. In WOMAN erzählt die Schauspielerin, wie sie optimistisch bleibt – auch, wenn das Schicksal mal andere Pläne hat.
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Rita und Hans, seit über 30 Jahren verheiratet, haben es sich in ihrem Leben gemütlich gemacht: Der Schuldirektor (Ulrich Tukur) steht kurz vor seiner Pensionierung, Rita (Anke Engelke) arbeitet als Krankenschwester. Sooft wie möglich genießt sie die Ruhe im Haus, in dem seit Jahrzehnten jeder Raum gleich aussieht. Mit Anfang 60 ist sich die Mutter eines erwachsenen Sohnes sicher: Viel wird da jetzt nicht mehr kommen. Warum also noch große Veränderungen anstreben und das Badezimmer neu verfliesen, wie Hans das gerne hätte? Doch dann brechen zwischen Trivialität und neuem Lebensabschnitt plötzlich alte Wunden auf …
In der berührenden Tragikomödie „Dann passiert das Leben“, aktuell im Kino, mimt Anke Engelke, 59, eine Frau, die eigentlich nicht mehr viel erwartet – und durch einen Schicksalsschlag plötzlich doch dazu gezwungen wird, ihr Leben zu hinterfragen. Inwiefern Krisen auch Chancen bedeuten können, reflektiert die deutsche Schauspielerin im großen WOMAN-Interview. Wir erreichen sie via Videochat am Tag der Deutschlandpremiere in Hamburg, wo sie top gestylt und gut gelaunt am Bildschirm erscheint. Sie sieht toll aus, darauf gehen wir später aber noch genauer ein, in einem Gespräch, das weit über Äußerlichkeiten hinausreicht.
In „Dann passiert das Leben“ sieht man einem Ehepaar über weite Teile beim Schweigen zu. Wie gut halten Sie privat Stille aus?
Ich bin eine Freundin von Einkehr und Kontemplation. Das ist das Gegenteil meines Berufslebens, und deswegen komme ich damit sehr gut klar. Es entspricht auch meinem Naturell – ich bin als Privatperson eher ruhig.
Die Figur, die Sie spielen, erscheint auf den ersten Blick ebenfalls ziemlich unaufgeregt. Inwiefern konnten Sie sich mit ihr identifizieren?
Rita habe ich liebgewonnen, aber beim Lesen des Drehbuchs habe ich auch schnell gemerkt, dass ich sie streckenweise gar nicht verstehe, ihr Verhalten nicht nachvollziehen kann. Das ist für mich aber kein Problem, sondern vielmehr interessant und eine Herausforderung. Allein technisch gesehen. Wenn mir ein Verhalten rätselhaft erscheint, muss ich das irgendwie dekodieren und für mich verstehen. Das ist ein schöner Prozess.
Woran denken Sie dabei?
Es gibt zum Beispiel eine Szene, in der sie einem komplett fremden Menschen sagt, dass sein Anzug nicht gut aussieht. Das geht mir zu weit. Als Privatmensch finde ich Ehrlichkeit total gut, man sollte aufrichtig sein und sich nicht verstellen – das mache ich ja eh schon beruflich –, aber Rita fand ich manchmal übergriffig und ein bisschen unhöflich. Und was ich auch nicht verstehe, ist, warum sie ihre Bedürfnisse innerhalb der Ehe und ihrer Familie über so viele Jahre nicht thematisiert hat.
Rita und Hans zeigen, wie eine Partnerschaft in Routine erstarrt. Was kann man dennoch von ihnen lernen?
Dass es nicht zu spät ist. Die kriegen ja die Kurve. Also man hat wirklich Hoffnung und merkt, dass die lange gemeinsame Zeit die beiden einander so nahe gebracht hat. Sie wertschätzen einander, haben sich aufrichtig gern. Ich glaube wirklich, dass die sich lieben.


In „Dann passiert das Leben“ spielen Anke Engelke und Ulrich Tukur eindrucksvoll ein Ehepaar, das von der Trivialität des Alltags überrollt wird.
© Dor FilmUnd wo sind sie falsch abgebogen?
Wahrscheinlich schon recht früh, leider. Zum Beispiel wenn es um eigene Interessen geht. Diese nicht zu verstecken oder zu unterdrücken, ist wichtig in einer Partnerschaft, auch in einer Freundschaft. Die Beziehungen, die wir als stabil oder positiv wahrnehmen, leben davon. Kommunikation ist essenziell. Der Austausch und auch das Benennen von Gefühlen und von Zuständen.
Ihre Rolle ist verbittert, Sie selbst bezeichnen sich als Optimistin: Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um – sträubt sich da auch mal etwas in Ihnen?
Nein, denn das Schöne an diesem Beruf ist ja, dass ich nicht bin, was ich darstelle. Dadurch gibt es da so eine angenehme Distanz, die es ermöglicht, eine Figur zu erfinden, zu verstehen und zu dieser Person zu werden. Dabei helfen natürlich Äußerlichkeiten. Ich freue mich immer am meisten auf die Dreharbeiten, aber davor auch schon auf die erste Kostüm- und Maskenprobe, wenn überlegt wird: Wie sieht Rita aus? Was hat die für eine Haut? Was hat die für Haare? Wie ist sie, wenn sie traurig ist? Wie, wenn sie gestresst ist?
Das klingt nach einer richtigen Transformation …
Ja, wirklich. Der Punkt ist: Mir muss dabei nichts gefallen. Ich habe keine Beziehung zu den Klamotten von Rita, das würde ich alles nicht anziehen. Früher, in Zeiten von „Ladykracher“, waren auch mal fesche Teile dabei, die ich der Produktion abgekauft habe. Aber das ist nicht das Ziel. Ich freue mich, wenn die Kleidung dabei hilft, zu einer anderen Person zu werden.
Rita ist unglücklich, unternimmt aber auch nichts dagegen. Was denken Sie: Inwiefern ist Glücklichsein eine Entscheidung?
Na klar ist das eine Entscheidung, aber das Leben macht ja doch, was es will. Das sehen wir gerade in diesem Film. Was da passiert, ist ja nicht vorhersehbar und kündigt sich nicht an. Wir sind nicht die Bauherren unseres Lebens, wenn es um das Schicksal geht. Was wir aber in der Hand haben, ist unsere Haltung dem Leben gegenüber. Wenn die eigene Persönlichkeit und die eigene Disposition das zulassen, kann man mit so etwas wie Optimismus arbeiten. Es gibt aber immer mehr Menschen, die mit mentalen Problemen zu kämpfen haben, die sich allein gelassen oder einsam fühlen. Und wer sind wir dann, zu sagen: Versuch doch mal fröhlich zu sein, versuch doch mal, das Leben zu genießen.


Offenheit und Neugier lauten Anke Engelkes Grundpfeiler – ob am Set oder in ihrem Alltag. Die 59-Jährige ist überzeugt: Wir sollten einander öfter Komplimente machen.
© Getty ImagesBegreifen Sie Krisen auch mal als Chance?
Das wäre mir persönlich zu passiv und würde ja suggerieren, dass ich alles aus der Hand gebe. Ich plädiere eher dafür, achtsam zu sein und mit allem zu rechnen. Denn es passieren Dinge, die wir nicht prophezeien können. Aber wenn wir empathisch, zugewandt und nicht so festgelegt sind und nicht alles ablehnen, ergeben sich mehr schöne Dinge, glaube ich. Daher würde ich eher Überraschung als Chance definieren.
Wie haben Sie gelernt, an das Glück zu glauben?
Ich habe kein Rezept und auch keinen Plan, aber ich bin neugierig und offen. Vielleicht ist das schon alles. Ich bin ja auch keine Therapeutin oder Expertin. Wo ich vielleicht ein bisschen Vorsprung habe, ist im Beobachten von Menschen, weil das zu meinem Beruf gehört.
Auch für den aktuellen Film?
Ja, zur Vorbereitung habe ich mir zwei Paare in meinem erweiterten Bekanntenkreis näher angeschaut. Bei denen gab es einen Schicksalsschlag, der wie ein Wake-up-Call gewirkt hat. Das hat sie darauf hingewiesen, dass das Leben endlich ist. Dass wir keine zweite Chance haben. Je mehr wir uns das bewusst machen, desto mehr wissen wir das Leben vielleicht zu schätzen.
Zum Schluss stellt Hans fest: Er kann sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er Rita das letzte Mal gesagt hat, dass er sie liebt. Sollten wir nicht alle öfter unsere Zuneigung ausdrücken?
Ich fände das schön. Warum nicht häufiger mal in einer Beziehung oder Freundschaft oder auch am Arbeitsplatz anmerken: „Hey, ich finde das gerade ganz toll mit uns.“ Was hält uns davon ab, dem Gegenüber häufiger etwas Nettes zu sagen?
Viele kostet das tatsächlich Überwindung. Als ich Ihnen zu Beginn unseres Gesprächs ein Kompliment für Ihr Styling gemacht habe, habe ich mich direkt gefragt, ob das zu oberflächlich war.
Schauen Sie mal, in was für einer Zeit leben wir, dass wir hinterfragen, ob es okay ist, etwas Liebes zu sagen? Das dürfen wir gar nicht zulassen. Nicht als Menschen und nicht als Gesellschaft. Wie schön wäre es, wenn klar wäre: Hier bei uns ist man freundlich zueinander. Dann fallen die auf, die rumpöbeln, und nicht jene, die nett sind.
Was ist Ihre Love Language?
Ich bekoche Menschen gerne. Miteinander essen, ob das jetzt romantisch zu zweit oder mit der ganzen Familie ist – das macht mich glücklich.



