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Mikrofeminismus: Kleine Gesten, große Wirkung

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Männerstatue mit Baby

Fürsorge soll auch Männersache sein – darauf wies am diesjährigen Vatertag die Kunstaktion des Grazer Frauenrats hin. Österreichweit wurden Männerstatuen Babypuppen umgeschnallt. Denn in der Realität übernehmen nur wenige: Lediglich 16 Prozent der Väter gehen in Väterkarenz. caringeconomy.jetzt

©Christopher Glanzl

Veränderung beginnt im Alltag, ist die Journalistin Evelyn Höllrigl Tschaikner überzeugt. In ihrem neuen Buch zeigt sie auf, welche Wirkmacht Mikrofeminismus hat.

Der Onkel macht bei der 90er-Feier einen Witz auf Kosten seiner Frau, die beste Freundin erzählt vom Meeting, in dem der Arbeitskollege ihre Ideen als seine eigenen verkauft hat. Und beim letzten Mailverlauf wurde die Assistentin des Chefs gleich ganz vergessen. Ups! Kann ja mal passieren. Oder auch einfach nicht. Denn kleine Ungerechtigkeiten sorgen dafür, dass sich auch im Großen nichts ändert. Sprich: Gleichberechtigung in weiter Ferne bleibt. Was dagegen hilft? Mikrofeminismus, ist die österreichische Journalistin und Autorin Evelyn Höllrigl Tschaikner überzeugt. Sie springt damit auf einen Trend auf, den die amerikanische Produzentin Ashley Chaney 2024 in einem TikTok-Video losgetreten hat.

„Denn so sehr wir über Fortschritte sprechen“, gibt Höllrigl Tschaikner zu bedenken, „so hartnäckig klammert sich die Realität an alten Mustern fest.“ In ihrem Buch „The Daily Feminist“ (Kösel Verlag, € 20,60) zeigt die Wahlwienerin auf, welche Wirkmacht kleine, entschlossene Gesten im Alltag haben können, und verspricht 199 konkrete Handlungstipps. In welchen Bereichen wir dagegenhalten können, anstatt weitere 200 Jahre auf echte Gleichberechtigung zu warten, und warum das so wichtig ist:

Raum einnehmen

In der U-Bahn, auf Fotos oder in Meetings: Frauen nehmen oft am Rand Platz, während Männer breitbeinig den Raum einnehmen. Ganz selbstverständlich. Körperlich, aber auch verbal. „In vielen Kulturen werden Frauen, Mädchen sowie weiblich gelesene Personen früh darauf geprägt, sich zurückzunehmen“, kennt Höllrigl Tschaikner die Hintergründe. Und zwar ganz beiläufig. „Das geschieht eingebettet in alltägliche Situationen, wenn Mädchen für ihr angepasstes Verhalten gelobt werden, in der Schule eher für Fleiß als für kluge Ideen Anerkennung erhalten oder ihre Hilfe im Haushalt als selbstverständlich gilt.“

Wie wir dieses Muster durchbrechen können? Die Beine in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht mehr übereinanderschlagen oder die Armlehne im Flugzeug oder der Bahn nutzen, ist ein Anfang. Und auch den Kopf auf Fotos nicht mehr zur Seite neigen, weil auch das mit Freundlichkeit und Nettsein assoziiert wird. Oft ist dieses Verhalten unterbewusst verankert. Höllrigl Tschaikner ermutigt: „Die Gewohnheit, sich zurückzunehmen, verpflichtet nicht dazu, es weiterhin zu tun.“

Narrative dekonstruieren

Anstrengend, zickig, sensibel: Äußern Frauen ihre Emotionen, kommt das nicht immer gut an, „obwohl sie in Beziehungen oftmals die emotionale Hauptlast tragen, zuhören, moderieren, deeskalieren“, zeigt Höllrigl Tschaikner auf. Für sie bedeutet Mikrofeminismus deshalb auch, nicht länger zu akzeptieren, dass Männer für klare Kommunikation gelobt werden, während Frauen für dasselbe Verhalten Kritik bekommen. Auch der Male Gaze bedient sich einer Doppelmoral. „Frauen werben halbnackt für Autos, Uhren oder Parfums, doch eine Frau, die sich bewusst sexy inszeniert, um ihre eigene Lust auszuleben? Vulgär!“

Es lohne sich deshalb immer, Erzählungen von der „verrückten Ex“ zu hinterfragen und Bezeichnungen wie „Schlampe“ oder „billig“ nicht unkommentiert zu lassen, sondern mit der Frage zu kontern: Würdest du das Gleiche auch über einen Mann sagen?

Komplimente geben

Und zwar für Charaktereigenschaften statt für Äußerlichkeiten. „Warum gehen wir überhaupt davon aus, dass sich ein Mädchen eher darüber freut, wenn es als schön denn als klug bezeichnet wird?“, fragt Höllrigl Tschaikner. „Oder dass ein Mann lieber für seine Cleverness als für sein Aussehen gelobt wird?“ Sie motiviert dazu, diese Angewohnheit einfach mal umzudrehen und im mikrofeministischen Sinne Männern Komplimente für ihr Outfit zu machen. Dabei stellt die Autorin klar, dass nicht schön sein zu wollen an sich das Problem sei, „sondern die Bedingungen, unter denen dieser Wunsch entsteht, und die Erwartung, dass Frauen immer attraktiv sein müssen – oft ausgerechnet von Männern, die selbst kaum diesen Ansprüchen genügen“.

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Evelyn Höllrigl Tschaikner

Es muss nicht jede:r großen Aktivismus betreiben, um sich feministisch zu engagieren, sagt Evelyn Höllrigl Tschaikner. Auf Instagram teilt sie unter @little.paper.plane ihre feministische Perspektive im Alltag und rund um das Thema Elternschaft.

 © Myriam Frank

Nein sagen

„Klingt banal, oder?“, räumt Höllrigl Tschaikner ein. Doch gerade hier lohnt es sich, genauer hinzusehen: „Studien zeigen, dass Frauen tatsächlich häufiger das Gefühl haben, ihr Nein rechtfertigen zu müssen.“ Das beginne bei harmlosen Anfragen und gehe bis in Bereiche wie Arbeitsverhandlungen oder sogar sexualisierte Gewalt.“ Bis ein Nein endlich tatsächlich Nein heißt, braucht es (Mikro)-Feminismus.

22 Ideen für Feminismus im Alltag

Warum noch auf Gleichberechtigung warten? Diese kleinen Gesten ermächtigen Frauen jeden Tag:

 

1. Frauen in E-Mails vor Männern anführen.

2. Sexistische oder misogyne Witze und Aussagen nicht unkommentiert lassen.

3. Den männlichen Erziehungsberechtigten als erste Ansprechperson im Kindergarten oder in der Schule angeben.

4. Literatur von Frauen lesen und verschenken.

5. Die männliche Stimme im Navi einstellen.

6. Zu erwachsenen Frauen nicht mehr Mädels sagen.

7. Sich als Frau in Meetings nicht selbstverständlich an den Rand setzen.

8. Männer fragen, ob sie Hilfe benötigen.

9. Grundsätzlich von der Vorgesetzten und der Ärztin sprechen.

10. Sich nicht rechtfertigen, wenn man kein Make-up trägt.

11. Kolleginnen oder Freundinnen, die unterbrochen werden, wieder ins Gespräch einbinden.

12. Männern Blumen schenken und ihnen die Tür aufhalten.

13. Mädchen für ihren Mut loben (statt für ihr Aussehen).

14. In Gesprächen automatisch davon ausgehen, dass der Mann den Haushalt macht.

15. Kleine Mädchen in der Bubenabteilung einkleiden – und umgekehrt.

16. Männerfußball sagen, solange von Frauenfußball die Rede ist.

17. Konsequent das generische Femininum anwenden.

18. Sich von Männern nicht (ungefragt) die Welt erklären lassen.

19. Den Zyklus als Teil des Alltags thematisieren – und damit die Tabuisierung der Menstruation durchbrechen.

20. Sich nicht unnötig entschuldigen.

21. Männern auf dem Gehweg nicht selbstverständlich ausweichen.

22. Gendern.

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