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Gender Medizin: Darum ist eine geschlechtersensible Medizin wichtig

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Gendermedizin: Darum ist eine geschlechtersensible Medizin wichtig

©Elke Mayr
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Frauen sind anders krank. Sie leiden stärker unter Autoimmunerkrankungen, ihr Herz reagiert bei einem Infarkt anders und sie leiden öfter an Nebenwirkungen von Medikamenten als Männer. Gender Medizin denkt Geschlecht immer mit.

Wusstest du, dass Frauen in Österreich im Schnitt 19 % weniger verdienen als Männer? Es gibt weniger Frauen in Führungspositionen, obwohl sie einen höheren Bildungsabschluss haben. Auch in der Medizin werden Frauen benachteiligt. Denn ein und die selbe Krankheit erleben Männer und Frauen sehr unterschiedlich.

Der Herzinfarkt bei Frauen wird oftmals später entdeckt und somit auch später behandelt. Medikamente, die beiden Geschlechtern verschrieben werden, wirken im weiblichen Körper anders. Bei Männern hingegen werden oft Depressionen oder Angststörungen weniger wahrgenommen. Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer wurde in der Kategorie "Gendermedizin" mit dem Wiener Frauenpreis 2021 ausgezeichnet und hat einige unserer Fragen beantwortet. Aber zunächst müssen wir klären ...

Was ist Gender Medizin?

Männer und Frauen unterscheiden sich in ihren gesundheitlichen Problemen. Gender Medizin ist eine Medizin, die Geschlecht immer mitdenkt. Bei bestimmten Erkrankungen haben Frauen einen Nachteil in unserem Gesundheitssystem, da es an Forschung fehlt. Gender Medizin ist ein neuer Weg, um auf die physiologischen und pathophysiologischen Unterschiede von Männern und Frauen zu achten. Es geht darum, wie sich Krankheiten bei Männern und Frauen unterscheiden, um sinnvoll vorbeugen zu können, klinische Zeichen zu erkennen, Therapien anzupassen und die richtigen Prognosen zu stellen.

Darum ist es nötig, dass Geschlechter anders medizinisch behandelt werden

Wenn Ärzt:innen bei ihren Patient:innen nicht auf das Geschlecht achten, kann das gefährliche Folgen haben. Wir haben bei unserer Expertin Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medicine und Fachärztin für Innere Medizin nachgefragt. Sie sagt: "Männer und Frauen unterscheiden sich biologisch aufgrund der unterschiedlichen Geschlechtschromosomen und der alters-abhängigen jeweils dominierenden Sexualhormone, sowie aufgrund unterschiedlicher psychosozialer Faktoren, wie Geschlechter-Unterschiede in Rollenbildern, des Verhaltens und Lebensstils, Bildung, Sozialstatus, kultureller Einflüsse."

Zusätzlich spielen geschlechterabhängige Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Verhalten und der Regulierung von Genaktivitäten eine wichtige Rolle ("Epigenetik"). Bereits im Mutterleib wird so das Risiko für bestimmte Gesundheitsprobleme im späteren Leben in Abhängigkeit vom Geschlecht des Kindes beeinflusst. Das alles bedingt Unterschiede zwischen Buben und Mädchen und Männern und Frauen in Krankheitsrisiken, Risikofaktoren für und Ausprägung von Krankheiten, der Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe und im Ansprechen auf Therapien und somit auf die Diagnose und den Verlauf von Krankheiten.

Die Forschung ist am Mann ausgerichtet - darum brauchen wir Gender Medizin

In vielen Fällen müssten Frauen anders behandelt werden als Männer, da Medikamente bei ihnen länger im Körper bleiben, anders abgebaut werden und sogar anders wirken können. Frauen leiden öfter als Männer an Nebenwirkungen von Medikamenten. Trotzdem werden ihnen die gleichen und oft zu hoch dosierten Medikamente verschrieben. Die Ignoranz der Medizin gegenüber dem weiblichen Körper muss aufhören. Einige Gender-Mediziner:innen fordern inzwischen, dass die Pharmaindustrie blaue Tabletten für Männer und »leichtere« rosafarbene für Frauen produzieren solle (Quelle: aerztinnenbund.de)

Die Forschung ist am Mann ausgerichtet.

Der weibliche Körper hat beispielsweise eine andere Hormonausstattung, da Frauen eine Gebärmutter haben. Dir ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass es zahlreiche Verhütungsmittel für Frauen gibt und nur wenige für den Mann. Hormone bringen den weiblichen Körper durcheinander, wenn sich die Periode verschiebt oder PMS für Schmerzen und psychische Beschwerden sorgt. Die Einnahme weiterer Hormone durch Verhütungsmittel wie die Pille, bringt noch mehr Chaos in den Hormonhaushalt. Momentan existiert noch keine Pille für den Mann auf dem Markt. Wieso kann in der Forschung nicht mehr dafür getan werden?

Frauen sterben häufiger an einem Herzinfarkt - aber warum?

Frauen kommen mit einem Herzinfarkt in Schnitt erst zwei Stunden später als Männer in die Notaufnahme - und hier zählt jede Minute. Sie zeigen andere Symptome und der Herzinfarkt wird häufiger nicht erkannt. Die Symptome bei Frauen sind subtiler und lassen sich deshalb schlechter erkennen. Dazu zählen Unwohlsein im Magen, Nacken, im Kiefer oder dem Rücken und Kurzatmigkeit – allesamt unspezifische Symptome, die auf verschiedene Erkrankungen hindeuten können. Oftmals werden auch hier die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau ignoriert. (Quelle: Deutsches Ärzteblatt, 2020)

Herzinfarkte sind nur ein Beispiel von vielen, bei denen Frauen medizinisch benachteiligt sind, weil die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau oftmals ignoriert werden.

Warum werden Frauen in der medizinischen Forschung benachteiligt?

Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer erklärt, dass historisch gesehen Frauengesundheit auf die Geschlechtsorgane und Fortpflanzung reduziert war.

"Erst um 1980 wurde klar, dass Frauen beispielsweise bei Herzinfarkten Nachteile haben, da Herzkrankheiten bei Ihnen oft nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt wurden und immer noch werden. Das liegt daran, dass SIE oft andere Symptome hat, die gängigen Diagnosemethoden weniger sensitiv sind und IHR Risiko als geringer eingeschätzt wird. Außerdem leiden Frauen nach wie vor deutlich öfter unter ungünstigen Nebenwirkungen bei Medikamenteneinnahme. Um klare Empfehlungen formulieren zu können müssen allerdings große Datensätze zu spezifischen Fragestellungen für Frauen analysiert werden können. Dazu müssten ausreichend Frauen in den Studien eingeschlossen werden, was in der Vergangenheit nicht und jetzt meist noch unzureichend zutrifft. Außerdem muss auch das Alter und bei Frauen der Menopausen-Status berücksichtigt werden. Da nicht alle früheren Studien für alle Krankheiten für Frauen repliziert werden können, muss zumindest bei aktuellen Studien geschlechtsspezifisch untersucht werden, damit der Gender-Wissens-Gap in der Zukunft nicht noch weiter zunimmt", so Dr. Kautzky-Willer.

Was muss noch alles passieren, um die Sensibilität für geschlechts-, Gender- und Diversitäts-spezifische Phänomene sowie für Diversität in der Medizin zu erhöhen?

Expertin Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer erklärt: "Es muss das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Gendermedizin weiter gestärkt werden, bei Forscher:innen, Ärzt:innen, allen Gesundheitsberufen und in der Bevölkerung; und in der Politik, damit auch Forschungsförderung in diesem Bereich gestärkt wird."

Außerdem muss Gendermedizin im Medizinstudium und in der Weiterbildung unterrichtet werden. Und es braucht Gesundheitszentren, die speziell auf die Gesundheitsförderung und Behandlung von Frauen spezialisiert sind, so wie das lapura women's health resort, das in Kooperation mit der MedUniWien auf Basis der Gendermedizin spezifische Behandlungen v.a. im Bereich der Prävention anbietet.

Frauengesundheit

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