
Die Künstlerin Kata Oelschlägel in ihrem Studio. Die Farbe Rosa und der Tod als eines der zentralen Motive sind für sie kein Widerspruch.
©Christoph LiebentrittVersöhnen statt schockieren: So lautet der Anspruch der postradikalen Wiener Aktionistin Kata Oelschlägel. Was Hermann Nitsch damit zu tun hat und warum sein bevorstehendes 6-Tage-Spiel einer Taufe gleicht.
"Einfach immer der rosaroten Farbspur nach“, ruft uns Kata Oelschlägel ins Stiegenhaus hinterher. Sie führt geradewegs von ihrer Wohnung ins Atelier im Erdgeschoss in einem Mehrparteienhaus im 19. Wiener Gemeindebezirk. Der Hinweis wird obsolet, als Irmi – ein schwarzer, kurzbeiniger Mischling – schwanzwedelnd an uns vorbeizieht. Seit vier Jahren weiß die „Irmi-Tant“, wo es langgeht. „Ein Tauschgeschäft gegen ein Packerl Tschick“, scherzt die Künstlerin – ohne zu scherzen. Bester Deal überhaupt, ist man sich einig. Die Farbspur gewinnt mit jeder Stiege an Intensität. Die Farbe Rosa taucht im Werk von Kata Oelschlägel immer wieder auf. Warum? „Einerseits mag ich die Farbe“, so die Künstlerin, die standesgemäß am liebsten Schwarz trägt. „Andererseits bringt sie dem Tod, der in meiner Arbeit allgegenwärtig ist, eine gewisse ästhetische Leichtigkeit entgegen – das mag ich.“
Beim Aufsperren der Ateliertür warnt sie: „Achtung, das ist gerade echt ein creative hell hole.“ Grund für das künstlerische Chaos ist die bevorstehende Ausstellung „Ephemeral Permanence“, kuratiert von Sophie Wratzfeld im Vienna Collectors Club, die am 21. Mai startet und auf die Oelschlägel gerade hinarbeitet. Ihren Mann, den Londoner Künstler Joseph Sakoilsky, mit dem sie das Atelier teilt, und dessen Arbeiten hat sie dafür an eine Stirnseite des Raums verwiesen: „Wer gerade an einer Ausstellung arbeitet, hat Anspruch aufs Atelier.“


Die Arbeit "Big Gentle Breakdown", geschaffen aus Blut, Öl und Gouache.
Abgrenzung von Social Media
Dass der Tod und die Verletzlichkeit in Oelschlägels Œuvre eine zentrale Position einnehmen, wird schnell deutlich: Im Atelier finden sich rosagefärbte Skelette ihrer aktionistischen Hangman-Installation, die ihr bereits den Weg in die Albertina ebneten. Genauso wie an Totenmasken erinnernde Abgüsse des Gesichts der Künstlerin, die im Rahmen ihrer „Face Sewn“-Performance entstanden sind. Für diese hat sie vor laufender Kamera unter Beobachtung ihres Mannes und ihrer Mutter ihr Gesicht mit Faden und Nadel bearbeitet. Außerdem aufgehängt an der Wand sind weitere Arbeiten zu einem zentralen Motiv in Oelschlägels Schaffen: die Linie. Sie zeigt sich nicht nur als Einschnitt in die Haut oder Leinwand, sondern auch in Form einer tätowierten Endlosschleife quer über ihren Körper. Mit Faden und Nadel hantierte die Künstlerin auch im Rahmen ihrer „Hand Sewing“-Serie, bei der sie sich im Kreuzstichmuster an die Innenfläche der eigenen und fremder Hände nähte.
Alles Akte, die für sie viel mehr sind als Provokation: „Das Erkennen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergänglichkeit sind gerade in Zeiten der steten Selbstoptimierung wichtiger denn je“, so die 28-Jährige. Sich selbst eine Spur weniger wichtig zu nehmen, sei wünschenswert. „Wird man sich der eigenen Vergänglichkeit bewusst, bleibt vieles relativ – das kommt im Social-Media-Wahnsinn oftmals zu kurz.“ Dass sich auf diversen Plattformen zusehends mehr selbst ernannte „Künstler:innen“ herumtreiben, sieht sie, die Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie studiert hat, gelassen: „Kunst hat das Ziel, zu einem gesellschaftlichen Diskurs anzuregen – Menschen müssen sich daran stoßen und reiben können. Was man hingegen auf Social Media sieht, ist oftmals Gefälligkeit, ein Handwerk.“


Die Künstlerin Kata Oelschlägel führt Kandinskys Linientheorie nicht nur auf Stoff, sondern auch auf ihrer Körperoberflöche fort. Dokumentiert ist das unter anderem in ihrem Atelier.
© Christoph LiebentrittPostradikal
Oelschlägel aber hat ein völlig anderes Ziel. Als postradikale Aktionistin, wie sie sich selbst bezeichnet, möchte sie mit ihrem interdisziplinären Ansatz den Wiener Aktionismus weiterführen. In adaptierter Form: „Ich will das Radikale deradikalisieren, ohne es schön zu machen oder gar in irgendeine Gefälligkeit abzurutschen“, erklärt die Künstlerin, die aktuell an der Angewandten im zweiten Semester der Klasse für Transmediale Kunst angehört. Ihr Ziel ist dabei nicht, Tabus zu brechen: „Das Schockierende war ein wichtiges Narrativ der Nachkriegszeit, um aufzurütteln – mir geht es in meiner Arbeit viel eher darum, die Gesellschaft zu versöhnen und Wogen zu glätten.“ Zu schockieren werde, in Anbetracht geopolitischer Entwicklungen, ohnedies tagtäglich schwieriger. Was es in Zeiten wie diesen deutlich dringender brauche, sei ein sanfterer Zugang.


Arbeiten, die im Rahmen der "Face Sewn"-Performance entstanden sind.
© Christoph LiebentrittNeue Bewegung
Während die Hauptakteure des Wiener Aktionismus männlich waren, führt mit Kata Oelschlägel nun eine junge Frau das künstlerische Erbe fort. Spielt das Geschlecht für sie in diesem Zusammenhang eine Rolle? „Frauen sind in ihren Performances und in ihrem Aktionismus viel straighter – weniger Inszenierung, mehr auf den Punkt“, erklärt sie und zieht den Vergleich zu Brus’ theatralischer Zerreißprobe aus dem Jahr 1970. Sie hingegen näht sich mit stoischer Gelassenheit durch ihre Gesichtshaut, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. „Die Opferdarstellung war Duktus des Wiener Aktionismus“, so Oelschlägel. „Vielleicht bin ich aber auch einfach abgestumpfter als manche Männer.“
Mit ihrer Kunst tritt sie in männlich dominierte Fußstapfen, die ihr bereits als Kind vertraut waren. Umgeben von Werken von Hermann Nitsch aufgewachsen, war die Sensibilisierung für diese Form unumgänglich. Selbst Künstlerin zu werden, war allerdings keine bewusste Entscheidung, sondern viel eher ein schleichender Prozess: „Wenn man irgendwann bemerkt, dass man seinen Wahnsinn irgendwie ausleben muss, und dabei aber Teil der Gesellschaft bleiben will, bietet die Kunst ganz ausgezeichnete Möglichkeiten“, lacht sie. Selbst die Erweiterung der eigenen körperlichen Integrität, die Selbstverletzung, sei „unter dem Deckmantel der Kunst okay“. Die elterliche Begeisterung dafür hielt sich zunächst in Grenzen. „Stand aber auch nicht ganz oben auf meiner Prioritätenliste.“
6-Tage-Spiel


6-Tage-Spiel auf Schloss Prinzendorf
Es sollte das größte und wichtigste Fest der Menschheit werden – heuer steht der vorerst letzte Abschnitt bevor: Auf Schloss Prinzendorf werden vom 7. bis 9. Juni die letzten drei Tage von Hermann Nitschs „Orgien Mysterien Theater“ aufgeführt. Mit der etappenweisen Aufführung der 160. Aktion erfüllt Rita Nitsch ihrem im April 2022 verstorbenen Ehemann dessen letzte Bitte. Tickets und Info unter: nitsch-foundation.com
Die Taufe
Meine Mutter sagt immer: ‚Der Nitsch ist schuld‘“, schmunzelt sie. Ganz unrecht scheint sie damit nicht zu haben. Nitsch, den Kata aufgrund der elterlichen Sammelleidenschaft bereits in jungen Jahren auf Schloss Prinzendorf persönlich kennengelernt hat, ist für sie so etwas wie ein „mystifizierter Übervater“: „Er hat mich in jeglicher Art und Weise künstlerisch beeinflusst – mit seinem umfassenden Gesamtwerk ist er auch echt nahe am Kunstgott dran, so es einen gibt.“
Mit der Teilnahme am diesjährigen „Orgien Mysterien Theater“, Nitschs Lebenswerk, steht Oelschlägel kurz vor ihrer aktionistischen Taufe: „Da muss man als Künstlerin, die sich dem Aktionismus widmet, einmal durch“, erklärt sie, die bereits für die Aktion im Jahr 2022 mitprobte, dann aber krankheitsbedingt ausgefallen ist. „Außerdem ist es eine große Ehre, Teil dieses kunstgeschichtlichen Spektakels sein zu dürfen.“ Diese 160. Aktion, die drei Tage über Pfingsten auf Schloss Prinzendorf stattfinden wird, ist ihre letzte Chance: „Danach gibt es keine Partituren mehr.“ Ihre Rolle? „Akteurinnen und Akteure können prinzipiell einen passiven oder aktiven Part übernehmen“, holt sie aus. „Ich mache beides – ich hänge gerne am Kreuz, wühle aber ebenso gerne in Gedärmen.“ Überwinden müsse sie sich dafür nicht: „Klar riecht es, fühlt es sich schleimig an und wird nach einem Tag für viele grenzwertig – aber unter uns Akteurinnen und Akteuren gibt es wohl niemanden, der oder die sich dazu überwinden muss. Man weiß genau, worauf man sich einlässt, und ist auch aus einem Grund dort.“ Besonders inspirierend sei der Austausch mit alteingesessenen Akteur:innen. So habe sie 2022 auch ihren Mann kennengelernt: „Sein Vater Paul ist einer der ersten Akteure überhaupt.“ Sieben Tage verbringt man 24/7 gemeinsam am Schloss – man isst und trinkt miteinander, teilt sich die Schlafcontainer, setzt Nitschs Erbe fort und feiert seine künstlerische Unsterblichkeit.
„In seinem Fall hat einfach alles Sinn gemacht“, ist Oelschlägel begeistert. Das zeigt: Nachhaltigkeit macht sich eben auch in der Kunst bezahlt. „Ich werde mein Ding weiter durchziehen – bis jetzt hatte ich das große Glück, dass die Leute spannend finden, was ich mache.“ Was sie tut, damit es auch für sie spannend bleibt? Die Interdisziplinarität vorantreiben. „Malen ist halt schon ein bissl wie Stricken – alleine kann das schon auch schnell einmal fad werden.“