
"Mich haut so schnell nichts um", sagt die Trägerin des Deutschen Buchpreises Martina Hefter. Als Kind wollte sie Schlagersängerin werden, dann begann sie mit der Kunst. Heute arbeitet sie als Autorin und Performerin und pflegt ihren erkrankten Ehemann.
Leipzig, es ist neun Uhr früh. "Guten Morgen, hier ist Martina Hefter", begrüßt mich eine freundliche Stimme am anderen Ende der Telefonleitung. Die deutsche Schriftstellerin ist bestens gelaunt, schließlich hat sie auch allen Grund dazu. Vor Kurzem hat sie den Deutschen Buchpreis für ihren Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" bekommen – 2024 schon der dritte Preis, den Martina Hefter für ihre literarische Arbeit erhalten hat. Was für ein Jahr aber auch! "Eigentlich hatte ich gar keine Zeit, mich damit auseinanderzusetzen. Die Aufregung konnte ich nicht an mich ranlassen, weil ich mit einer Theaterproduktion beschäftigt war", erzählt uns Hefter, die neben dem Schreiben auch noch als Performerin arbeitet.
Mit ihrem an Multipler Sklerose erkrankten Mann, dem Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, lebt die Künstlerin nun schon seit 30 Jahren in Leipzig. Auch in ihrem preisgekrönten Roman kümmert sich die Protagonistin Juno um ihren kranken Schriftsteller-Partner Jupiter, sie schwebt zwischen zwei Welten: untertags Krankenschwester, in der Nacht taucht sie ins Internet ab, um mit Love-Scammern zu chatten. Also Internetbetrügern, die mittels Fake-Profilen Kontakt zu Liebessuchenden aufnehmen und diese finanziell ausbeuten wollen. Juno lässt sich auf einen Liebesschwindler aus Nigeria ein, versteckt aber ihre wahre Identität. Wer betrügt hier wen? Ein klug choreografiertes Buch, das eine "ganz eigene Anziehungskraft ausübt", heißt es in der Begründung der Buchpreis-Jury.
Die Geschichte verbinde "auf faszinierende Weise den zermürbenden Alltag mit mythologischen Figuren und kosmischen Dimensionen, navigiert zwischen Melancholie und Euphorie, reflektiert über Vertrauen und Täuschung." Hefter thematisiert die große Erschöpfung pflegender Angehöriger. Viele ihrer Leser:innen, denen es ähnlich geht, fühlen sich dadurch gesehen und melden sich bei ihr. "Das freut mich, wenn ich durch meine Arbeit eine Art Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen stärken kann. Ich finde, diese Form der Pflegearbeit wird in unserer Gesellschaft nicht genug gewürdigt. Ganz oft fühlt man sich allein gelassen mit dieser fordernden Situation, auch in finanzieller Hinsicht", weiß die Autorin aus eigener Erfahrung. "Aber ich bin halt Künstlerin, keine Aktivistin, und kann diese Probleme jetzt nicht im großen Stil lösen."

Hey guten Morgen, wie geht es dir?: Roman | Deutscher Buchpreis 2024
Mitteilungsbedürfnis
Seit über 20 Jahren schon schreibt Hefter Bücher, sie hat bereits fünf Lyrikbände veröffentlicht und unterrichtet an der Uni literarisches Schreiben. Über ihre Arbeit als Schriftstellerin sagt sie: "Ich merke schon, dass ich mich ganz gut mitteilen kann. Aber ich glaube, ich kann auch nichts anderes." Die Künstlerin liebt es, in ihrer Arbeit in andere Rollen zu schlüpfen, das passiere bei ihr ganz automatisch. "Wenn ich einmal losschreibe, bin ich eine andere", erklärt sie.
Was für Hefter wichtig ist – vor allem dann, wenn die erfundene Geschichte so nah an ihren eigenen Themen dran ist. "Einer meiner Grundsätze ist es, Personen nie mit einem voyeuristischen Blick zu belegen, gerade, was das Körperliche anbelangt. Ich möchte niemanden vorführen. Das war mir schon immer wichtig und hilft mir, bestimmte Szenen überhaupt erst zu entwickeln." Aber auch Selbstzweifel sind Hefter nicht unbekannt. Früher waren sie stärker ausgeprägt, meint die 59-Jährige. "Das war vor 20 Jahren noch ganz schwierig. Als weibliche Autorin und Künstlerin dachte ich immer, ich müsse etwas hermachen. Schaue ich gut aus? Sind meine Haare toll? Habe ich das Richtige an? Ich hatte Angst, mich zu blamieren oder etwas falsch zu machen."
Nur kein Feierabend
Heute pfeift sich Hefter nix. Über die Jahre hinweg konnte sie eine gelassen-pragmatische Lebenseinstellung entwickeln und die Dinge annehmen, so wie sie eben sind. "Nicht, dass ich mich selber permanent toll finden würde, gar nicht. Aber ich bin so, wie ich bin, und solange ich niemandem wehtue oder verletze, muss man das jetzt einfach so hinnehmen", sagt sie. "Ich bin dankbar für meine Verfassung und meine Arbeit. Und für die eine Stunde in der Früh, in der ich in Ruhe meine Tasse Tee trinken kann."
So etwas wie Feierabend kennt die Kreative nicht. "Dieser Begriff von Arbeit, dass man sich dann nur freut, wenn es wieder vorbei ist, das ist bei mir selten der Fall." Gerade probt sie mit einem Chor, in dem auch ihr Mann mitsingt. Teile aus ihrem neuen Buch sollen auf die Bühne kommen, am 28. November war Premiere im Schauspiel Leipzig. "Ich genieße unsere Zusammenarbeit und den Austausch mit den anderen Künstler:innen sehr."
Es bleibt mir nicht viel anderes übrig, als all meine Energien zu mobilisieren. Zu sagen, ich kann nicht mehr, würde im Moment nicht zu viel führen.
"Nicht anbiedern"
Ihre kreative Ader hat Hefter schon als kleines Mädchen ausgelebt. Aufgewachsen in einem deutschen Wintersportort, wollte sie damals Sängerin werden. "So wie die Schlagersängerin Katja Ebstein. Ich habe den ganzen Tag gesungen oder gemalt. Als Teenager bin ich dann richtig sauer geworden, wenn ich mich nicht künstlerisch beschäftigen konnte", erinnert sie sich. "Ich glaube, ich bin eine Person mit ganz viel Energie. Das war schon als Kind so, und das ist bis jetzt so geblieben. Natürlich will ich die Situation mit meinem kranken Mann jetzt nicht überdramatisieren, aber es bleibt mir auch nicht viel anderes übrig, als all meine Energien zu mobilisieren." Denn: "Die andere Alternative wäre, sich ins Bett zu legen und nicht mehr aufzustehen. Zu sagen, ich kann nicht mehr, das würde im Moment nicht zu viel führen, glaube ich."
Martina Hefter hat noch einiges vor, ein neues Buch ist schon im Entstehen. Drängen lassen will sie sich aber nicht. Es gibt auch keinen Grund dafür, obwohl natürlich nach der Buchpreis-Auszeichnung ein anderer Erwartungsdruck besteht, als das vorher vielleicht der Fall war. "Das ist mir schon bewusst. Aber ich blende das aus, auch wenn es viel Energie kostet. Das muss ich machen, sonst würde es mich davon abhalten, so zu schreiben, wie ich möchte. Und anbiedern möchte ich mich bestimmt nicht", stellt Hefter klar. Ihr Mantra: "Alles braucht eben so lange, wie es braucht." Der Tod ihrer Mutter im Mai dieses Jahres und die fortschreitende Krankheit ihres Lebenspartners haben sie dazu gebracht, das Leben in seiner Zerbrechlichkeit komplett neu zu bewerten.
Hefter möchte unbedingt noch eine Weltreise machen, solange die Mobilität ihres Mannes das zulässt. "Eine Reise mit all den Hindernissen, die es mit dem Rollstuhl vielleicht geben wird. Nur ist das jetzt alles noch sehr unreal", lacht sie. Aber auch das wird sie schaffen, bestimmt …
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