
Zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit: Patricia Aulitzky im WOMAN-Gespräch über ihre neue ORF-Serie, große Schicksalsschläge und das Schöne im Alltäglichen.
von
Ein tragisches Busunglück hinterlässt Spuren der Verwüstung – und zwei Frauen und ihre beiden Töchter mit der großen Frage: War das Leben, wie sie es kannten, bloß eine riesengroße Lüge? In der ORF-Serie „Hundertdreizehn“ (alle Folgen auf ORF ON zu sehen) wird anhand der Statistik aufgezeigt, wie viele Menschen direkt oder indirekt davon betroffen sind, wenn jemand tödlich verunglückt.
In einer der Hauptrollen zu sehen: die österreichische Schauspielerin Patricia Aulitzky, die als Caro Novak die emotionale Zerrissenheit einer starken Frau skizziert, deren Leben ganz plötzlich aus den Fugen gerät. Wie viel Persönliches sie in ihren Rollen verwebt und wie Patricia Aulitzky selbst versucht, Achtsamkeit in ihren Alltag zu integrieren – die 46-jährige Mimin im WOMAN-Gespräch.
Die Serie „Hundertdreizehn“ zeigt, wie viele Personen direkt oder indirekt betroffen sind, wenn jemand tödlich verunglückt. Was lernt man dabei über Solidarität?
Dass es einen stärker machen kann, wenn man zusammenhält. Der Partner von Caro Novak stirbt, und sie trägt sehr viel Schmerz, Trauer und Wut in sich. Doch erst durch andere lernt sie, sich zu öffnen und mit ihrem Schicksalsschlag umzugehen. Vielleicht ist das die Brücke zur Gesellschaft: Dass man, gerade, wenn es schlimm wird, versuchen könnte, sich nicht zu verschließen und nur für sich zu kämpfen, wie das so viele momentan machen. Sondern zu schauen: Wie können wir gemeinsam stärker werden? Hilfe anbieten, aber eben auch danach zu fragen.
Was ist für Sie persönlich leichter?
Anderen zu helfen, fällt mir leichter, als Hilfe anzunehmen.
Wie bereiten Sie sich als Schauspielerin auf so ambivalente Emotionen vor?
Es war ein extrem intensiver Dreh, aber auch ein wirklich schöner, weil wir mit Rick Ostermann einen ganz tollen Regisseur hatten. Die genauen Techniken würden jetzt den Rahmen sprengen, aber ich schaue immer, was ich Vergleichbares aus meinem Leben kenne. Und dann auch: Wo liegen die großen Unterschiede?
Im letzten WOMAN-Interview 2022 betonten Sie, gerne Figuren zu spielen, die Sie aus der Komfortzone holen. Inwiefern war das hier der Fall?
Caro Novak reagiert manchmal sehr harsch auf ihr Umfeld und auch auf ihre Tochter. Da ist das Kind oft ein bisschen erwachsener als die Mutter. Das ist mir teilweise schwergefallen, weil ich es persönlich – glaube oder hoffe ich – anders mache (ihr Sohn ist sechs Jahre alt, Anm.). Aber genau das ist so eine Grenze, wo es wahnsinnig spannend ist, zu sehen: Was macht das mit mir beziehungsweise mit meiner Rolle?


In „Hundertdreizehn“ werden Patricia Aulitzky (M.), Anna Schudt (l.) und Robert Stadlober (r.) mit den Folgen eines tödlichen Busunglücks konfrontiert.
© ARD / Degeto / Satel FilmIn der Serie geht es auch um Schuldgefühle …
Ja, das betrifft fast jede Figur, weil es sehr viele ungeklärte Fragen gibt. Aber darüber hinaus finde ich, dass sich Frauen generell oft viel zu viel mit Schuldgefühlen beschäftigen, die eigentlich gar nicht ihre sind.
Inwiefern?
Ich denke da zum Beispiel an Frauen, die ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie beim Kindergartenfest aufgrund ihres Jobs nicht die ganze Zeit dabei sein können oder keine 25 Muffins gebacken haben. Während es für viele Väter völlig normal ist, zu sagen: Sorry, ich kann da nicht, ich muss arbeiten. Punkt.
Ihr Sohn ist gerade in die Schule gekommen. Wie gehen Sie selbst mit Verfügbarkeiten um?
Ich versuche, mir kein schlechtes Gewissen mehr machen zu lassen. Ich arbeite wahnsinnig gerne, und ich bin auch wahnsinnig gerne bei meinem Kind. Dabei versuche ich jeweils beides zu hundert Prozent zu machen. Manchmal gelingt es besser, manchmal schlechter.
„Hundertdreizehn“ verdeutlicht, wie wenig wir das Leben in der Hand haben. Glauben Sie an das Schicksal?
Die Frage ist, was man überhaupt unter Schicksal versteht. Es sind diese vermeintlich kleinen Fragen, die eigentlich keine kleinen sind ... Ich würde sagen, ich glaube an Flow. An Zufälle. Ich denke, dass Dinge so passieren, wie sie passieren sollen. Und dass es auch ein bisschen darauf ankommt, worauf man seine Aufmerksamkeit richtet. Das passiert ja oft auch unbewusst. Aber wenn es um so einen Unfall geht – ob es Schicksal ist, dass sich dadurch die Familien kennenlernen, weiß ich nicht.
Es wird einem vor Augen geführt: Ein Sekundenbruchteil kann alles verändern. Sollten wir uns öfter mit dieser Zerbrechlichkeit konfrontieren?
Immer wieder. Aber nicht im negativen Sinne, sondern viel eher wertschätzend. Indem man die Schönheiten in Begegnungen und den kleinen Dingen wahrnimmt zum Beispiel. Zu sagen: Mir ist bewusst, dass das mein einziges Leben ist. Und sich dabei aber auch fragen: Wie will ich denn überhaupt leben? Es beginnt jetzt, egal, wie alt man ist. Dabei kommt einem beim Älterwerden zugute, dass man sich weniger scheißt.


Die Schauspielerin hinter den Kulissen: Beim Festival de Television de Monte-Carlo feierte die Serie im Juni seine internationale Premiere.
Nicht nur das Leben, auch unsere Umwelt, die Natur, ist zerbrechlich. Wann wurde Ihnen das zuletzt bewusst?
Ich war gerade fast einen Monat mit meinem Mann und meinem Sohn mit einem alten VW-Bus und Dachzelt in Rumänien und Bulgarien unterwegs. Und was einem beim Campen bewusst wird, ist, wie wenig man braucht und wie wertvoll Wasser als Ressource ist. Denn das Wasser dort konnten wir nicht trinken, also mussten wir gut damit haushalten. Das führt einem auch noch einmal vor Augen, was für ein Luxus eine warme Dusche ist. Gleichzeitig haben wir gesehen, wie viele Menschen mit ihrem Müll die Umwelt verschmutzen, obwohl sie angeben, Naturliebhaber zu sein. Da müsste Umweltschutz doch schon mal anfangen.
Machen Sie sich angesichts der Klimakrise Sorgen, in welcher Welt Ihr Sohn einmal leben wird?
Ja, aber mit Maß und Ziel, weil ich sonst angesichts der ganzen Kriege alle Zustände bekommen würde. Deshalb schaue ich auch, in welchen Dosen ich Nachrichten konsumiere. Also ich versuche eher, diese Ängste in eine produktive Energie zu lenken. Denn das Einzige, was man selber tun kann, ist, Nachhaltigkeit vorzuleben.
Die Klimaforscherin Kromp-Kolb sagte beim WOMAN ELEVATE Circle, Pessimismus sei keine Option, weil uns nur die Hoffnung motivieren könne, das Richtige zu tun. Worauf hoffen Sie?
Ja, super auf den Punkt gebracht. Ich hoffe, dass wir ein Gemeinschaftsgefühl dafür entwickeln, dass wir alle auf dieser einen Erde leben. Und uns fragen: Wie wollen wir das gestalten?



