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Frauensolidarität fängt nicht beim Gehaltszettel an

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Shoura Zehetner-Hashemi, Geschäftsführerin Amnesty International Österreich

©Harald Wandl / Amnesty International
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Ein Gastkommentar von Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, über Lebensrealitäten von Frauen, die in Armut leben; den Sozialstaat, dessen letztes Auffangnetz besonders für Frauen ziemlich löchrig ist, und Solidarität mit Frauen, die „anders“ leben als wir.

Vor einiger Zeit war ich das erste Mal beim WOMAN Elevate Circle eingeladen. Eine hochkarätige Veranstaltung mit Teilnehmerinnen aus Medien, Kultur, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, bei der es um gelebte Frauen-Power, Networking und gegenseitige Unterstützung von Frauen geht. Ich war beeindruckt: In einer Welt, die immer noch von Diskriminierung und Männerdominanz geprägt ist, ist die Solidarität unter Frauen belebend und ermutigend.

Ich komme aber nicht umhin mich zu fragen: Gilt diese Solidarität allen Frauen? Zeigen wir auch jenen gegenüber ausreichend Verständnis, die sich in völlig anderen Lebensrealitäten als wir selbst befinden? Konkret: Können Frauen, die von Armut betroffen sind, ebenfalls auf ein entsprechendes Netzwerk zählen? Ich glaube an die starke Gemeinschaft unter uns Frauen, und genau aus diesem Grund stelle ich – bewusst provokant - den Gedanken in den Raum: Wie können wir Solidarität abseits von Gehaltszetteln besser leben?

Weibliche Armut ist versteckt

Armut in Österreich existiert, und sie ist weiblich. Weltweit wie auch in Österreich sind Frauen überproportional von Armut betroffen. Sich am Ende des Monats zu entscheiden, ob eine warme Mahlzeit gekocht werden oder besser der Schulausflug der Kinder gezahlt werden soll, ist die Lebensrealität vieler Frauen, auch hierzulande. Beinahe jede fünfte Frau über 18 ist armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Und die Hälfte jener, die Sozialhilfe beziehen, ist weiblich.

Weibliche Armut ist oft versteckt, unsichtbar. Sie geht einher mit Scham, Stigmatisierung und sozialer Ausgrenzung. Hört hier möglicherweise die Solidarität auf, die wir doch eigentlich leben wollen? Denn bei all den großartigen Netzwerken, die wir haben, dürfen wir nicht vergessen, wer aus diesen Räumen ausgeschlossen bleibt. Und wir müssen uns der Frage stellen: Wie können wir unserem Anspruch, Solidarität unter Frauen zu leben, tatsächlich gerecht werden?

Sozialhilfe als löchriges Auffangnetz

In unserem Alltag können wir Armut und Menschen, die davon betroffen sind, oft nicht einordnen. Wir sind zurecht stolz auf unseren Sozialstaat und versuchen jene zu unterstützen, die in einer Notlage sind. Gleichzeitig herrschen Narrative wie „Sozialschmarotzer:innen“ und „soziale Hängematte“ im Kopf, die leider viel zu selten hinterfragt oder denen öffentlich widersprochen wird. So auch gerade eben in der Diskussion rund um eine Familie, die aufgrund ihrer Größe entsprechend viel Unterstützungsleistungen erhält. Statt sich den Einzelfall anzusehen – und ihn in Relation zu setzen – befeuern Politiker:innen und Medien das Bild, dass Bezieher:innen von Sozialhilfe nicht arbeiten wollen oder den Sozialstaat ausnützen. Fakt ist jedoch: Rund die Hälfte der Menschen, die Sozialhilfe empfangen, können gar nicht arbeiten gehen, weil sie alt oder krank sind oder Betreuungspflichten haben.

Fakt ist auch: Die Sozialhilfe ist das letzte soziale Auffangnetz – um jedem Menschen ein Leben in Würde und sozialer Teilhabe zu ermöglichen; ein Menschenrecht, zu dem sich Österreich verpflichtet hat. Doch dieses Netz ist löchrig, die Hürden im Zugang sind enorm – und besonders für Frauen oft schwierig bis teils unmöglich zu stemmen. Einfach weil sie beispielsweise Kinder zu betreuen haben. Die täglichen Herausforderungen sind immens, nicht nur im Alltag von Armutsbetroffenen, sondern auch im Umgang mit Behörden und in der Inanspruchnahme ihrer Rechte und Ansprüche. Doch anstatt die Sozialhilfe zugänglicher zu machen, die Hürden zu beseitigen und die Frauen zu unterstützen, wird regelmäßig von Seiten der Politik über Verschärfungen und Verschlechterungen nachgedacht.

Solidarität muss weiter gehen

Und unsere Solidarität? Unser Aufschrei im Diskurs? Nicht zu hören. Wir haben mit betroffenen Frauen gesprochen. Wir haben ihre Geschichten gehört, die Hürden, die sie täglich in der Bewältigung ihres Alltags erfahren. Und nicht eine einzige Frau, die von Armut betroffen war, hat erzählt, dass sie sich auf ein Netzwerk unter Frauen verlassen konnte und sich jemand solidarisch gezeigt hätte.

Frauen, die Sozialhilfe in Anspruch nehmen, sind weder Bittstellerinnen noch Sozialschmarotzerinnen. Sie sind weder zu bemitleiden noch zu kritisieren. Sie sind Frauen – aus unserer Gemeinschaft – die sich in einer Lebenssituation befinden, die sie sich nicht ausgesucht haben, die sie aber bewältigen. Sie brauchen keine Almosen, keine wohltätigen Spenden oder Hilfsangebote. Sie haben Rechte, die sie in Anspruch nehmen wollen. Und sie brauchen unsere Solidarität. Solidarität, die weiter geht. Zwischen Frauen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten. Denn es geht um Würde. Es geht um Menschenrechte

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