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Mein Darm, eine Diva

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Aktualisiert
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7 min
eine Frau mit einem Glas Wasser in der Hand, die ihre Hand auf ihrem Bauch liegen hat

©Stocksy

Er spürt jedes Ungleichgewicht, jede Laune, jeden Bissen, der ihm nicht passt - und reagiert prompt. Was der weibliche Darm braucht, um gesund zu bleiben.

Grummeln, Ziehen, Krämpfe, Rumoren – kaum eine Frau, die Beschwerden dieser Art nicht kennt. „Wenn der Darm rebelliert, ist das Alltag für Frauen. Sie leiden doppelt so häufig wie Männer an Darmproblemen“, erklärt Julia Seiderer-Nack, Fachärztin für Innere Medizin. In München leitet sie eine Privatpraxis für ganzheitliche Medizin mit Schwerpunkten zu Darmgesundheit, Ernährung und Mikrobiom. Aus ihrer langjährigen Erfahrung weiß sie, wie groß die Wissenslücke beim Verständnis von weiblichen Darmerkrankungen ist: „Mehr als zwei von drei Reizdarm-Patienten sind weiblich. Und Darmbeschwerden sind bei Erkrankungen wie Endometriose (Anm: gutartige Wucherungen der Gebärmutterschleimhaut) oder PCOS (Anm.: Polyzystisches Ovarialsyndrom, häufigste Hormonstörung bei Frauen im gebärfähigen Alter) deutlich häufiger. Wir tun aber weiterhin so, als gäbe es keinen Unterschied. Darmprobleme sind nun mal Frauenprobleme.“

Zwischenüberschrift

Was tun? Es wird Zeit, genauer hinzusehen. Denn auch wenn der Magen-Darm-Trakt bei Frauen rein anatomisch gleich aufgebaut ist wie bei Männern, gibt es bedeutsame Unterschiede, wie Expertin Seiderer-Nack in ihrem Ratgeber „Frauen haben anders Darm“ (GU Verlag) betont. So etwa müssen sich Frauendärme das Becken mit den Fortpflanzungsorganen teilen und sind dadurch eingeschränkter in ihrer Beweglichkeit. Der Darm ist bei Frauen zudem meist etwas länger und arbeitet langsamer als bei Männern. Der Nahrungsbrei liegt also länger in den Darmschlingen, und es finden mehr Gärungsprozesse statt: Frauen sind deutlich anfälliger für Verdauungsbeschwerden wie Verstopfung oder Blähungen.

Es beginnt jedoch schon „weiter oben“: Frauen erhalten auch öfter die Diagnose „Reizmagen“ – sie bilden weniger Magensäure als Männer, und der Magen entleert sich langsamer. Die Folge: mehr Völlegefühl, Magendruck und Blähungen. Ebenfalls lange unterschätzt: Anders als bei Männern steht der weibliche Darm den größten Teil seines Lebens unter dem Einfluss von weiblichen Sexualhormonen. Wenn etwa nach dem Eisprung der Progesteronspiegel stark ansteigt, entspannt sich die Darmmuskulatur, und für viele Frauen beginnt nun die Phase von Verstopfung und Völlegefühl.

Mikrobiom und Immunsystem

Auch die Bakterienmischung im Darm ist bei Frauen anders zusammengesetzt – mit erheblichen Auswirkungen auf die Hormonbalance: Das Mikrobiom ändert sich nach der Pubertät und dann wieder in den Wechseljahren. Die Artenvielfalt nimmt im Klimakterium ab und verschiebt sich zugunsten der „Dickmacher-Bakterien“. Damit ändern sich Stoffwechselprozesse und Immunabwehrmechanismen. „Es ist gut belegt, dass das Immunsystem von Frauen anders tickt“, erklärt Seiderer-Nack. Es zeigt beim Kontakt mit Erregern stärkere Abwehrreaktionen, was zwar bei Infektionskrankheiten ein Vorteil ist (Stichwort „Männerschnupfen“), gleichzeitig aber die Fehleranfälligkeit im Abwehrsystem erhöht. Nach einem Magen-Darm-Infekt entwickeln Frauen daher häufiger einen Reizdarm, und auch bei Autoimmunerkrankungen und Allergien liegen Frauen signifikant in Führung.

Die Psyche hat einen großen Einfluss auf den Körper. Bei Verstopfung hilft emotionales Loslassen.

Michaela Lungu

Henne oder Ei?

Stress kann Auslöser oder Verschlimmerungsfaktor für das Reizdarmsyndrom sein. Die enge Verbindung zwischen Gehirn und Darm, die sogenannte Darm-Hirn-Achse, spielt hier eine wichtige Rolle. Die Frage ist: Wer war zuerst da – die psychische Belastung oder die Darmprobleme? Durch die vermehrte Ausschüttung von Stresshormonen verändert sich das Darmnervensystem: Der Darm wird empfindlicher, das Reizdarmrisiko steigt. „Dieses Modell eignet sich gut als schnelle Erklärung, warum Darmprobleme naturgemäß Frauenprobleme sind – Stress und Psyche und so“, meint Expertin Seiderer-Nack. Sie schlägt vor, die Blickrichtung mal zu drehen: Vielleicht führen ja auch die Veränderungen im Darm selbst zu psychischen Belastungen, nach dem Motto: erst Reizdarm, dann Depression?

Was hilft

Wie wichtig Entspannung bei Darmproblemen ist, weiß auch Michaela Lungu, integrative Ernährungscoachin im Wiener Youthclub. Ihre drei wichtigsten Tipps:

  1. Der Abend davor entscheidet, wie man sich am nächsten Morgen fühlt. Das heißt: Kein Handy oder Tablet (wenn dann nur mit Blaulichtfilter!) zwei Stunden vor dem Schlafengehen, sodass der Körper ausreichend Melatonin für einen erholsamen Schlaf (wichtig für die Entgiftung des Körpers!) produzieren kann.

  2. Kein Kaffee auf leeren Magen! Lungu: „Das wäre Stress zu noch mehr Stress, da die Kortisolkurve morgens ohnedies schon stark erhöht ist.“ Besser: Vor der ersten Tasse ausgiebig frühstücken! Wer den Kaffeereiz braucht, um auf die Toilette zu gehen, sollte besser auf ballaststoffreiche Ernährung setzen und viel trinken, um die Verdauung anzukurbeln.

  3. Eiweißreich frühstücken! „Süßhunger“ in der Früh könne auch mit griechischem Joghurt, angereichert mit etwas Protein- oder Kollagenpulver und Früchten, gestillt werden.

„Wer nur diese drei Tipps befolgt, tut für seinen Darm schon viel Gutes“, ist Lungu überzeugt. Sie selbst litt ein Jahr lang unter chronischer Verstopfung. Sie habe alles versucht, konnte das Problem letztlich aber auf emotionaler Ebene lösen: „Man hält manchmal fest an Dingen, die einem nicht mehr guttun. Dann verkrampft der Körper.“ Erst als sie seelischen Ballast loslassen konnte, kam auch die Verdauung wieder in Schwung.

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