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Bulimie: Was genau verbirgt sich hinter der Ess-Brech-Sucht?

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Bulimie: Was genau verbirgt sich hinter der Ess-Brech-Sucht?

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In der Pubertät fällt es oftmals schwer, den eigenen Körper zu akzeptieren und sich nicht von aktuellen Schönheitsidealen beeinflussen zu lassen. Vor allem Frauen greifen aufgrund dessen zu unschönen Mitteln, um eine schlanke Figur beizubehalten. Dies kann in einer Essstörung wie Bulimie resultieren.

Die Ess-Brech-Sucht bildet die offiziell häufigste aller Essstörungen überhaupt. Betroffene sind dabei meist Frauen - insgesamt sollen 10% aller 15- bis 30-Jährigen an Bulimie leiden. Wir erklären, worum es sich dabei handelt, auf welche Symptome geachtet werden sollte und wie man gegen Bulimie vorgehen kann.

Wichtig: Solltest du in Österreich wohnen und Hilfe benötigen, kannst du dich von Montag bis Donnerstag, 12 bis 17 Uhr, unter 0800 20 11 20 (ausgenommen Feiertage) kostenlos und anonym beraten lassen. Du bist nicht allein!

Worum handelt es sich bei Bulimie?

Wer an Bulimie erkrankt ist, leidet an einer psychischen Störung, die für eine verzerrte Wahrnehmung sorgt: Obwohl ein Normal- wenn nicht sogar Untergewicht vorliegt, empfinden Betroffene ihre Figur als zu dick und ihr Gewicht zu hoch. Eine Panik vor dem Zunehmen entsteht. Die Ess-Brech-Sucht kommt selten allein vor, sondern wird zusätzlich von anderen Verhaltensstörungen wie ADHS, Sucht oder Angststörungen begleitet.

Übersetzt bedeutet "Bulimie" so viel wie Ochsenhunger - und das nicht umsonst: Im Gegensatz zu anderen Essstörungen, die man vielleicht eher mit Hungerstreiks & Co verbindet, treten bei der Ess-Brech-Sucht unkontrollierte Heißhungerattacken auf. Hierbei werden primär fett- und zuckerreiche Nahrungsmittel zu sich genommen, um kurze Zeit später wieder ausgebrochen zu brechen. Dies wird auch als "Purging-Typ" bezeichnet.

Eine Ess-Brech-Sucht tritt in den meisten Fällen erstmalig bei Teenagern auf, wobei der Höhepunkt zwischen 16 und 19 Jahren liegt. Leider kann nicht genau gesagt werden, wie viele Personen tatsächlich Bulimie haben: Es gibt eine extrem große Dunkelziffer, da die Krankheit von vielen verheimlicht wird. Besonders betroffen sind (weibliche) Leistungssportler:innen, bei denen das Körpergewicht eine große Rolle spielt. Innerhalb dieses Artikels wird es persönliche Einblicke von der heute 24-jährigen Anneke geben, die sich für ein Interview bereit erklärt hat und mit 17 Jahren an Bulimie litt - welche sie erfolgreich überwinden konnte.

Wo liegt der Unterschied zur Anorexie?

Ist vom Non-Purging-Typ die Rede, so bezieht sich dies auf den Gewichtsabbau durch Sport oder strikte Diäten. Obwohl dieser Typ oft mit der Ess-Brech-Sucht verbunden wird, sind dies vor allem Anzeichen einer Anorexie - das ist ein anderer Begriff für Magersucht. Das Ziel beider Essstörungen ist dasselbe: Man möchte dünn bleiben. Im Gegensatz zur Bulimie gibt es bei der Anorexie keine Essanfälle und anschließendes Erbrechen.

Stattdessen liegt der Fokus auf einer Ernährung ohne Zucker, Fett und Kohlenhydrate. Wenn überhaupt, wird kalorienarmes Obst und Gemüse zu sich genommen. Tatsächlich kann es durchaus sein, dass eine Magersucht in Bulimie übergeht und andersherum! Ebenso existieren Mischformen verschiedener Essstörungen.

Gibt es bestimmte Auslöser oder Ursachen?

Es ist schwierig, zu sagen, dass eine Essstörung - egal welche es letztendlich ist - an einer bestimmten Sache liegt. Meist kommen viele verschiedene Faktoren zusammen, die letztendlich die Ursache bilden. Ein paar Beispiele: Ist von biologischen und körperlichen Faktoren die Rede, so bezieht sich dies auf eine genetische Veranlagung oder eine Beeinträchtigungen des Gehirnstoffwechsels in Bezug auf Hunger und Sättigung. Ebenso können Diäten oder - beispielsweise über Social Media verbreitete - Schönheitsideale eine Bulimie verursachen. Letztere zeigen vor allem in westlichen Industrieländern einen schlanken Körper.

Sollten ein übermäßiger Leistungsdruck, fehlende Anerkennung, belastende Lebensereignisse oder Depressionen bestehen, kann auch dies eine Ess-Brech-Sucht begünstigen. "Ich habe früh eine Depression sowie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Durch diese Erkrankungen hatte ich oft das Gefühl von Kontrollverlust - so bin ich vor der Bulimie bereits in die Magersucht gefallen", erklärt mir Anneke.

Was sind Symptome, an denen man die Essstörung erkennt?

Allgemein wird bei Essstörungen von vier Phasen gesprochen: Zuerst kommt die Präkontemplation (Verleugnung), daraufhin die Kontemplation (Erkennen), gefolgt von einer Aktion mit Änderung und letztendlich einer Stabilisierungsphase. Um die zweite Phase so schnell wie möglich zu erreichen, sollten die gängigsten Symptome bekannt sein:

  • Permanenter Gedanke an Essen und Heißhungerattacken

  • Äußerungen, zu dick zu sein, ohne Übergewicht aufzuweisen

  • Leichtes Untergewicht

  • Auffällige Nutzung von Maßbändern und Waagen

  • Erbrechen nach dem Essen

  • Ansicht, Selbstbewusstsein oder Schönheit von der Konfektionsgröße abhängig zu machen

Ein sehr bekanntes und aussagekräftiges Indiz sind die sogenannten "Hamsterbäckchen" - diese entstehen, indem sich die Ohrspeicheldrüsen durch das ständige Erbrechen entzünden und anschwellen. Bitte denkt dennoch daran, dass dies Symptome sein können, aber nie müssen. Auch kann es vorkommen, dass über lange Zeit hinweg keine Auffälligkeiten bestehen, die Essstörung später allerdings wiederkommt. Anneke spricht von einem Teufelskreis: "Durch mein restriktives Essverhalten habe ich Fressanfälle entwickelt, welche ich dann wieder überkompensieren wollte. Ich dachte früher immer, dass mir so etwas niemals passieren könnte."

Kann Bulimie offiziell diagnostiziert werden?

Kurze Antwort: Ja! Lange Antwort: Um eine endgültige Diagnose stellen zu können, müssen die Essattacken über einen Zeitraum von drei Monaten - dabei mindestens zweimal pro Woche - konstant auftreten. Im Anschluss werden andere potentielle Erkrankungen und Ursachen ausgeschlossen.

Zu den gängigen Untersuchungen gehören ein Ultraschall des Bauches, Laboruntersuchungen zu Elektrolyten sowie Nieren- und Leberwerten, Urinproben, neurologische Tests und die Kontrolle einer altersgemäßen Entwicklung. Erst dann darf eine finale Aussage über das Bestehen einer Bulimie geäußert werden.

Welche psychischen und physischen Folgen bringt Bulimie mit sich?

Bulimie sollte, so wie jede andere Essstörungen auch, nie unterschätzt werden. Im schlimmsten Fall kann es zum Tod kommen - sei es durch Auswirkungen der Krankheit oder Suizid. Menschen mit einer Ess-Brech-Sucht haben im Vergleich zu gesunden Personen ein 7-fach höheres Risiko, sich das Leben zu nehmen. Diese Folgen können eintreten:

  • Mangelerscheinungen durch unausgewogene Ernährung

  • Zahnschäden durch ständigen Kontakt mit Magensäure

  • Entzündungen in der Speiseröhre sowie Magen- und Speiseröhrenrisse

  • Sodbrennen

  • Stimmungsschwankungen

  • Sozialer Rückzug, Einsamkeit und Depressionen

  • Störungen des Verdauungssystems wie Durchfälle und schwere Verstopfungen

  • Magenblutungen

  • Vitaminmangel

  • Menstruation bleibt aus

  • Herzrhythmusstörungen und Nierenschäden durch den Verlust von Elektrolyten

  • Flüssigkeitsansammlung im Gehirn (Gehirnödem)

  • Schlaf- und Kreislaufstörungen

  • Knochenschwund (Osteoporose)

Viele dieser Folgen können selbst nach einer erfolgreichen Therapie und Bewältigung der Krankheit auf Dauer bestehen bleiben oder erst danach auftreten.

Wie können Freund:innen und Familienmitglieder Unterstützung leisten?

Kommunikation ist, so wie oft, das A und O. Allein Zuhören reicht aus - auch wenn das Thema immer und immer wieder dasselbe ist. Es steht nun einmal im Lebensmittelpunkt. "Ich glaube, als Außenstehende:r ohne eigene Erfahrungswerte ist es notwendig, zu verstehen, dass man die Gefühle und Probleme der betroffenen Person nicht nachvollziehen kann ... und das ist auch absolut in Ordnung so." Um trotzdem zu helfen, muss sich Basiswissen angeeignet, Raum und Zeit gegeben sowie primär keine Schuld zugewiesen werden.

Mehr als eine Mischung aus Verständnis, Unterstützung und feinfühligem Fördern braucht es rein theoretisch nicht. Dazu gehört auch, eine Absage für das eigentlich geplante Treffen zu akzeptieren. Versucht, so gut wie möglich für eure Liebsten da zu sein. Diesen fällt es eventuell sehr schwer, sich zu öffnen. Anneke vertraut mir an, sich anfangs ebenfalls für ihr Verhalten geschämt zu haben: "Erst als ich erkannt habe, dass mein Problem eine ernstzunehmende Krankheit ist - die mein gesamtes Leben einnimmt - konnte ich nach der Hilfe fragen, die ich brauchte."

... und wie kann ich mich selbst als Betroffene:r bestärken?

Obwohl Anneke ihre Ess-Brech-Sucht mittlerweile überwunden hat, kommen in Stresssituationen alte, zwanghafte Gedanken auf. Ist dies der Fall, praktiziert sie Selbstfürsorge, macht Spaziergänge und versucht, sich allgemein nicht zu überladen: "Mir hat es geholfen, jeden Tag laut zu sagen, dass ich mich erneut gegen die krankhaften Zwänge stellen werde. Das hieß konkret Nährwertangaben auf Lebensmitteln zu ignorieren und sie anfangs auch überkleben zu lassen."

Sie fügt hinzu: "Außerdem habe ich Beiträge mit Triggerwarnungen direkt weggeklickt und meinen Feed auf den sozialen Netzwerken verändert. Jegliche Apps, die negative Gedanken in mir auslösen könnten, habe ich strikt von meinem Handy verbannt."

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für Bulimie?

Um der Bulimie den Kampf anzusagen, werden verschiedene Therapien herangezogen: Bei einer Verhaltenstheorie mit Situationsanalyse können Auslöser oder Trigger für das jeweilige Verhalten bestimmt, Handlungsalternativen gesucht und letztendlich in der klinisch-psychologischen Therapiestunde reflektiert werden. Hierbei sollen die Betroffenen soziale Kompetenzen trainieren, einen Rückfall verhindern und den Teufelskreis durchbrechen.

Die Psychoedukation kann Bulimiker:innen dabei helfen, die Krankheit zu verstehen. In einer Ernährungsberatung wird beispielsweise über gesunde Ernährung, richtige Zubereitung von Lebensmitteln und Einkaufstipps gesprochen. Medikamente werden vergleichsweise selten eingesetzt. Im Fall der Fälle wird der Wirkstoff Fluoxetin genutzt, welcher depressive Stimmungen und die typischen unkontrollierten Verhaltensweisen bei Bulimie reduziert.

Auch hier können Freunde und Familie einem wieder an der Seite stehen und Support leisten: "Da der Weg bis zum Therapiestart häufig sehr ermüdend ist, kann man die betroffene Person unterstützen, indem man gemeinsam nach möglichen Therapieplätzen sucht und zusammen den Erstkontakt - zum Beispiel per E-Mail - herstellt", so Anneke.

Wo kann man eine solche Behandlung machen?

Die aufgezählten Möglichkeiten können von verschiedenen Personen sowie Kliniken - darunter niedergelassenen Fachärzt:innen für (Kinder- und Jugend-)Psychiatrie, Spezialambulanzen für die Behandlung von Essstörungen und Psychotherapeut:innen und Ärzt:innen mit Weiterbildung in psychotherapeutischer Medizin - durchgeführt werden. In Österreich werden alle notwendigen und zweckmäßigen Diagnose- und Therapiemaßnahmen vom zuständigen Sozialversicherungsträger übernommen! Insgesamt wird zwischen drei Behandlungsvarianten unterschieden.

Bei einer stationären Behandlung wird von einem Notfall in Lebensgefahr ausgegangen, welcher für eine (un-)bestimmte Zeit in einer Klinik beobachtet wird. Je nach Krankheitsbild kann die Therapiedauer zwischen drei Wochen und mehreren Monaten variieren. Eine ambulante Behandlung wird mithilfe externer Therapiesitzungen durchgeführt, wobei die Betroffenen weiterhin zu Hause wohnen. Liegt eine teilstationäre Behandlung vor, verbringen Patient:innen die Wochentage in Tageskliniken, dürfen allerdings für die Nächte und Wochenenden nach Hause - ein Mix aus den anderen beiden Varianten.

"An den Therapieplatz bin ich damals durch meine Hausärztin gekommen, welche als erste erwachsene Person meine Probleme ernst genommen hat. Ich war eigentlich wegen einer Erkältung bei ihr, als sie mich gefragt hat, ob sonst alles okay ist. Nach der Frage bin ich in Tränen ausgebrochen und habe ihr alles erzählt. Sie hat dann direkt bei einer Praxis angerufen und einen Termin für mich vereinbart" - Annekes Erfahrung zeigt erneut, wie wichtig Aufmerksamkeit und Interesse sind. Fragt eure Liebsten, wie es ihnen geht. Ruft an - am besten noch heute.

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